Wein „Dieses Geschäft ist einfach zu schön“

Die Markgrafen zu Antinori gehören zu den schillerndsten Wein-Dynastien der Welt. Ein Gespräch über die Lage des italienischen Weins und die Angst vor Investoren in einer 650 Jahre alten Familie.

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Albiera (l) und Piero Antinori (r). Quelle: Dario Garofalo für WirtschaftsWoche

Herr Antinori, Frau Antinori. Sie haben in den vergangenen Monaten die Übergabe von der 26. auf die 27. Generation in der Unternehmensführung gestaltet. Wie viel Revolution ist nach mehr als 600 Jahren Familiengeschichte noch möglich in einem Wein-Unternehmen?
Albiera: In einem Familienunternehmen ist ja das Ideal, keine drastischen Änderungen vorzunehmen. Es muss flüssig gehen und man darf nicht von einem Tag auf den anderen merken, dass es rapide Änderungen gibt. Ich arbeite in diesem Familienunternehmen, seitdem ich 18 bin. Das vereinfacht die Kontinuität.
Piero: Es musste definitiv mehr Änderungen im Unternehmen geben, als ich 1966 von meinem Vater übernommen habe. Aus einem ganz einfachen Grund: Als ich begann, war es gleichzeitig der Beginn der großen Transformation in der italienischen Weinwirtschaft. Qualität war plötzlich wichtiger, die Art des Weinmachens war veraltet. Heute geht es mehr um Kontinuität. Und dennoch ist es gut, wenn die junge Generation immer neue Ideen hat. Die Welt ändert sich ja immer.

Sie haben Ihre Tochter jahrelang darauf vorbereitet, die Geschäfte zu übernehmen. War das bei Ihnen vor fünf Jahrzehnten auch so?
Piero: Mein Vater entschied eines Tages, dass ich das Unternehmen übernehmen sollte. Und er sagte mir: Von jetzt an trete ich zur Seite und Du tust, was Du für das Unternehmen am besten hälst. Wenn Du Rat brauchst, bin ich hier. Aber wenn Du was ändern willst: Mach es. Das war eine ziemlich große Verantwortung. Jetzt ist es etwas anders, weil ich gerne weiter mache, was ich mache. So komme ich jeden Tag ins Büro. Jede Entscheidung treffen wir zusammen. Es ist also anders als zu meiner Anfangszeit.

Was unterscheidet sich dann von der Zeit, als Sie Präsident und nicht Ehrenpräsident von Antinori waren?
Piero: Ich bin nicht mehr in die Alltagsentscheidungen involviert. Aber alle großen Entscheidungen, die strategischen Weichenstellungen nehmen wir alle zusammen vor in der Familie. Also Albiera, ihre beiden Schwestern und ich.

Wie regeln Sie, dass sie beide sich nicht ständig in die Quere kommen?
Albiera: Wir haben keine konkreten Job-Beschreibungen für uns. Das ergibt sich durch einen langen Prozess. Jeder von uns weiß, was er zu tun hat, wir sind alle seit langer Zeit hier involviert und haben unsere Rollen.
Piero: Es gibt hier eher ein Top-Management-Komitee als einen Alleinherrscher, dazu gehört neben der Familie auch unser CEO. Wir reden kontinuierlich und alle fünf wissen ständig, was gerade vor sich geht. Aber viele der alltäglichen Angelegenheiten sind Aufgabe des CEO, mit dem ich schon seit 38 Jahren zusammenarbeite. Er ist auf eine Art Mitglied der Familie, wenn er auch keine Anteile hält. Aber er ist für Familie und Unternehmen unglaublich wichtig. Er hat mein volles Vertrauen, weil wir so lange zusammenarbeiten und gleichzeitig das Vertrauen meiner Tochter. Er ist deswegen auch enorm wichtig, um die Übertragung von einer Generation auf die andere zu begleiten. Das ist für ein Familienunternehmen in Transition sehr wichtig, auch wenn es längst nicht alle haben. Ich sage oft, dass wir keine Probleme beim Generationenübergang haben, weil wir eben jemanden haben, der als Bindeglied zwischen den Generationen steht und Unternehmen wie Familie kennt

Der Klimawandel verändert den Weinanbau
Bei vier Grad Erwärmung lägen die Bedingungen der Champagne in England.
An der Südküste Australiens würde die Weinqualität leiden.
Auch in den USA würden sich die idealen Anbaugebiete verlagern.
Und in Neuseeland würde es für Weinanbau im Norden zu heiß.

