Tauchsieder
Quelle: Lautenschläger/WirtschaftsWoche

Bilder kaufen? Keine Kunst!

In Deutschland laufen die Frühjahrsauktionen an. Ein kleiner (Ver)führer vor den Frühjahrsauktionen für Moderne und Zeitgenössische Kunst bei Ketterer, Grisebach, Lempertz, van Ham sowie Karl&Faber.

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Leo Putz (1869 - 1940) war kein Avantgardist und Großmeister, und er gehört gewiss nicht zu den Malern der klassischen Moderne, mit deren Namen Käufer auf dem Auktionsmarkt wilde Spekulationsfantasien verbinden. Der Tiroler Künstler hat vor allem Frauen und nackte Frauenkörper in Szene gesetzt, oft im Freien, im Licht- und Schattenspiel laubüberwölbter Seeufer, stets zeitgemäß, also jugendstilhaft, impressionistisch, symbolistisch. Die gehaltvollsten seiner Gemälde bezaubern Liebhaber-Sammler seit Jahrzehnten - Traditionskunden, die die Auktionshäuser in Deutschland, aller Konzentration aufs margenreiche Wettgeschäft mit Nachkriegskünstlern und Zeitgenossen zum Trotz, immer noch rührend pflegen.

Womöglich hat Grisebach im Herbst 2017 mit dem Verkauf von „Nach dem Bad III“, gemalt im Kriegssommer 1914, eine kleine Re-Renaissance von Putz-Gemälden eingeleitet. Die 156.000 Euro (inkl. Aufgeld) für zwei Frauen in einem Boot, die eine herrlich unverschwitzte Hochsommer-Erotik ausstrahlen, reichen zwar noch nicht heran an die 230 000 Euro, die Ketterer Mitte der Neunzigerjahre für „Pauline“ und „Im herbstlichen Garten“ (beide 1908) erzielte. Umso mehr darf man gespannt sein, ob ein Stilpluralist wie Putz im 21. Jahrhundert weiter (monetär) wertgeschätzt wird - oder aber den schleichenden Aufmerksamkeitstod so vieler Maler erleiden wird, die irgendwann aus dem Kanon herausfallen und nicht mehr zu den Top 100 ihrer Zeit zählen.

Eine vorläufige Probe aufs Exempel machen in ihren Frühjahrsauktionen gleich vier der fünf wichtigsten Häuser in Deutschland für Werke der Klassische Moderne, der Nachkriegs- und der zeitgenössischen Kunst: Lempertz, das seine Versteigerung mit einem großformatigen, das Expressionistische auslotenden Reigen aus dem Jahr 1921 eröffnet (Schätzpreis 80.000 bis 100.000 Euro). Ketterer, das einen der „Pauline“ verwandten Frauenakt mit Rosen (1908) für 60.000 bis 80.000 Euro anbietet. Van Ham mit der skizzenhaften Abendsonne (1908), die von einer Melancholisch-Schönen dominiert wird (15.000 bis 20.000 Euro). Sowie Karl&Faber, das ein geheimnisvoll verschattetes Mädchen-Porträt (1894) offeriert (10.000 bis 15.000 Euro).

Auktionshäuser entdecken den Markt der kleinen Budgets. Für Sammler mit gutem Blick lockt da bisweilen hohe Kunst zum tiefen Preis.
von Dieter Schnaas

Grisebach führt, vor allem in Person seines Geschäftsführers Florian Illies, seit Jahren beispielhaft vor, wie die Wiederverzauberung von Kunst gelingen, wie sie mit Mehr-Wert aufgeladen und auch preislich veredelt werden kann: mit guten Geschichten. Die im 19. Jahrhundert vielhundertfach gemalte Bucht von Sorrent irgendeines deutschen Landschaftsmalers etwa weiß uns Heutige nur noch sehr bedingt mit Italiensehnsucht zu erfüllen. Eine unfertige Skizze aber, von der ich weiß, dass ein bestimmter Maler sie an einem bestimmten Tag aus einem bestimmten Anlass angefertigt hat – die kann ich Gästen jederzeit kennerhaft und ohne Kitschgefahr so welt- wie beiläufig in meiner Loftwohnung präsentieren.

