Werner knallhart

Im Aufzug mit anderen: Man kommt sich einfach blöd vor

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Spontane Schicksalsgemeinschaft

Am quälendsten aber ist die Frage: Wie verhalten, wenn man in einer kleinen Gruppe im Aufzug unterwegs ist. Ganz allein im Aufzug zu fahren, scheint für die meisten kein Problem zu sein. Allein wird Aufzug fahren zur "quality time". Zeit für gute Selfies im Spiegel. Teens und Twens bräuchten nur halb so viel Speicherplatz auf dem Handy, gäbe es keine Fahrstühle. Alles wegen des Kabinenspiegels. Der taugt nicht nur zur Nasenhaarkontrolle oder dem Zahncheck nach Spaghetti pesto.

Steigen dann aber Leute zu, wird es kritisch. In großen Gruppen nicht so sehr, da geht man in der Masse unter. Aber was, wenn Sie dann nur zu zweit unterwegs sind? Nah zu einem Fremden, eingesperrt als spontane Schicksalsgemeinschaft. Ohne Bock auf Zweisamkeit.

Es gibt Leute, die stürzen sich in den Smalltalk. Eigentlich eine gute Idee, um das beklemmende „Ich lasse mir nicht anmerken, dass es gerade eine total peinliche Situation ist“-Schweigen zu brechen. Aber man kann es auch übertreiben. Einst stieg ich in Myanmar im Hotel in den Aufzug und wollte vom Erdgeschoss in den vierten Stock. Eine junge Amerikanerin stand schon drin. Ich erinnere mich. Die Türen waren noch nicht zu, da fragte sie:

„Woher kommst du?“
„Aus Deutschland.“
„Ich aus den USA. Was machst du hier? Urlaub und Geschäfte?“
„Urlaub.“ Und dann rutsche es aus mir heraus: „Und du?“
Sie: „Also, wir sind zu zweit unterwegs. Wir waren schon in Thailand, das war genial. Wobei, im Norden war es kühl. Jetzt müssen wir erstmal sehen. Wahrscheinlich bleiben wir erstmal noch drei, vier Tage hier. Im Reiseführer steht, dass - “
PLING! Vierter Stock.
Ich: „Ok, gute Reise, bye.“

Nein, das Lift-Blabla ist nicht für mich. Mein Tipp für alle, die im Aufzug am liebsten im Boden versinken würden, ginge es darunter nicht im freien Fall weiter: Beim Einsteigen ein lautes „SCHÖNEN GUTEN TAG!“ in die kleine oder große Runde. Damit sind Sie der Platzhirsch und können sich auf sich selbst zurückziehen. Kopfhörer rein, Smartphone raus, Augen schließen. Wie auch immer. Dass Sie sich blöd vorkommen - das unterstellt Ihnen nach Ihrem fulminanten Aufzug-Auftritt nun keiner mehr.

Der Elevatorpitch des Grauens 

Am aller unangenehmsten ist es aber in der Firma. Es gibt nur eine Konstellation, bei der Aufzug fahren belebend wirkt: in der Gruppe seiner Lieblingskollegen runter in die Kantine. Da hat man um sich, wen man mag. Aber was ist morgens? Wenn dann die Vorgesetzten mitfahren?

„Und? Was steht bei Ihnen heute an?“
Beste Antwort: „Nichts.“
PLING! Raus. 

Aber auch Chefs und Chefinnen haben es nicht leicht. Denn Mitarbeiter nutzen das Zwangsmeeting in der Kabine gerne, um zu besprechen, wofür diese Woche kein Termin mehr zu kriegen war im strengen Vorzimmer.

Es gibt engagierte Mitarbeiter, die nutzen die 35 Sekunden zwischen Erdgeschoss und oben, um an der eigenen Karriere zu basteln und die wichtigsten Bulletpoints (wie man heute zu „Fakten“ sagt) rauszuballern. Und nennen es  - Silicon Valley approved  - Elevatorpitch. Und die umgarnten Entscheider denken sich: jetzt lieber abstürzen, als steckenbleiben.

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Und was, wenn nun ausgerechnet der verhasste Kollege zusteigen will? Der Emporkömmling, der sich in jeder Konfi beim Geschäftsführer einschleimt, aber die Praktikanten immer schön zur Sau macht? Auf den Knopf zum Türenschließen einhämmern? Zu auffällig. Einen Anruf vortäuschen? Im Lift ist kein Empfang.
Ich habe mir angewöhnt, für solche Fälle immer ein Päckchen Notkaugummi dabei zu haben. Tief im Rucksack verkramt. Die stumme Suche danach deckt mindestens fünf Stockwerke ab. Und am Ende steckt man sich ein Dragee in den Mund, starrt dem Kollegen selbstbewusst lächelnd und kauend in die Augen und bietet dem Kotzbrocken keins an. 

Und dann wiederum gibt es Leute, die rennen am Feierabend lieber zehn Etagen über die Treppe runter, anstatt das Risiko einzugehen, im Fahrstuhl in Mantel und mit Tasche vom Chef beim Aufbruch erwischt zu werden, ohne eine einzige Überstunde gemacht zu haben: „Wie, haben Sie heute einen halben Tag frei?“ 

Aufzugfahren ist einfach sozial unverträglich und peinlich. Der einzige Fall, in dem man guten Gewissens einsteigen könnte, weil man garantiert seine Ruhe hätte, ist der Brandfall. Aber das ist mir persönlich zu heiß.

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