Wäre es nicht sinnvoll, diese vielen Aufgaben in einer Familienverfassung zu regeln?
Piero: Der Übergang von einer Generation zur anderen geschieht bei uns in der Familie gewissermaßen auf natürlichem Wege. Es gab einfach immer ein Familienmitglied, das ganz eindeutig am stärksten in die Geschäfte involviert war und auf das es dann hinauslief. Meine Schwester war nicht interessiert, mein Bruder auch nicht, also lief es auf mich heraus. Deswegen brauchte ich auch eine Zeit lang einen Partner von außen, um meine Geschwister herauszukaufen. Und so ähnlich war es in den Vorgängergenerationen.
Albiera: Das hat sich bei uns eigentlich immer gefügt. Es gab in der Familie nie eine Situation, in der in einer Generation 24 Nachfolger etwas werden wollten. Das war ein Glück. So gab es nie Chaos durch zu viele Besitzer, wie es in anderen Familien oft ist
Piero: Bis heute ist die Familie relativ klein. Meine drei Töchter und ich. Natürlich haben die wiederum Kinder, sodass die Familie eines Tages wachsen wird – zum Glück.
Albiera: Wir haben deswegen für die nächsten 90 Jahre eine Familientreuhand gegründet, der das Unternehmen gehört. Sie soll in der Zeit dafür sorgen, dass die nächsten Generationen und das Unternehmen bestehen. Vor allem soll sie regeln, wer im Unternehmen etwas zu sagen hat. Sodass für 90 Jahre die strategische Richtung nun vorgegeben ist.
Piero: Wir wollen so Konflikte in der Familie vermeiden, auch wenn es die heute nicht gibt. Die Treuhand hat die Verantwortung, indem sie etwa entscheidet, wer hier künftig Chef wird. Und wir wollten so die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen garantieren und die Gefahr vermeiden, dass ein Erbe irgendwann nichts mehr vom Unternehmen will und seine Anteile verkauft. Es gibt schon jetzt ständig Angebot von großen Konzernen, das Unternehmen zu übernehmen. Die Treuhand ist so gestaltet, dass sie keinerlei Anteile verkaufen darf.

Spielraum für die Zukunft

Wie viel Spielraum bleibt Ihnen mit Vater auf der einen und Treuhand auf der anderen Seite überhaupt, das Unternehmen in Zukunft in Ihrem Sinne zu formen?
Albiera: Es gibt eine Reihe von Herausforderungen in unserem Geschäft. Im Marketing, im Verkauf vor allem durch das Web. Das ist bis heute von Weinproduzenten nicht erschlossen. Aber es gibt auch Herausforderung durch technologische Entwicklung in der Wein-Produktion. Und wir müssen andere Geschäfte entwickeln, um unser Kerngeschäft zu stärken. Zum Beispiel Restaurants oder das Übernachtungsgeschäft, das für die Vorgängergeneration noch keine Rolle spielte.
Piero: Es gibt eine Menge zu tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Unser Geschäft ist sehr wettbewerbsintensiv. Es gibt in Italien so viele kleine Produzenten, die alle ihren Marktanteil wollen. Und dann gibt es noch einen internationalen Wettbewerb, den es zu meiner jungen Zeit gar nicht gab: Südamerika, Neuseeland, Afrika, nun China – alle in der Welt wollen Wein produzieren. Der Konsum steigt ja auch, aber sehr langsam. Ich bin aber optimistisch: Wein-Konsum wird weiter wachsen, wenn auch langsam.
Albiera: Auch weil bisher ganze Teile der Welt nicht wussten, was Wein ist, und ihn nun entdecken.

