Statussymbole Kennerschaft ist das neue Maß der Dinge

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Nichts reicht an den statussymbolischen Wert zeitgenössischer Kunst heran

Daher das Spiel mit Stilbrechungen: So wird im Wohnzimmer der Bauhausklassiker vor Sichtbeton oder nackte Ziegel gestellt (Tapeten nur handbemalt) und mit dem Torso einer Maske kombiniert, die man als Souvenir von einer Neuguinea-Reise mitgebracht hat (bloß kein Massentourismus). Am Wochenende wechselt das Kickboxtraining mit dem Achtsamkeits-Kurs. Und im Kurzurlaub in Kapstadt steht neben dem Besuch des Zeitz Museum of Contemporary Art Africa eine Township-Tour auf dem Sightseeing-Programm. Eine Konsumstrategie, die sich doppelt auszahlt: nach „innen“ für den Konsumenten, der sich bereichert fühlt, nach „außen“ für Freunde und Bekannte (auch die in den sozialen Netzwerken), bei denen der Konsumvirtuose lässig punktet und lächelnd die „Was du alles machst“-Blicke einheimst (gern in Form von Foto-Postings, die ihn beim Rafting in den Rocky Mountains zeigen).

Dabei müssen die Konsumdinge der neubürgerlichen Mittelklasse nicht einzigartig sein oder teuer, sondern originell inszeniert. Dann hat das schräge Vintage-Stück vom Flohmarkt auf dem Jan-Kath-Teppich Platz, und die wurmstichigen Bioäpfel vom Odenwaldbauern ruhen geschmackvoll auf der Siematic-Arbeitsplatte aus Schiefer. Ausgesuchte, meist luxuriöse Konsumgüter, die der Statusskepsis der neuen Mittelklasse nicht widersprechen. Sie pflegt, wie Reckwitz sagt, einen „materialistisch grundierten Postmaterialismus“, der beträchtliche Statusinvestitionen erfordert: Man schätzt Einfachheit, egal, was es kostet, setzt seinen Ehrgeiz in Erlebnisse und Erfahrungen auch jenseits von Besitz. Kurz, man sucht kulturelles statt materielles Kapital, möchte zur Wissens- statt zur Geldelite gehören.

„Das Begehren nach Statusanerkennung verlagert sich auf die immaterielle Seite“, sagt der Medientheoretiker Norbert Bolz. Weshalb man den Luxus des 21. Jahrhunderts „auf der Ebene des Zerebralkonsums“ suchen müsse, wo sich der Akademiker ohnehin am wohlsten fühlt. Dazu passen Umfragen von Allensbach, nach denen Menschen außer für die Einrichtung ihrer Wohnung vor allem für Ernährung und Reisen Geld ausgeben und bekunden, dass ihnen Dinge wichtig sind, die für Geld nicht zu haben sind: Zeit, Fitness, schöne Erlebnisse mit Freunden. Im postmodernen Statuskonsum verschränken sich materielle mit immateriellen Wünschen und Idealen. Deshalb werden die Dinge über ihren Gebrauchswert hinaus mit Erlebnissen, Gefühlen und Werten aufgeladen.

Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich hat das an vielen Beispielen demonstriert. Produkte zeigen, wie wir uns sehen und gesehen werden wollen: als cooler Siegertyp im schnittigen Cabrio oder als verantwortungsvoller Konsument, der auf Bioprodukte schwört und mit dem Fahrrad, am besten einer Gazelle mit Brooks-Sattel, ins Büro fährt. Besonders deutlich sieht man das am Prestigewert der Kunst, die als Leitwährung Auto und Yacht beerbt hat. Es hat inzwischen einen „Hautgout“, so der Unternehmer und Kunstsammler Christian Boros, wenn man sich für 200.000 Euro ein Spaßmobil vor die Tür stellt. Statt ins Autohaus führt der Königsweg zum Status zur Art Basel. Weshalb geben reiche Sammler Millionen Euro aus für ein abstraktes Rakelbild von Gerhard Richter? Warum erzielt ein aufgeblasenes Kinderspielzeug von Jeff Koons Rekordergebnisse auf Auktionen?

Damit der Käufer, wie Ullrich sagt, „das Gefühl der eigenen Kaufkraft“ genießt und das Publikum über die „Diskrepanz zwischen Preis und Plattheit“ staunen kann. Der Distinktionswert von Kunst sei dann am höchsten, wenn kaum noch jemand versteht, weshalb so viel dafür gezahlt wird. Wenn sich der Sammler-Milliardär als Hasardeur inszeniert und sich über alle kapitalistischen Nützlichkeitskalküle hinwegsetzt. Ullrich spricht von „einer Art Potlatsch, einer Riesenverschwendung“: je aberwitziger ein Preis, desto größer der Statusgewinn.

Gewiss, für Reiche und Superreiche zählen auch andere schöne Dinge: die Villa in Halbhöhenlage, das Penthouse in London, die Oldtimer-Sammlung. Doch nichts in der aktuellen Konsumwelt reicht an den statussymbolischen Wert zeitgenössischer Kunst heran. Warum? Weil sie einen Besitz ermöglicht, der um etwas Immaterielles kreist: Exklusivität. Weil man mit ihr eine Kennerschaft inszenieren kann, die dem großen Publikum unzugänglich bleibt. Weil man sie vorzeigen kann, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, mit ihr zu protzen.

Denn das ist das größte Privileg der Kunst: Anders als die Yacht steht sie im Verdacht, etwas Höheres zu sein, gleichsam unmittelbar zu Gott. Sogar ein russischer Oligarch wie Roman Abramowitsch huldigt ihr. Zur Biennale in Venedig reist er schon mal mit einer seiner Yachten an. Mit an Bord, so erzählen sich Insider, ein voluminöser weiblicher Akt, Lucian Freuds „Schlafende Sozialarbeiterin“ – 2008 in New York ersteigert für 33,6 Millionen Dollar.

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