Das Berliner Haus scheut sich nicht, zur erzählerischen Anreicherung seiner Kunstwerke auch prominente Leihstimmen in Anspruch zu nehmen. Der Schriftsteller Martin Walser etwa hat vor der Herbst-Auktion in der Grisebach-Zeitschrift „“ sicher nicht wertmindernd bekannt, dem Leo-Putz-Bild „begrifflos ausgeliefert“ zu sein. Diesmal geht das Berliner Auktionshaus sogar noch einen Schritt weiter. Um das Moderne-Gemälde der Frühjahrs-Saison schlechthin, eine von Max Beckmann 1942 so geheimnisvoll wie ikonografisch von rechts unten ins (Kerzen-?)Licht gesetzte Ägypterin (Taxe: 1,5 bis 2 Millionen Euro) mit literarischer Aura zu umfangen, steuerte der Dresdner Dichter Durs Grünbein für eine Sonderveröffentlichung eine Art Auftragsgedicht bei: Und eben „darum glüht aus schwarz umrandeten Augen der Blick dieser Fremden…“ - ganz gewiss noch ein klein wenig mehr. Jedenfalls dürfte es am Ende zumindest dem Käufer so vorkommen.

Neben Beckmanns Ägypterin ragt unter den 39 „Ausgewählten Werken“ bei Grisebach in Berlin vor allem Karl Hofers „Putzmacherin“ (1922) heraus, mit der das Haus nicht nur einmal mehr seine Ausnahmestellung für Werke aus der Zeit der Weimarer Republik unterstreicht: So viele spätere, sich unaufhörlich selbst-zitierende Gemälde von Hofer auch in Umlauf sind - dieses museumsreife Prachtstück dürfte seinen Schätzpreis (280.000 bis 350.000 Euro) übertreffen. Daneben dürfte Grisebach vom Aufschwung profitieren, den seit ein, zwei Jahren Ernst Wilhelm Nay genießt (zwei Leinwände, ab 90.000 Euro). Dagegen dürfte man an der Fasanenstraße wohl selbst überrascht sein, wenn man alle vier der ubiquitär gehandelten Aquarelle von Emil Nolde aus den Dreißigerjahren verkaufen würde (50.000 bis 200.000 Euro).

In der Abteilung Zeitgenössische Kunst kommt ein herrliches, mehr als sechs Quadratmeter großes Querformat von Anselm Kiefer unter den Hammer: ein rostiges-U-Boot in bleierner, schlammiger See, von Kiefer typisch pastos, mit vielen Schichten von Acryl, Öl, Lack, Harz, Kreide und Blei (und seitens Grisebach natürlich mit einer hübschen Erzählung) in Szene gesetzt (Schätzpreis 700.000 bis 1.000.000 Euro). Davon abgesehen, hat Grisebach diesmal nicht wirklich Aufregendes zu bieten, das Programm wirkt seltsam unentschlossen, changierend zwischen Nationalklassikern (von Graubner über Förg und Lüpertz bis Tillmans und Voigt) und ein wenig topinternationaler Galeriekunst a la Oscar Murillo und Kris Martin. Interessant sind noch zwei Leinwände des Düsseldorfer Hyper-Tech-Sur-Realisten Konrad Klapheck (ab 100.000) und, für den deutlich schmaleren Geldbeutel, zwei Spätwerke von Ullrich Knispel (3000 bis 7000 Euro).