Aber für Antinori wird die Situation ja nicht leichter: Sie sind zu klein, um bei den Großen mitzuspielen, und zu groß, um als kleiner Handwerksbetrieb das Eliten-Segment zu bespielen.
Albiera: Wir gehören sicher nicht zu den großen Playern in der internationalen Welt. Das ist nicht unser Ding. Wir reden zunächst mal über absoluten Qualitätswein. Innerhalb dieses Rahmens bestehen wir ja aus vielen kleinen Betrieben, die jeweils ihre eigene Identität haben. Das unterscheidet uns von vielen anderen. Wir sind ein Konglomerat kleiner Weingüter.
Piero: Für europäische Standards sind wir eher groß. Aber es gehört zu unserer Seele, dass wir unseren handwerklichen Ansatz beibehalten. Jedes Weingut hat seine eigene Kultur, seinen eigenen Ansatz. Alles zusammen ist das sehr groß, aber es bleibt eine Kombination kleiner Produzenten. Und diesen Ansatz einer kleinen handwerklichen Weinfertigung wollen wir unbedingt behalten.
Albiera: Jeder Betrieb hat seinen eigenen Kellermeister, seinen eigenen Betriebsleiter, seine eigene Mannschaft. Die müssen ihre Weine kennen, ihr Mikroklima, die Details ihrer Produkte.
Piero: Wir haben mehr als 2000 Hektar Wein. Aber jeder Verantwortliche hier muss jeden Wein beim Namen kennen und sollte wissen, wie es auf jedem Quadratmeter seines Weinguts aussieht. Das ist unser Erfolgs-Geheimnis.

Wie sehr gestalten Sie Ihre Weine mit?
Albiera: Ich bin keine Önologin. Aber klar, es gehört zu meiner Aufgabe, auch für den Wein eine Richtung vorzugeben und beurteilen zu können, was ein Wein ist. Ich helfe nicht bei der Lese, ich probiere nicht ständig jeden Zwischenstand. Aber mein Vater und ich werden einbezogen, bevor die endgültigen Weine abgefüllt werden, vor allem bei den teuren Weinen.

Welche großen Veränderungen sehen Sie in der Weinwelt?
Piero: Wir schauen mehr und mehr auf nachhaltige Landwirtschaft. Auch wenn wir nicht überall biozertifiziert sind, sind wir tatsächlich fast überall biologisch unterwegs. Das ist wichtig, weil das eine große Verbesserung der vergangenen 20 Jahre ist. Zuvor hatten wir dieses Bewusstsein gar nicht und waren gewohnt, chemische Produkte relativ gedankenlos zu nutzen.
Albiera: Das ist auch ein Kulturwandel. In Nordeuropa ist das schon verbreiteter als in Südeuropa. Wir müssen das auch auf die Leute runterbringen, dass sie ganzheitlich ökologisch denken, bis hin zur Mülltrennung. Das ist ein Prozess, den wir eingeleitet haben für den ganzen Betrieb.

In Deutschland arbeiten mittlerweile fast alle Spitzen-Weingüter biologisch. Wie viel Druck übt der Markt in diese Richtung aus?
Albiera: Der Bio-Markt wächst. Es ist aber fast egal, bei Wein bekommen Sie nämlich derzeit nicht mehr Geld für Bio-Wein. Wenn der Wein gut ist, kaufen ihn die Leute. Aber die Idee hinter dem Bio-Anbau überzeugt mich. Deswegen machen wir das. Das ist tatsächlich aber nicht vom Markt bedingt sondern durch unsere Ethik.
Piero: Wie Albiera schon sagt: Wir haben eine lange Geschichte und wir wollen genauso weit nach vorne schauen. Und dafür ist Nachhaltigkeit einfach ein wichtiger Punkt. Das gehört ja quasi zu unserer DNA.

Ökonomisch nachhaltig

Sie gelten auch als ökonomisch nachhaltig, weil Sie traditionell aus eigener Kraft wachsen seit einiger Zeit. Reizt es Sie nicht manchmal, Kapital von außen einzuholen, um schneller wachsen zu können?
Albiera: Wir wollen ja in unserer Generation ja gar nicht einfach schnell wachsen. Wir wollen wachsen, aber langsam und nachhaltig und vor allem im Qualitäts-Segment bleiben. Das schaffen wir, indem wir ökonomisch solide bleiben und das Geld investieren, das wir jedes Jahr erwirtschaften. Wenn man schnell wachsen wollen würde, müsste man anders arbeiten – aber das wollen wir nicht. Wenn man im Weingeschäft schnell wachsen will, tut man das meist über Zukäufe. Aber dann riskiert man die Qualität und das ergibt keinen Sinn.
Piero: In der Vergangenheit haben uns viele Banken empfohlen, an die Börse zu gehen. Aber das ist für uns einfach nicht die beste Lösung. Wenn man an die Börse geht, ist man verdammt, den Analysten alle drei Monate etwas zu erzählen und Fortschritt zu erklären. In unserem Geschäft braucht man aber längere Intervalle. Wenn Sie heute einen Weinberg planen, haben Sie den ersten positiven Cashflow in acht oder zehn Jahren. Das ist eine andere Mentalität als an den Börsen.

