Werner knallhart
Essbare Insekten: Wie wir uns zu Insektariern umerziehen können Quelle: imago images

Essbare Insekten: So überwinden wir den Ekel vorm Neuen

Die Insekten kommen – auf unsere Teller. Langsam. Sie sind gesund und ihre Aufzucht umweltfreundlicher als die von Rind und Schwein. Wenn sie bloß nicht so hässlich wären! Aber da können wir uns ganz leicht selber umerziehen: zu Insektariern.

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Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als Sushi nach Deutschland kam? So ab den 80er-Jahren. „Die Japaner essen nämlich rohen Fisch!“ Um Gottes Willen! Roher Fisch – das war gegen alle Hygieneregeln der deutschen Küche. Wenn das Fischstäbchen noch glasig war, dann drohten schließlich die ekeligsten Krankheiten. Sushi war erst eine Mutprobe, dann gar nicht mal so schlecht und heute teuer aber gesund und immer noch cool.

Und jetzt also Insekten? Ungeziefer? Tja, Würmer, Maden und Sechsbeiner haben bei uns einen schlechten Ruf. Entweder sind es Honigbienen oder man schlägt sie besser tot. Wer weiß, wo die vorher gesessen haben. Im Zweifel auf einem Haufen Hundekot. Und dann auf die Erdbeertorte. Widerlich. Und diese Viecher sollen wir jetzt essen?

Bevor wir darüber nachdenken, worin sich ein Schwein gewälzt hat, bevor es zur Wurst wurde, und wie ein Rind am Hintern aussah vor der Schlachtung, trainieren wir am besten ganz entspannt unsere Fähigkeit umzudenken. Denn im Zweifel werden wir davon nur profitieren.

1. Insekten sind gesund. Sie bestechen vor allem mit ihrem Proteingehalt. Bis zu 60 Prozent bringen die mit in ihren knackigen Leibern, sagt das Bundesamt für Risikobewertung. Zum Vergleich Protein-Champion Fisch: ein Stück Stremellachs kommt auf rund 25 Prozent. Dank ihrer gesunden Fettsäuren könnten Insekten tatsächlich sogar Fisch als Lebensmittel ersetzen oder zumindest ergänzen.

2. Insekten lassen sich mit wenig Futtermitteln aufziehen. Einer Studie der Vereinten Nationen nach muss man für ein Kilo Fleisch aus Grillen rund zwei Kilo Futter verfüttern. Bei Hühnern das Doppelte, bei Schweinen das Vierfache, für Rindfleisch zwölf Mal so viel. Und Insekten sind Wassersparmeister und produzieren viel weniger CO2 als Säugetiere. Von der Platzersparnis im Stall ganz zu schweigen. Welche Made träumt schon von Auslauf auf der Wiese? Und Insekten produzieren viel weniger klimaschädliches Methan als etwa Rinder. Insekten schonen also unsere Ressourcen und die Umwelt. Einige Experten sehen Insekten schon als die Lösung zum Sieg über den Welthunger.

Aber Insekten sollen ja keine Krisenration allein für Krisenzeiten in Krisenländern sein. In mehr als hundert Ländern knabbern die Leute Heuschrecken, Würmer und Maden. Zwei Milliarden Menschen. Der einzige Grund: Die Insekten schmecken ihnen. Und sie können mit westlichen Lebensmitteln mithalten, wenn es darum geht, unseren Geschmacksgewohnheiten gerecht zu werden. Wenn man sie gut zubereitet.

In Thailand habe ich schon Käferlarven probiert – frittiert und mit Sojasoße und Zitronengras verfeinert schmeckten sie irgendwie nach kräftig gewürzten Mandeln. Mit einer Form, Größe und Konsistenz wie Kidneybohnen. Ja, die ersten gingen nur mit kaltem Bier runter. Danach war es geschafft. Geknabbert wie Nüsse oder als Croutons auf Salat. Ich hatte aber nicht immer Glück. Einst griff ich zu knusprigen Mehlwürmern, die schmeckten irgendwie fischig. Schlecht gewürzt. Es liegt also an der Zubereitung.

In Deutschland nehmen die Insekten erst ganz langsam Fahrt auf. Jetzt, da sie seit Anfang des Jahres hierzulande auch ins Essen dürfen. Noch sehr schüchtern allerdings, etwa gemahlen in Nudeln oder in Frikadellen. Der Grund für das Pulverisieren: Im Nordwesten des Globus gelten Insekten als optisch abstoßend.

Aber wenn wir nun die oben genannten Argumente betrachten: gesund, umweltschonend, wohlschmeckend. Sollten wir dann unseren Ekel nicht systematisch überwinden, um uns neue Optionen zu eröffnen? Motto: „Esst Fliegen. Zwei Milliarden Menschen können nicht irren.“ Ich möchte hierzu meine Spinnen-Geschichte erzählen. Spinnen sind keine Insekten, ich weiß. Acht Beine sind der beste Beweis. Aber trotzdem. Denn als Kind hatte ich einen anerzogenen Ekel vor Spinnen. Diese ganzen Beine, diese ganzen Haare, diese ganzen Augen. Und dann saugen sie auch noch ihre Opfer aus. Ein Horror. Sie mit dem Staubsauger wegzusaugen, jagte mir schon Schauer über den Rücken, denn für einen Bruchteil einer Sekunde war sie ja dann meinen Händen am Saugrohr sehr, sehr nah.

Als ich dann in der Schule lernte, dass diese Spinnen für Menschen weder giftig sind noch Krankheiten übertragen, motivierte mich das zum Umdenken: Irgendwie ist so eine Spinne doch wie ein Kumpel. Ein Kollege. Denn wir beide wollen keine Mücken und Fliegen im Zimmer. Die Motivation ist zwar eine andere, aber die Zielsetzung die gleiche. Die Spinne an der Wand und ich: ein Dreamteam. Seitdem ich Spinnen so betrachte, kann ich sie entspannt mit den Händen einfangen und raussetzen. Oder ich lasse sie einfach in der Ecke sitzen. Sie wollen doch nur in Frieden ihren Job erledigen.

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