Kaufempfehlung für spekulative Kleinanleger

Ketterer geht vielleicht so konsequent wie kein zweites Auktionshaus der zeitgenössischen Gegenwart (und damit einer betriebswirtschaftlich besonders lukrativen Zukunft) entgegen: Die drei Kilogramm schweren Kataloge des Münchener Hauses für die „Kunst nach 1945“ und „Contemporary Art“ sind ein fettes Ausrufezeichen für Einlieferer und Interessenten: Seht her, wir wollen die Nummer eins sein! Und sie sind damit auch ein Weckruf an die Konkurrenz: Seht her, so viele gängige, ausgezeichnete Werke im fünf- und sechsstelligen Bereich könnt Ihr nicht aufbieten! Im Zentrum der Auktionen steht fraglos die phänomenale „Woge“ von Günther Uecker (1995): Die dunkledräuend-strudelnde Dynamik des fast quadratischen Nagelfeldes sind schlicht stupend - und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Ketterer hier nicht die Million angreifen könnte (Taxe 600.000 bis 800.000 Euro).

Auch Klaphecks ikonographischer, ebenfalls fast quadratischer „Chefideologe“ (1965) würde ich denen beiden bei Grisebach angebotenen Konkurrenzprodukten vorziehen. Spektakulär ist ein fünf Meter breiter Fries des Informel-Künstlers Fred Thieler (60.000 bis 80.000 Euro). Von Gerhard Richter, Emil Schumacher, Imi Knoebel und Otto Piene hält Ketterer über eine Preispalette von 4000 Euro bis 250.000 Euro hinweg gleich jeweils zehn Werke und mehr vor. Und ergänzt wird der große Kunst-Schmaus von typischen Beispielen figurativer Maler wie Penck, Tadeusz, Fetting und Hödicke (um 20.000 Euro) - sowie ausgewählter Werke „großer Namen“ wie Tony Cragg, Donald Judd, Alex Katz und Sam Francis.

Zwei preiswert geschätzte Geheimtipps für den Bereich der Klassischen Moderne (neben Nolde, Pechstein, Kirchner vor allem fünf Jawlensky, ab 100.000 Euro): Roberto Iras Baldessaris „Dynamische Formen“ (1915) - eine eindrucksvolle Verschmelzung von technizistischem Futurismus und spätromantischer Melancholie sowie Anton Räderscheidts kaltes „Stillleben mit blauer Vase und drei Tulpen“ (Schätzpreise um die 30.000 Euro).  

Rockefellers Bilder
Henri Matisses Werk „Odaliske mit Magnolien“ knackte den Rekord bei der Versteigerung bei Christie's. Hier ist es zu sehen in der Hudson Pines Villa von David und Peggy Rockefeller in New York. Quelle: AP
Claude Monets „Nymphéas en fleur“ brachte am ersten Tag der Versteigerung 84,7 Millionen Dollar. Quelle: AP
Rockerfeller bekam zum 100. Geburtstag das Kissen - über dem Sessel hing Pablo Picassos „Junges Mädchen mit Blumenkorb“, das für 115 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. Quelle: AP
Peggy und David Rockefeller, die sich Zeit ihres Lebens mit Kunst umgeben haben. Er war das letzte Enkelkind des legendären Ölmagnaten John D. Rockefeller (1839-1937). Quelle: AP

Bei Lempertz Köln, dem führenden Anbieter „alter Malerei“ und asiatischer Kunst, ist das Angebot deutlich reduzierter. Besonders interessant dürfte zu beobachten sein, ob die beim Auktionshaus Dorotheum in Österreich so erfolgreich gehandelten Italiener auch im Rheinland reüssieren können, allen voran Piero Manzonis gefaltete Leinwand „Achrome“ (Schätzpreis 400.000/500.000 Euro), aber auch eine leicht ramponierte Tusch-Arbeit von Emililo Vedova (25.000/30.000 Euro). Im Plan dürften je zwei Klassiker von Günther Förg (150.000 bis 200.000) und Norbert Bisky (ab 30.000) bleiben, deutlich darüber drei Feuer-Bilder von Karin Kneffel (25.000/35.000) und vor allem ein Großformat von Katharina Grosse liegen.

