Studie Ikea sucht Streit

Worüber regen sich Menschen in den eigenen vier Wänden am meisten auf? Nicht die Nachbarn, sondern die Menschen, mit denen sie die Wohnung teilen. Ikea interessiert sich dafür. Warum eigentlich?

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Ikea-Einrichtungshaus in Magdeburg Quelle: dpa

Von kaum etwas dürfte ein Möbelhersteller mehr profitieren als von gescheiterten Beziehungen. Brauchte ein Paar nur ein Sofa, benötigen Single-Haushalte jeweils eigene Sitzgelegenheiten. An harmonischen Ehen, die über Jahrzehnte Abend für Abend am gleichen Esstisch vor der gleichen Schrankwand sitzen und anschließend auf dem gleichen Drei-Sitzer entspannen, verdient kein Möbelhersteller Geld.

Zwist, so unangenehm er für die Beteiligten sein mag, treibt die Wirtschaft. Sei es durch Partnerschaftsratgeber oder als Ultima Ratio durch das Einrichten neuer Haushalte. Umso erstaunlicher mutet der jüngste und vierte "Home Report" des schwedischen Möbelkonzerns Ikea an. "Wir wollten verstehen, wie Menschen Konflikte lösen, die wir alle kennen, egal wo und wie wir leben."

Statt sich per typischer Marktforschung nach den Vorlieben und Neigungen der Zielgruppen zu erkundigen, wählte Ikea nach eigenen Aussagen einen völlig neuen Methodenmix. So befragte das Unternehmen mehr als 20.000 Menschen in 22 Ländern, interviewte Experten für ethnografische Forschung, die seltsam wirkende Forschungsrichtung Zukunftsarchäologie, Industriedesign, Materialismus, Psychologie und digitale Kultur- und Sozialanthropologie. 36 Menschen in ihren Wohnungen in Austin, Chengdu, Osaka, Kopenhagen, Mumbai und München wurden besucht und dann noch in sieben Ländern mit 650 Menschen in Online-Communitys gechattet.

Fünf Gründe für Streit daheim
Moderne Kommunikation "Schatz, wir müssen reden." Viel öfter als, dass es dramatische Ursachen dafür gibt. Der schwedische Möbelkonzern Ikea hat für den dritten "Home Report" in der Welt gefragt, welche Wünsche Menschen an das Wohnen haben. Dabei ermittelten sie fünf Faktoren, die das gemeinsame Wohnen belasten. Dazu zählt ausgerechnet die moderne Kommunikation - man ist im gleichen Raum, spricht aber nicht miteinander. Symbolisch soll der abgebildete Prototyp von Klara Sprak daran erinnern, dass das Zuhause zwar der Ort ist, von dem 47 Prozent aller Befragten in 22 Ländern angaben, mit der Welt in Verbindung zu stehen - aber auch der, an dem man mit seinem Lebenspartner sprechen sollte. Der Ort, an dem es am häufigsten zum Streit kommt, ist laut des "Home Report" übrigens das Wohnzimmer. Quelle: PR
Zusammenleben gestaltenGute Nachrichten aus Deutschland: Die meisten Bewohner sind mit ihrem Zuhause und den Menschen, mit denen sie zusammenleben, zufrieden - 70 Prozent sehen das so. Das ist im internationalen Vergleich ein hoher Wert. Im Alltag birgt das Miteinander dennoch Konfliktpotential, denn Dinge und Räume müssen geteilt werden. Als Puzzle interpretiert die Designerin Liv Liyckliga diesen Aspekt. Beide Einzelteile funktionieren nur, wenn sie zusammenstehen. Quelle: PR
PrivatsphäreSo sehr die meisten Deutschen mit ihren Mitbewohnern grundsätzlich im Einklang stehen - jedes Miteinander produziert Konflikte. Die meisten werden im Wohnzimmer ausgetragen. Der persönliche Raum ist vielen Menschen sehr wichtig, selten ist er jedoch klar umgrenzt als eigenes Zimmer. Rückzugsorte in der gemeinsamen Wohnung fehlen. Designerin Klara Sprak illustriert den Wunsch nach privatem Raum im Miteinander mit einem dreisitzigen Sofa, in den jeder Sitz seine eigene Höhe hat. Wer welchen bekommt - das wäre doch auch hier Stein des Anstoßes. Denn Plätze haben "emotionale Besitzer", wie es der "Home Report" formuliert. Genau diese Privatsphäre aber verbinden Menschen mit Glück, Erleichterung und Ruhe. Quelle: PR
Unliebsame GegenständeMein Zeug, dein Zeug - in Deutschland gaben 21 Prozent an, mit Gegenständen zu leben, die sie nicht leiden können, die ihnen selber nicht gehören. Das ist eine niedrige Quote, weltweit liegt sie bei 40 Prozent. Die gleiche Anzahl gab auch an, bereits Dinge weggeworfen zu haben, die ihnen nicht gehören - und das nicht gestanden zu haben. Ein geringer Prozentsatz tut dies mit dem Vorsatz, den Mitbewohner zu ärgern. Der Entwurf "Ich hasse deine Sachen" von Liv Lyckliga kehrt die Sachen einfach unter den Teppich. Quelle: PR
Ordnung oder ChaosDiese beiden Fußballfans scheinen sich zumindest in Bezug auf die Ordnung einig zu sein. Alle Fahnen hängen während der EM 2016 an ihrem Platz. Unterschiedliche Auffassung über Ordnung oder eben Unordnung sind aber die häufigste Ursache für Streit in Beziehungen. In den USA sind es 49 Prozent aller Streitigkeiten, die darauf zurückzuführen sind. Oftmals entzündet sich der Streit dann an Dingen, die schon sehr lange an einer Stelle liegen und eigentlich wegkönnten, an denen einer der Bewohner aber hängt, zeigt der "Home Report". Die Autorin Paula Zuccotti schreibt in ihrem Buch "Alles was wir berühren" dazu: „Eine Gitarre im Schlaf- oder Wohnzimmer ist typisch. Man kann nicht spielen, aber man denkt, eines Tages werde ich dafür Zeit haben. Der Gegenstand ist ein Traum. Wenn man die Gitarre weggibt, tötet man den Traum.“ Quelle: dpa

