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Jesus goes Abu Dhabi

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Finanzbranche statt Kulturbetrieb

Ullrich zufolge ist die Auflösung aller Vernunftgründe auf dem Kunstmarkt der größte Preistreiber. Erst durch die Fiktionalisierung seines Wertes wird der Preis eines Kunstwerks vollends zum Skandalon, gerinnt der Kauf zum reinen Synonym monetarischer Kraft: "Indem er sich auf eine aggressiv-obszöne Weise seines Vermögens entledigt, vollzieht der Käufer eine Machtgeste und demonstriert all denen, die weniger oder gar kein Geld haben, seine Überlegenheit."

Tatsächlich versteht den Geldolymp der Kunstwelt nur (noch), wer ihn nicht als Segment des Kulturbetriebs, sondern als Sektor der Finanzbranche begreift. „Es gibt einfach zu viel Geld auf der Welt“, sagte der New Yorker Kunsthändler Lawrence Luhring nach dem Auktionsrekord: „Das ist verrückt. Ich bin fassungslos.“ Aber warum eigentlich? Solvente „Siegerkunst“-Sammler wie der Einlieferer des Salvator Mundi, der russische Unternehmer Dmitri Rybolowlew, oder der US-amerikanische Hedgefondsmanager Steven Cohen haben Zehn-Milliarden-Vermögen angehäuft.

Kaufen sie einen Cy Twombly für 27 Millionen Dollar oder eine Agnes Martin für knapp fünf, dann ist das, als gönnte sich ein Euro-Millionär bei Grisebach in Berlin oder Ketterer in München ein Aquarell für 2500 Euro oder einen Druck für 400.

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Ein Künstler wie Gerhard Richter mag die zwölf Millionen Euro, die Christie's 2011 mit seiner Kerze einspielte, "genauso absurd wie die Bankenkrise" finden: "unverständlich, albern, unangenehm". Angesichts der Konzentration von Kapital in der Hand kunstkaufender Milliardäre jedoch ist vor allem Richters Unverständnis unverständlich. Für einen veritablen Bieterwettstreit braucht es zwei Trophäenjäger mit Geldherrscherallüren - das ist das ganze Geheimnis.

Die wachsende Bedeutung von Siegerkunst als Geschäftszweig der Finanzbranche verdankt sich vor allem drei fiktionalen Faktoren: ihrer Krisenresilienz, ihrem Storytelling und ihren monetären Wertspeicherqualitäten. Vor 20 Jahren war die Lage noch übersichtlich: Die Preise für Kunst stiegen parallel zu den Aktienkursen, neue Käuferschichten jagten neuen Prestigeobjekten nach, schnelles Geld suchte Knappheit, Sicherheit, Solidität: Impressionismus, klassische Moderne, fachlich beglaubigte Nachkriegskunst.

Nach dem Finanzcrash 2007 jedoch stiegen die Preise am Kunstmarkt weiter: Die Reichen suchten im Umfeld von Niedrigzinsregimen alternative Investmentformen, und sie kauften, angespornt von einer Politik, die sich anschickte, Steuerflucht zu ahnden, schnelldrehende, zeitgenössische Leinwände: Francis Bacons Porträt of George Dyer Talking, 2009 vom mexikanischen Schuldenmanager David Martinez Guzmán für zwölf Millionen Dollar erworben, spielte im Februar 2014 bei Christie's bereits 42 Millionen Pfund ein.

Ganz ähnlich wie an den Finanzmärkten geht es also auch bei der Kunstspekulation um eine radikale Entkopplung von Preis und Wert, genauer: um autosuggestiv erzeugte Preise, die jeder Grundlage entbehren und gegenüber Argumenten immun sind. Was zählt, ist der Glaube: das Für-wahr-Nehmen dessen, was etwa die Experten der duopolistischen Auktionshäuser Sotheby's und Christie's an Geschichen über die Einzigartigkeit des ein oder anderen Gemäldes in Umlauf bringen. Ihr Bezug zur Realität ist nicht kunstgeschichtlich begründbar, also mit dem Hinweis auf die bleibende Bedeutung eines Damien Hirst, Jeff Koons oder Zeng Fanzhi, sondern erweist sich am Beispiel von Zollfreilagern in der Schweiz: Siegerkunst ist längst auch ein Synonym für Geldwäsche und Korruption geworden.

Wer es ernst meint mit der Kunst und ihrem unschätzbaren Wert, muss den Preisolymp daher meiden: Hier zirkulieren nicht Enthusiasmus und Respekt, sondern Kalkül und Potentatenlust. Sosehr der Kunst-Finanzmarkt mit seinen beiden Distributionszentralen Sotheby's und Christie's in kultureller Hinsicht auf der Ausbeutung des Populären basiert, so sehr folgt er in finanzieller Hinsicht den Interessen einer Elite. "Der Kunstmarkt nervt total", schreibt auf Anfrage der WirtschaftsWoche Christian Boros, der zeitgenössische Kunst in einem Bunker in Berlin präsentiert: "Kunst sollte kein Investment, sondern Leidenschaft und Liebe an Autorenschaft sein."

Boros glaubt an den ästhetischen Eigenwert der Kunst, an ihre Überschussproduktion, an ihren originellen Zugang zu dem, worin "Wahrheit" liegt. Einer wie er sucht den immateriellen Wert der Kunst - und spekuliert nicht auf ständig steigende Preise ihrer Fiktionalisierung.

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