Werner knallhart
Wie wird das Aufzugfahren angenehmer? Quelle: imago images

Im Aufzug mit anderen: Man kommt sich einfach blöd vor

Souverän sein im Aufzug – es geht einfach nicht. Weder im eigenen Betrieb, noch im Hotel, im Kaufhaus oder zu Hause im Mehrfamilienhaus. Dafür sind wir einfach zu sehr Mensch. Gebt uns den Paternoster zurück.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ja, die Idee mit dem Fahrstuhl ist praktisch. Aber ein Paternoster ist besser. Denn: 

1.  Beim Paternoster ist immer sofort eine Kabine da.

2.  Man hat seine Kabine meist allein für sich. 

Der Aufzug mit einzelner Kabine im Schacht hingegen ist aus mehreren Gründen Gift fürs Gemüt.

Zum einen fühlt man sich der Willkür der Technik ausgeliefert. Kein Mensch auf der Welt weiß, nach welchem System der jeweilige Aufzug einen abholt. Ich glaube, selbst den Ingenieuren ist die Kontrolle irgendwann vor Jahrzehnten entglitten. Besonders in Kaufhäusern habe ich das Gefühl: Da gibt es eine Funktion - ich nenne sie die Weißglut-Funktion -, mit der sich die zwei oder drei nebeneinander installierten Fahrstühle so aufeinander abstimmen, dass sie einzelne Etagen eigenständig minutenlang umfahren. Wollen sie die wartenden Kunden auf andere Ideen bringen? „Ach, das dauert jetzt so lange mit dem scheiß Aufzug, dann gehe ich lieber nochmal einkaufen und gebe ganz viel Geld aus“ - so in der Art? Klappt nicht. 

Je länger man wartet, desto mehr frisst sich der Gedanke fest: Jetzt warte ich erst recht, denn wenn ich jetzt die Treppe nehme, müsste ich mir eingestehen, dass mich die Maschine ausgetrickst hat. Und so wartet man und wartet. Und mittlerweile warten schon andere neben einem, die aber nicht wissen, wie lange man schon wartet. Deshalb guckt man dann demonstrativ auf die Armbanduhr, stöhnt dezent und schreitet zum Treppenhaus. Und wie man gerade die ersten Stufen nehmen will, hört man durch die hinter einem zufallende Brandschutztür eben noch das Pling der sich öffnenden Aufzugtür. 

Da lobe ich mir die Aufzüge im Hauptbahnhof von Berlin. Die sind aus Glas. Da sieht man, dass es sich nicht lohnt zu warten. Die sind so lahm, betreten Sie die niemals ohne ausreichend Proviant.

Dazu kommt dann menschliches Versagen. Wie oft drücken die Leute auf den Pfeil nach oben, weil sie den Aufzug oben anfordern wollen, um nach unten zu fahren. Bis heute hat sich noch nicht in den letzten Winkel der Zivilisation herumgesprochen, was das mit den Pfeilen soll. Manche drücken auch immer beide Pfeile, um die Chance zu verdoppeln, dass einer kommt. Ich sage Ihnen: Wenn das so weitergeht, werden bald die Delfine die Weltherrschaft von den Menschen übernehmen. 

Schafft man es dann tatsächlich einmal in eine Aufzugkabine, dann hält man vor allem in Kaufhäusern und Parkhäusern auf jeder einzelnen Etage und guckt von innen hinter die beiseite klappernden Schiebetüren in große Augen:
„Fahren Sie runter?“
„Nein, hoch.“
„Ah, ok, nee, wir wollen runter.“ 

Zivilisatorischer Irrweg: Aufzugknopf doppelt drücken 

Apropos menschliches Versagen: Es bringt nichts, einen leuchtenden Knopf ein zweites Mal zu drücken. Echt nicht. Mal ein Beispiel. Man soll ja immer Beispiele bringen, weil sich das besser einprägt. Also: Frau Michaela Rastmann (27) aus Göttingen will ihre alte Schulfreundin Katja Beck (30 - damals früher eingeschult und dann zweimal sitzengeblieben) in Darmstadt besuchen. Gemeinsam wollen sie es sich in einem Café in der Innenstadt gemütlich machen und über alte Zeiten tratschen. Um das unterirdische Parkhaus zu verlassen, steigen sie auf P1 in den Aufzug nach oben. Darin steht schon Familie Denninger, die auf P2 geparkt hat, ebenfalls raus will und deshalb schon die Taste mit dem Buchstaben E gedrückt hat. Die Taste leuchtet hell. Hell und klar. Ja, sie erstrahlt regelrecht. Als Michaela und Katja einsteigen, drückt Katja unumwunden die Taste E. Weil das ja klar ist. Denn auch die beiden Damen wollen ja schließlich hoch ins Erdgeschoss. Aber dennoch: An Michaelas Stelle hätte ich mich sofort in die Lichtschranke geschmissen und wäre ohne ein Wort wieder nach Göttingen abgereist. Wer will schon mit einer Aufzug-Doppeldrückerin in der Öffentlichkeit gesehen werden?

