Uhren Mechanik für die Massen

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Erfolg in zwei Stunden

Auf den Plattformen wie Kickstarter oder Indiegogo finden sich zahllose erfolgreiche Projekte "100% funded in 2 hours", die sechsstellige Beträge erzielen, um eine weitere skandinavisch-bauhausige Dreizeiger-Uhr am Markt zu platzieren. Für die dünnste Jeans-Uhr reichten 6092 Euro, für eine trapezförmige Uhr mit terrassiertem Gehäuse und dem wilden Namen "The Crash of '29" im Art-Deco-Stil reichten 17 Unterstützer, die in 30 Tagen 41.695 US-Dollar brachten, um eine Auflage von lediglich 49 Stück auf die Beine zu stellen.

Wer lediglich 50 Dollar investieren wollte, bekam immerhin ein Foto von dem Modell. Crowdfunding für Uhren funktioniert etwas anders als bei typischen Technik-Projekten, wie Schallplattenspielern mit schwebenden Plattentellern, die erst durch das Geld der Klein-Investoren zum Leben erweckt werden. Bei Uhren wie der Clairette-Watch kann der Bieter davon ausgehen, dass das Projekt die Anbieter vor keine großen Herausforderungen stellen wird. Sie bedienen sich am Zulieferermarkt wie jede konventionelle Uhrenfirma, die keine eigene Montage hat und lassen in Lohnfertigung die Uhren günstig zusammenbauen - ohne die Kosten für Vertrieb und Marketing aber mit Vorkasse.
Die Anbieter spielen gekonnt mit den Stereotypen der Luxusuhrenbranche, in der Limitierungen und Betonung des Handwerks zum Marketing gehören wie Zahnräder und Federn zum Uhrwerk. In den Inszenierungen halten mit Stoffhandschuhen bezogene Hände glänzende Stahlgehäuse, die Uhren werden mit Papieren und wertig wirkenden Boxen geliefert – für Preise unter 300 Euro. Und nicht selten verbergen sich in den Crowdfunding-Uhren selbst bei niedrigen Preisen mechanische Uhrwerke in den Gehäusen.

Das Herzstück der Luxusuhrenindustrie kann zwar von in vielen Jahren ausgebildeten und talentierten Uhrmachern in – je nach Grad der Komplexität – in hunderten von Stunden montiert, aber auch von Bestückungsautomaten in Minuten zusammengesetzt werden. Ausgerechnet die Swatchgroup, zu der Marken wie Breguet, Blancpain oder Omega gehören, hat mit der Swatch Sistem 51 bewiesen, dass 51 Teile maschinell zusammengesetzt reichen, um eine mechanische Uhr herzustellen.

Mit den Standardwerken der Zulieferer versorgen sich Crowdfundprojekte ebenso wie normale Uhrenmarken. Hergestellt werden sie von dem zur Swatchgroup gehörenden Hersteller ETA. Auch Sellita und der zu Citizen gehörende Werke-Hersteller Miyota produzieren günstige Uhrwerke. Und auch in China gibt es Unternehmen, die mechanische Uhrwerke produzieren können - und sei es für die zahllosen Raubkopien, deren Existenz die Luxusuhrenhersteller gerne unterbinden würde.
So verwundert es auch nicht, dass einige der Crowdfunding-Uhren ihren Ursprung in Hongkong oder China haben. Dustin Fontaines Sternglas rühmt sich, aus Hamburg zu sein. Die Automatik-Uhr mit Miyota-Uhrwerk aus Japan, das auf der Rückseite durch den Glasboden zu sehen ist, erfüllt viele der Anforderungen der Branche, die trotz 24 Stunden arbeitenden CNC-Fräsen in den Werkstätten vor allem das Image der Handarbeit pflegt - und sich bezahlen lässt. Und der wenig daran liegen kann, dass offensichtlich wird, dass durch alternative Finanzierungsmodelle die modernen Kunden anzieht, die vielleicht vor vielen Jahren für eine schöne Uhr noch zum örtlichen Juwelier und einmal im Jahr nach Basel gefahren wären.

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