Es geht laut Ikea darum, Menschen zu verstehen. „Um ihre Wünsche an das Wohnen zu begreifen, ist es auch nötig, ihre Probleme und Frustrationen im Zusammenleben zu erkennen“, sagt Lydia Choi Johansson, Business Intelligence Specialist bei Ikea. Von den Routinen am Morgen über die Ernährungsgewohnheiten bis zu der grundsätzlichen Frage, was ein Heim überhaupt ausmacht, klopften die Studienersteller in den bisherigen drei "Home Reports" die Bedürfnisse der Menschen ab.

Das Ergebnis: Die Probleme sind überall die gleichen. Wann immer Menschen Tisch und Bett und teilen, erwachsen aus dem Zusammensein ähnliche Probleme, quer über alle Kulturen hinweg. Für den Möbelhersteller sind das gute Nachrichten. „Trotz kultureller Unterschiede in den verschiedenen Ländern, ist es wichtig zu verstehen, dass die grundsätzlichen Anforderungen sehr ähnlich sind weltweit.“, sagt Johannsson. Wer sein Angebot weltweit für Menschen verschiedener Nationen und Religionen plant, kann erleichtert sein, wenn zumindest bei den Konflikten die Menschheit Einigkeit zeigt.

Für den deutschen Markt hat sich Ikea in den vergangenen 15 Jahren auch ohne die Erkundigungen nach den Hakeleien im Miteinander die richtigen Antworten einfallen lassen. Der Umsatz stieg von 2,95 Milliarden im Jahr 2002 kontinuierlich und gleichmäßig auf 4,75 Milliarden Euro im Jahr 2016. Kein einziger Wettbewerber reicht an die Kundenzufriedenheit der Schweden heran. Unter denjenigen, die in den vergangenen zwei Jahren in einem der blau-gelben Möbelhäuser gekauft haben, wird die Frage nach dem beliebtesten Möbelhaus von 100 Prozent mit Ikea beantwortet - in der Gesamtbevölkerung liegt der Wert zwar nur bei 25 Prozent - aber damit noch immer mit Abstand vor dem Zweitplatzierten, dem Dänischen Bettenlager.

Selbst die nur schwach ausgeprägte Online-Strategie des Möbelhauses können die Wettbewerber nicht nutzen - home24 hat im Vergleich zu Ikea im Online-Vertrieb kaum höhere Umsätze - 2016 lagen sie bei beiden um 240 Millionen Euro.

Ausgerechnet moderne Technik ist es dann auch, die die zwischenmenschlichen Beziehungen heute weltweit kontinuierlich auf den Prüfstand stellt. Die Zahl derjenigen, die begeistert von den neuen Möglichkeiten für Unterhaltung und Information von Smartphone bis Virtual-Reality-Brille ist nur knapp höher als diejenigen, die es als schwierig empfinden, eine Balance damit zu finden.

Wie Verhaltenstherapeuten nutzte das Unternehmen die Probleme mit den Mitbewohnern auf der Couch, um eine Basis zu schaffen, um Möglichkeiten für Verbesserungen zu erkennen. Und schlussendlich Möbel zu entwerfen, die durch ihre Funktionalität helfen sollen, Konfliktpotentiale zu verringern. Wie ein Besuch bei Ikea bisweilen ausreicht, um Beziehungsstress auszulösen, wurde hingegen nicht erfragt.

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