Vegetarisches Restaurant Hiltl Die Kirche der Gutesser

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Alkohol statt Haferschleimsuppe

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges und unter der Leitung von Ambrosius’ Sohn Leonhard lief das Restaurant dann kommerziell besser: Das Fleisch wurde damals auch in der neutralen Schweiz knapp – und Hiltl profitierte davon. Aufgrund der langen Erfahrung schmeckte fleischfreie Kost bei ihm schlicht besser als in anderen Gaststätten. Später wollte die vom Verzicht geprägte Nachkriegsgeneration indes vor allem eins: schlemmen. Sonntagsbraten, Schinken und Sahnesoßen waren Zeichen des Wohlstands. Wer kein Fleisch aß, konnte sich keines leisten – ein Vorurteil, das sich bis weit in die Siebzigerjahre hinein hielt.

Auch Rolf Hiltl wurde als Schüler regelmäßig wegen des Restaurants seiner Eltern gehänselt. Die erste Kritik an der Massentierhaltung, die sich damals regte, änderte daran nichts: Jetzt wurden Vegetarier zu weltfernen Hippies abgestempelt.

Als Rolf das Restaurant 1998 von seinem Vater übernahm, wollte er zunächst seinen Ruf ändern, sein Image aufpolieren: Vegetarier sein, das sollte künftig „in“ sein. Also strich Hiltl weniger wohlklingende Gerichte wie die Haferschleimsuppe von der Karte und setzte stattdessen Alkohol drauf: „Ich wollte mehr männliche Gäste.“ Und weniger alte Damen, die schlürfend über ihren Suppenschüsseln hockten. Ins Konzept passte auch die Entscheidung, eine Bar in das Stammhaus einzubauen und das Restaurant abends zu einem Club umzufunktionieren. So hatte er es in angesagten Läden in San Francisco gesehen.

An der US-amerikanischen Westküste hat Hiltl in den späten Achtzigerjahren mal ein Jahr gelebt. Und brachte nicht nur neue Ideen für die Inneneinrichtung mit, sondern auch ein Gespür für die richtige Vermarktung: „Die Welt ist laut geworden, da muss man manchmal auch schreien, um gehört zu werden.“ Unter seinen Mitarbeitern befinden sich deshalb heute vier Marketingspezialisten. „Wir können gut kochen“, sagt Hiltl, „aber die Leute müssen eben auch wissen, dass wir es tun.“ Er selbst arbeitet am eifrigsten an der Außenwirkung seines Unternehmens. Zum Beispiel Anfang des Jahres, als die Fenster seines Stammhauses am Rande einer Demonstration mit grauer Farbe besprüht wurden. Anstatt sie säubern zu lassen, wies er seine Mitarbeiter an, sie mit grünen Herzen zu übermalen. Anschließend postete er das Ergebnis bei Facebook, meldete sich bei Fernsehsendern und Radiostationen, die Hiltls Aktion anschließend als Sieg der grünen Veggie-Liebe über die graue Zerstörungswut feierten.

Das Kommunizieren sei halt „eine meiner Stärken“, sagt er. So kann man das ausdrücken. Wobei andere ihn bloß für einen Provokateur halten, der sich in die Schlagzeilen drängt. Etwa als er in seinen Clubs das Tragen von Pelzen verbot. Hiltl sagt, dass ihm dadurch etwa jeder vierte Gast verloren gegangen sei. Doch es lässt sich nicht bestreiten, dass er durch seinen Promi-Status das Restaurant zugleich für neue Zielgruppen öffnete.

Im Wandel der Zeit: Das älteste vegetarische Restaurant der Welt hat sich ständig neu erfunden Quelle: Adrian Bretscher

„Den typischen Businesslunch gab es bei uns früher selten“, sagt Hiltl, „mittlerweile kommen sogar die Banker zu uns.“ Auch in der wohlhabenden Finanzmetropole muss es nicht mehr unbedingt Foie gras sein. Besonders beliebt ist bei Hiltl das Zürcher Geschnetzelte – mit Seitan statt Kalbfleisch.

Laut einer Umfrage der Max Grundig Klinik unter etwa 1000 Führungskräften essen 16 Prozent der Frauen vegetarisch. Bei den Männern sind es elf Prozent, mehr als im Durchschnitt der Deutschen.

„Männliche Führungskräfte achten verstärkt auf gesunde Ernährung“, bestätigt die Hamburger Ökotrophologin Heike Niemeier, die vor allem Manager berät: „Manche wollen fit bleiben. Andere haben Angst davor, von jungen, agilen Kollegen abgehängt zu werden.“

Dem Hiltl-Imperium ist’s recht. Früher gehörte Filet zu einem erfolgreichen Geschäftsessen, heute reicht die Rote-Bete-Frikadelle. Und statt der Rinderroulade gibt es sonntags Hackbraten aus Soja-Geschnetzeltem. Und er selbst? „Fleischessen hat viel mit Tradition zu tun“, sagt Rolf Hiltl. Der Geruch eines Sonntagsbratens führe ihn immer noch zurück in seine Kindheit. Denn auch wenn die Familie seit 120 Jahren für ihre pflanzliche Kost bekannt ist – Fleisch gegessen haben sie fast alle.

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