Weinkritiker Hugh Johnson "Ich kann es nicht erwarten, meinen Korkenzieher wegzuschmeißen"

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"Das war ein dummer Schachzug"

Dafür kam sicher etwas anderes.

Ja, unter anderem der Alkoholgehalt, auch wenn das ein komplizierteres Thema ist. Meines Erachtens hat es nur zu einem kleinen Teil mit dem Klimawandel und den steigenden Temperaturen zu tun. Wenn es ihnen als Winzer darum geht, möglichst reife Trauben zu ernten, dann bekommen sie inzwischen durch den höheren Zuckergehalt auch mehr Alkohol. Die möglichst perfekte physiologische Reife ist ein Credo – vor allem durch kalifornische Winzer geprägt, die durch lange Reife alles sanft haben wollen - das einen stärkeren Wein zur Folge hat. Wenn sie hingegen auf der Suche nach Balance sind und einen Anteil an weniger reifen Trauben verarbeiten oder früher ernten, dann sind sie in der Minderheit. Aber immer mehr Winzer suchen Balance. Niemand will Weine mit 15 Prozent Alkohol oder mehr trinken! Das war ein dummer Schachzug, die Weine mit so viel Alkohol zu versehen.

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Wieso?

Wenn Sie Winzer sind, dann wollen sie nicht, dass der Kunde nach einem Glas genug hat, sondern dass er möglichst eine Flasche trinkt. Aber wenn die Menschen nach einem Glas aufhören, weil der Wein so viel Alkohol enthält, dann untergräbt sich der Winzer das Geschäft. Das ist ganz simpel.

Dennoch heißt es, der Klimawandel verändere die Weinbranche, und Regionen, die bislang keinen Wein anbauen konnten, sind nun geeignet und in anderen wird es immer schwerer. In den vergangenen Wochen war es in Deutschland für den September zum Beispiel ungewöhnlich heiß.

Jedes Jahr ist ungewöhnlich. 2003, einem ebenfalls sehr heißen Jahr, sagte jeder, der Wein könne nichts werden. Und heute? Weine von guten Winzern sind wundervoll gelungen.
In der EU wird viel gestritten über das Weinrecht. Wäre ein einheitliches Recht nicht sinnvoll für alle Weinbaugebiete, damit der Kunde weiß, was drin ist, egal aus welchem Land der Wein kommt?
Nein, das würde nicht viel bringen. Denn die grundsätzlichen Faktoren, die Qualität bestimmen, variieren von Ort zu Ort, von Region zu Region, von Land zu Land. Aber es gibt ein universales Gesetz, das ich sehr begrüßen würde!

Welches?

Dass alles, was auf dem Etikett steht, die volle Wahrheit über den Inhalt angibt. Es geht mir nicht um gefälschte Weine, das ist ein Problem, das gelöst werden kann. Ich möchte, dass die Information, die auf dem Etikett ist, präzise ist. Winzer sollten belangt werden können, wenn sie falsche Dinge drucken. Das ist eine simple Regel, der kaum jemand widersprechen würde, die aber schwierig umzusetzen ist.
Wieso?

Zum einen hat keiner die Energie, diese Dinge zu überprüfen, außer man vermutet einen großen Skandal. Wahrheit bei den Etiketten beginnt aber damit, dass es genau ist. In Kalifornien dürfen sie einen Wein „Cabernet Sauvignon“ nennen, wenn er mindestens 75% der Traube enthält – das führt in die Irre.

Welche jüngeren Entwicklungen der Weinwelt haben Sie überrascht?

Unabhängig davon, dass ich Brite bin – die Produktion von Schaumwein in Großbritannien. Es begann als eine Imitation von Champagner. Aber ich halte es für eine große Entdeckung, dass dort perfekte Bedingungen haben. Zwei Champagner-Hersteller haben Land in England gekauft. Wir werden im Weltmarkt einen neuen Spieler sehen: Hochwertigen englischen Schaumwein. Bei einigen Weinproben mit Weinen aus aller Welt ist das derjenige, über den am meisten gesprochen wird.

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