Dieses Jahr zum Beispiel gilt als Jahr mit schlechten Erträgen. Wie bewerkstelligen Sie das finanziell?
Piero: Wir haben dieses Jahr bei guter Qualität 30 Prozent unserer Menge verloren wegen des Wetters. Das ist dieses Jahr nicht so dramatisch, weil wir für solche Ausnahmejahre immer Ausgleichsmengen im Keller zurückhalten, die solche Einbrüche ausgleichen. Wenn das zwei Jahre hintereinander passiert, wäre das schon schlechter. Aber alle zehn Jahre können wir ein solches Jahr kompensieren.

Wo wollen Sie eigentlich noch absatzmäßig wachsen?
Albiera: China ist eine große Sache, wenn auch kompliziert. Frankreichs Weine waren dort etwas schneller. Es braucht Zeit, bis wir da Erfolg haben. Wir dachten, es gelingt uns früher, aber es braucht weitere zehn, 15 Jahre, bis Wein auch von der chinesischen Mittelschicht getrunken und nicht nur als Luxus-Produkt verstanden wird.

Vor allem drängt China auch auf den Produzenten-Markt.
Albiera: Das dürfte uns aber helfen, weil es die Idee von Wein als Alltagsgut zu verbreiten hilft.

Je mehr Produzenten aus China und Übersee in den Markt drängen, desto stärker folgt der Markt einer industriellen Logik. Wie wollen Sie da mithalten?
Albiera: Überall auf der Welt werden gute Weine produziert. In Europa haben wir unglaublich viele lokale Variitäten, das ist ein Glück, ein echter Schatz. Die Leute müssen verstehen, dass es in Italien Weine gibt, die es nur hier gibt. Deswegen sind europäische Weine eben auch deutlich teurer als Weine aus anderen Weltgegenden.  In USA oder China sind Marken wichtiger. Aber man kann die europäischen Marken ja aufwerten mit Begriffen wie Handwerk oder was eben europäischen Wein ausmacht. Aber klar: Es ist eine Herausforderung, jeden einzelnen europäischen Wein in seiner Bedeutung zu positionieren.
Piero: Wir sollten nicht versuchen, Wein für amerikanischen oder chinesischen Geschmack zu produzieren. Wir machen unseren Wein, der den Charakter der Regionen, wo er produziert wird, widerspiegelt. In den USA hat es ja auch eine starke Verbesserung beim Wissen der Kunden gegeben: Sie sind neugierig auf Wein, sie sind informiert. Die Weinkultur dort hat sich massiv verbessert. Und in China könnte es eines Tages genauso sein.

Was darf, was muss, was kann auf einem Weinetikett stehen?

Hier, rund um Florenz, gibt es unglaublich viele Unternehmen, die schon seit Jahrhunderten erfolgreich sind. Warum ausgerechnet hier?
Albiera: Es gibt hier sehr viele Familien, die im Wein- oder Landwirtschaftsgeschäft sind. Und das sind Geschäfte, die nachhaltiger sind und die länger anhaltend erfolgreich zu führen sind als andere Branchen.
Piero: Es ist sehr einfach, sich von Landschaft und Wein hier faszinieren zu lassen. Unser Geschäft ist ja auch ein sehr schönes. Wenn man die Landschaft mag, kann man die Landschaft genießen. Wenn man Reisen mag, kannst man viel reisen. Das Produkt ist ein wundervolles Produkt. Es gibt so viele Gründe, wenn man mit Wein arbeitet, seinen Beruf als Passion zu sehen. Deswegen gibt es viele, die einfach nicht verkaufen wollen. Das haben Sie in anderen Branchen eher nicht.

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