Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Das gilt sicher für viele Situationen im Leben. Aber nicht für den Sommerurlaub! Man sollte bleiben, solange es hier am schönsten ist. Für den Urlaub gilt eben die andere Lebensweisheit: Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an.
Erinnern wir uns an das Gemoser über den hinter uns liegenden elend langen Winter. Der Massenfrust war ja nachvollziehbar (wenn auch sinnlos). Allerdings kenne ich in Berlin etliche Zugezogene aus dem Ausland, die die Sommerzeit nutzen, um für ein paar Wochen in ihre Heimatländer USA, Spanien oder Italien zurückzukehren. Dann kommen sie im September zurück und meckern ab Oktober herum, das Wetter in Berlin sei immer so beschissen.
Ich sach: „Kinners, das täuscht.“ Und werde ihnen nun im Sommer von Zeit zu Zeit Screenshots aus ihrer Wahlheimat Berlin in die fernen Länder schicken: von der Wettervorhersage für Berlin - 24 Grad, 27 Grad, 32 Grad, 31 Grad, 29 Grad. Fürs nächste Mal dann.
Nun kann ich diese bedauerliche Sommerflucht der Zugezogenen ja irgendwie verstehen. Die Sommerzeit ist im Kreise ihrer Familie eben auch die schönste. Aber jetzt erklären Sie mir mal, warum die meisten von uns Einheimischen ebenfalls im Hochsommer abhauen und Deutschland ausgerechnet in der schönsten Jahreszeit wochenlang den Rücken kehren.
Denn: Was spricht alles gegen Reisen im Sommer?
1. Horrorstaus in ganz Mittel- und Südeuropa - wie demütigend, dort jedes Jahr wie die Lemminge reinzufahren. Und der ADAC steht daneben und schüttelt verzweifelt den Kopf.
2. Höhere Flug- und Hotelpreise - mit Sommerreisenden kann man es ja machen.
3. Volle Strände im Süden - wenn man sich nicht traut, das Handtuch zum Abtrocknen hochzunehmen, weil jemand Fremdes währenddessen den freien Platz im Sand belegen könnte.
4. Extreme Hitze in den Urlaubsländern - inklusive Blasenentzündung, wenn die Klimaanlage die Nacht über durchläuft.
5. Besoffene deutsche Teenager mit nur noch einem Schuh oder besoffene britische Teenager mit leuchtendem Sonnenbrand - die allesamt auf Kosten der Nachtruhe ihre noch nicht vollständig ausgewachsene Männlichkeit kompensieren.
Gut, es gibt auch andere Gegenden als die unter 5. Aber trotzdem: Wer der Meinung ist, dass das alles sein muss, der ist mit Sicherheit auch der Meinung: Nur eine Reise ins Ausland ist ein richtiger Urlaub.
Aber was, wenn im Sommer zu Hause zu bleiben auch als Urlaub durchginge? Ist nicht alles, was unsere städtischen Plätze, unsere Parks, unsere Badeseen, unsere Spielplätze, unsere Wanderwege ausmacht, eigentlich auf den Sommer ausgelegt? Weihnachtsmärkte etwa laufen doch unter dem heimlichen Motto: das Beste aus dem Winter machen. Aber Straßenfeste, Jahrmärkte, Weinfeste, Musikfestivals im Sommer sind keine Schönrednerei. Freibäder sind besser als Hallenbäder, an den Tischen draußen unter dem Sternenhimmel mit der Familie Pizza zu essen und Cocktails zu trinken, macht doch klar mehr Spaß, als im Winter drinnen in der überheizten Bude mit der feuchten Daunenjacke hinten an der Stuhllehne.
Und dann der eigene Balkon: Den ganzen Herbst und Winter über dient er nur als Lagerfläche für Pfandflaschen - mit dem unter der Schutzhaube versteckten Grill und den hochkant gestellten Gartenmöbeln. Aber wenn es richtig schön wird draußen, wir ihn für die warme Jahreszeit rausgeputzt haben, das Efeu grünt, der Bambus sprießt, die Geranien blühen und die Nächte lau sind, lassen wir das kleine Paradies wochenlang zurück und sorgen uns darum, wer um Himmels Willen den kleinen Gemüsegarten aberntet, wo immer alles genau dann reif ist, wenn wir weg sind: „Danke fürs Blumengießen. Bitte bedient euch am Tomatenstrauch.“