Nachteile seien zum Beispiel die Servicegebühr, die nicht möglichen persönlichen Gespräche, dass man ein Smartphone benötigt und dass der AU-Schein dann eben per Post versendet wird (was mindestens einen Tag länger dauert, als ihn selbst abzuholen). Wobei das Dokument auch per Foto (über WhatsApp) zugesendet wird, was aber nicht allen Arbeitgebern reicht.
Ja, und dann wird noch auf einen gravierenden Nachteil hingewiesen: der skeptische Arbeitgeber. Der – und auch die Krankenkasse – könnten „grundlos misstrauisch werden und sogar abwegige Rechtsansichten vertreten zu Ihrem Nachteil, nur weil der Arzt an einem anderen Ort sitzt und die Wahrscheinlichkeit von Blaumachen bei Telemedizin höher eingeschätzt wird.“
In der Tat, das könnte gut sein. Zu Unrecht, wie ich finde. Was das gute Gefühl des Arbeitgebers angeht, wenn er bei Erkältung einen vom Kranken persönlich abgeholten AU-Schein in Händen hält: Wer es drauf anlegt zu betrügen, setzt eben einfach eine leidende Miene auf und jammert: „Herr Doktor, ich habe Kopf- und Gliederschmerzen, mein Hals kratzt, ich habe überhöhte Temperatur, wenn ich meine Augen drehe, schmerzen die und ich friere.“ Welcher Arzt würde da sagen: Stimmt nicht, ich schreibe Sie nicht krank? Das passiert doch höchstens, wenn der Patient zum fünften Mal im Jahr damit kommt. Der persönlich abgeholte Schein ist also bei Erkältungen kein sicherer Schutz vor Blaumachen.
Wie deutsche Patienten bereits von Telemedizin profitieren
Ärzte vernetzen sich per Videoschalte oder online miteinander, um Befunde oder Röntgenbilder auszutauschen, Auffälligkeiten zu besprechen und Therapieoptionen abzustimmen. In Krankenhäusern ist das schon seit Jahren selbstverständlich. Inzwischen bieten auch ärztliche Berufsverbände solche telemedizinischen Konsile an, etwa die Kinder- und Jugendärzte. Vorteil: Ärztliches Fachwissen gelangt rasch in die Praxis vor Ort, Patienten müssen keine langen Anfahrtswege auf sich nehmen.
In mehreren Bundesländern gibt es solche auf die Schlaganfallbehandlung spezialisierten Konsilnetzwerke. Vor allem kleinere Kliniken ohne eigene Neurologie profitieren. Werden Patienten mit akuten Schlaganfällen in diese Kliniken eingeliefert, können die dortigen Ärzte etwa per Videoschalte Neurologen in auf Schlaganfälle spezialisierten Zentren hinzuziehen - Untersuchung live und in Farbe sozusagen.
Zum Hausbesuch vor allem bei alten und körperlich eingeschränkten Patienten rückt nicht der Hausarzt, sondern die Praxisangestellte mit einem Telemedizin-Rucksack an. Ausgerüstet unter anderem mit einem mobilen EKG-Gerät, kann sie vor Ort die für die Beurteilung des Gesundheitszustandes wichtigsten Diagnosedaten messen und direkt per Laptop in die Praxis übertragen. Vorteil: Der Hausarzt kann sich seinem vollen Wartezimmer zuwenden.
Krankenkassen vergüten seit Kurzem Videosprechzeiten - allerdings nicht für alle Fachgruppen und nur bei bestimmten Erkrankungen, etwa bei der Kontrolle chronischer Wunden und Operationswunden, der Beobachtung von Hautentzündungen oder zur Beurteilung von Bewegungseinschränkungen.
Und den Service AU-Schein.de kann jeder sogar nur zwei Mal pro Jahr in Anspruch nehmen. Um Missbrauch weiter zu verhindern – und wohl auch, um der Akzeptanz unter Arbeitgebern, Krankenkassen und Ärzten zu erhöhen.
Dennoch sehen einige Ärzte das Modell kritisch. Etwa die Hamburger Ärztekammer. Kammer-Präsident Pedram Emami sagte dem NDR, dass er es als Arzt problematisch finde, einen Patienten vor der Krankschreibung nicht persönlich zu sehen. Die Rechtsabteilung der Ärztekammer überprüft derzeit das Geschäftsmodell.
Aber wenn es noch nicht einmal möglich ist, eine Erkältung von der Ferne zu diagnostizieren, wie soll dann jemals Telemedizin möglich werden? Wie soll dann dank moderner Kommunikationsmethoden der Ärztemangel auf dem Land kompensiert werden? Geht von der Ferne nur ein „Hallo Doc, ich bin gesund“, und sobald etwas Kleines ist, muss man persönlich in Praxis oder Klinik vorbeikommen?
Glaubt die Ärztekammer in Hamburg wirklich, dass man Symptome zu Erkältungskrankheiten nicht schriftlich beantworten kann, wo man doch sonst als neuer Patient einer Praxis beim Aufnahmebogen Fragen zu Allergien, Vorerkrankungen und Medikamentenkonsum auch nur schriftliche Angaben macht, die der Arzt in vielen Fällen nicht noch einmal überprüft (etwa durch Blutproben oder Allergietests). Wieso geht das dann nicht bei einer Erkältung?
Hier lautet die Devise: Loslassen können. Schlimm genug, dass Dokumente noch per Post umhergeschickt werden müssen. Lasst uns Patienten wenigstens in Ruhe unsere Erkältung auskurieren. Der AU-Schein per WhatsApp kann ja nur der Anfang sein. Auf dem Weg zu einer groß aufgestellten Telemedizin, die Ärzte, Krankenkassen und vor allem Patienten entlastet.