Spontane Schicksalsgemeinschaft

Am quälendsten aber ist die Frage: Wie verhalten, wenn man in einer kleinen Gruppe im Aufzug unterwegs ist. Ganz allein im Aufzug zu fahren, scheint für die meisten kein Problem zu sein. Allein wird Aufzug fahren zur "quality time". Zeit für gute Selfies im Spiegel. Teens und Twens bräuchten nur halb so viel Speicherplatz auf dem Handy, gäbe es keine Fahrstühle. Alles wegen des Kabinenspiegels. Der taugt nicht nur zur Nasenhaarkontrolle oder dem Zahncheck nach Spaghetti pesto.

Steigen dann aber Leute zu, wird es kritisch. In großen Gruppen nicht so sehr, da geht man in der Masse unter. Aber was, wenn Sie dann nur zu zweit unterwegs sind? Nah zu einem Fremden, eingesperrt als spontane Schicksalsgemeinschaft. Ohne Bock auf Zweisamkeit.

Es gibt Leute, die stürzen sich in den Smalltalk. Eigentlich eine gute Idee, um das beklemmende „Ich lasse mir nicht anmerken, dass es gerade eine total peinliche Situation ist“-Schweigen zu brechen. Aber man kann es auch übertreiben. Einst stieg ich in Myanmar im Hotel in den Aufzug und wollte vom Erdgeschoss in den vierten Stock. Eine junge Amerikanerin stand schon drin. Ich erinnere mich. Die Türen waren noch nicht zu, da fragte sie:

„Woher kommst du?“
„Aus Deutschland.“
„Ich aus den USA. Was machst du hier? Urlaub und Geschäfte?“
„Urlaub.“ Und dann rutsche es aus mir heraus: „Und du?“
Sie: „Also, wir sind zu zweit unterwegs. Wir waren schon in Thailand, das war genial. Wobei, im Norden war es kühl. Jetzt müssen wir erstmal sehen. Wahrscheinlich bleiben wir erstmal noch drei, vier Tage hier. Im Reiseführer steht, dass - “
PLING! Vierter Stock.
Ich: „Ok, gute Reise, bye.“

Nein, das Lift-Blabla ist nicht für mich. Mein Tipp für alle, die im Aufzug am liebsten im Boden versinken würden, ginge es darunter nicht im freien Fall weiter: Beim Einsteigen ein lautes „SCHÖNEN GUTEN TAG!“ in die kleine oder große Runde. Damit sind Sie der Platzhirsch und können sich auf sich selbst zurückziehen. Kopfhörer rein, Smartphone raus, Augen schließen. Wie auch immer. Dass Sie sich blöd vorkommen - das unterstellt Ihnen nach Ihrem fulminanten Aufzug-Auftritt nun keiner mehr.

Der Elevatorpitch des Grauens 

Am aller unangenehmsten ist es aber in der Firma. Es gibt nur eine Konstellation, bei der Aufzug fahren belebend wirkt: in der Gruppe seiner Lieblingskollegen runter in die Kantine. Da hat man um sich, wen man mag. Aber was ist morgens? Wenn dann die Vorgesetzten mitfahren?

„Und? Was steht bei Ihnen heute an?“
Beste Antwort: „Nichts.“
PLING! Raus. 

Aber auch Chefs und Chefinnen haben es nicht leicht. Denn Mitarbeiter nutzen das Zwangsmeeting in der Kabine gerne, um zu besprechen, wofür diese Woche kein Termin mehr zu kriegen war im strengen Vorzimmer.

Es gibt engagierte Mitarbeiter, die nutzen die 35 Sekunden zwischen Erdgeschoss und oben, um an der eigenen Karriere zu basteln und die wichtigsten Bulletpoints (wie man heute zu „Fakten“ sagt) rauszuballern. Und nennen es  - Silicon Valley approved  - Elevatorpitch. Und die umgarnten Entscheider denken sich: jetzt lieber abstürzen, als steckenbleiben.

Dem Autor auf Twitter folgen:



Und was, wenn nun ausgerechnet der verhasste Kollege zusteigen will? Der Emporkömmling, der sich in jeder Konfi beim Geschäftsführer einschleimt, aber die Praktikanten immer schön zur Sau macht? Auf den Knopf zum Türenschließen einhämmern? Zu auffällig. Einen Anruf vortäuschen? Im Lift ist kein Empfang.
Ich habe mir angewöhnt, für solche Fälle immer ein Päckchen Notkaugummi dabei zu haben. Tief im Rucksack verkramt. Die stumme Suche danach deckt mindestens fünf Stockwerke ab. Und am Ende steckt man sich ein Dragee in den Mund, starrt dem Kollegen selbstbewusst lächelnd und kauend in die Augen und bietet dem Kotzbrocken keins an. 

Und dann wiederum gibt es Leute, die rennen am Feierabend lieber zehn Etagen über die Treppe runter, anstatt das Risiko einzugehen, im Fahrstuhl in Mantel und mit Tasche vom Chef beim Aufbruch erwischt zu werden, ohne eine einzige Überstunde gemacht zu haben: „Wie, haben Sie heute einen halben Tag frei?“ 

Aufzugfahren ist einfach sozial unverträglich und peinlich. Der einzige Fall, in dem man guten Gewissens einsteigen könnte, weil man garantiert seine Ruhe hätte, ist der Brandfall. Aber das ist mir persönlich zu heiß.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%