Ausgesprochen schöne Entdeckungen und Erwerbungen sind bei Lempertz - ein paar Liebermanns, Jawlenkys, Noldes, Nays, Hofers, Müllers, Münters auch hier – im Bereich der Klassischen Moderne möglich: Wilhelm Lehmbrucks „Geneiger Frauenkopf“ (250.000/300.000) etwa oder Hermann Stenners „Christuskopf“ (70.000/90.000), Peter August Böckstiegels „Westfälisches Dorf“ (30.000/40.000), Max Peiffer Watenphuls „Stadtlandschaft mit Brücke“ (30.000/35.000) oder  Alexander Kanoldts Stadtbild (50.000/60.000).

Den Nolde der Saison trägt fraglos van Ham in Köln zu Markte: Ein Stillleben mit allem, was ein Nolde haben muss: Masken, Blumen, Farben - vorsichtig auf 500.000/800.000 Euro taxiert. Wer sich den Uecker bei Ketterer nicht leisten kann oder will, darf bei van Ham gleich dreimal sein Glück im 200.000-Euro-Bereich versuchen. Besonders punkten kann das Haus aber einmal mehr mit Werken im hoch vierstelligen und niedrig fünfstelligen Euro-Bereich, auch wenn das Programm dieses Frühjahr (Luther, Mack, Piene, Polke, Schultze, Winter…) überraschend überraschungsarm ausfällt - bis auf die Zeitgenossen: Vom überragenden Bild eines dunklen, kargen Wohnzimmers aus der Hand von Adrian Ghenie (150.000/200.000) über Thomas Struths riesige Australienlandschaft (18.000/24.000) bis hin zu einem grell-gespenstischen „Haus am Waldesrand“ von Detlev Foth (3000/5000) und Hans op de Beecks verspielter Reminiszenz an eine untergegangene Modelleisenbahn-Seligkeit (2000/3000) reicht das hübsche Angebot.

Schließlich Karl&Faber, ein Haus, das offenbar sehr gut gedeiht im Windschatten der größeren drei Konkurrenten Ketterer, Grisebach und Lempertz sowie und des etwas kleineren vierten (van Ham): Knapp 600 Bilder plus noch einmal knapp 400 Werke, meist Grafiken, für weniger als 1000 Euro - die Münchener sind ganz offenbar auf einem guten Weg. Und sie haben in Lovis Corinths Blumenstrauss (250.000/350.000 Euro) und Gabriele Münters „Tauwetter im Dorf“ (250.000/300.000) zwei ausgezeichnete Top-Lose im Moderne-Programm. Vor allem Einsteiger kommen hier auf ihre Kosten - etwa mit Johannes Ittens Rückenakt, Walter Jacobs Straßenszene (je 2000/2400 Euro) oder auch mit einer Komposition von Theodor Werner (1200/1440).

Den Bereich der Zeitgenössischen Kunst führt das Duo Richter/Polke an, dieser ist mit einem kleinen, abstrakten Bild vertreten (350.000/400.000), jener mit einer aquarellierten Fotografie (200.000/250.000). Besonders interessant: Wer das „Yellow Painting“ von Joseph Marioni am 2. Juni bei Lempertz (25.000/30.000), kann hier mit dem Green Painting (20.000/25.000) am 7. Juni nachlegen. Preiswert angeboten werden auch die „Nachtstimmen“ von Raimund Girke (15.000/20.000) und „Drei Hüte“ von Werner Berges (10.000/15.000) - in der Börsensprache würde man sagen: ein klarer Kauf für spekulative Kleinanleger. Für Einsteiger mit Lust auf Wertsteigerung besonders interessant: etwa Gunter Damischs große Arbeit auf Karton (4000/4800) und Fred Sandbecks „drawing“ (2500/3000). Für Freunde kleiner Blue Chips: eine Gouache von Karl Otto Götz (4000/4800) und ein Aquarell von Max Uhlig (1500/1800). Und für Liebhaber-Conaisseure: Jürgen Brodwolfs Figurentypen (4000/4800), Harald Metzkes’ „Kühler Janus“ (2500/3000) oder auch Hans Platscheks titelloses Ölbild (1600/1920) und Aquarell (1500/1800).

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