Management-Wissen Die wichtigste Maxime, die sich Manager beim Militär abschauen

Managementseminare im Armee-Stil sind in den USA angesagt, in Deutschland jedoch umstritten. Tatsächlich können zivile Chefs vom Militär lernen. Doch es gibt Grenzen der Übertragbarkeit zwischen Ballern und Business.

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Beim Militär werden Vorgesetzte wie Flugstaffelführer werden darauf gedrillt, in komplexen Situationen schnell zu entscheiden.

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Die Mission hat Joel Neeb klar definiert: Ein Hubschrauber ist im feindlichen Gebiet abgestürzt, nun müssen die Teams versuchen, den Kollegen zu retten. Der Amerikaner Neeb, der lieber auf den Spitznamen „Thor“ hört, ist an diesem Wochenende im März bei der Allianz in München zu Gast. Die 200 Top-Führungskräfte des Versicherungskonzerns sind zum Strategiemeeting versammelt. Sie rechnen mit Powerpoint-Präsentationen von überschaubarer Dramatik.

Und nun das. Überraschend erscheint Neeb mit seinen Kollegen, alle in Tarnanzüge gekleidet, auf der Bühne des Allianz-Auditoriums. Neeb teilt die Manager in Teams von 15 bis 18 Personen ein. Die wichtigsten Fakten der Mission hat er für jeden auf einem Blatt Papier festgehalten. „Jeder hat eine andere Rolle, von der der Rest des Teams nichts weiß“, erklärt der frühere Airforce-Pilot. Die Versicherungs-Manager bekommen Landkarten. Sie müssen entscheiden, welche ihrer Flugzeuge sie einsetzen und wann sie sie betanken lassen, um ihre Rettungsmission erfolgreich abzuschließen.

Für dieses Kriegsspiel hat Allianz-Chef Oliver Bäte viel Kritik bekommen, nachdem das Magazin „Der Spiegel“ über das Training berichtet hatte. Was nicht im „Spiegel“ stand: Den Versicherungsmanagern hat es gefallen. Auf einer Skala von 1 für „sehr schlecht“ bis 10 für „exzellent“ vergaben die Allianz-Führungskräfte 8,5 Punkte für die ungewöhnliche Aufwärmübung, die Neeb mit seiner Firma Afterburner anbietet. US-Konzerne wie Google, Microsoft und General Motors, alles Kunden von Afterburner, sind ebenfalls von Neebs Methode überzeugt. Und er ist nicht allein im Markt. In Deutschland offerieren inzwischen etliche Anbieter Seminare für Firmen, bei denen die Einsätze von Spezialkommandos simuliert werden.


Paramilitärisches Mitmachtheater für Kindsköpfe

Ist das alles bloß die neueste Volte im Eventzirkus? Paramilitärisches Mitmachtheater für Kindsköpfe in Nadelstreifen? Tatsächlich können sich Manager einiges vom Militär abschauen. Doch es gibt auch Grenzen der Übertragbarkeit zwischen Ballern und Business – und nicht immer werden diese Grenzen beachtet.

Überall, wo es wie bei Kampfeinsätzen um Leben und Tod geht, sind rasche, aber fundierte Entscheidungen nötig. Dafür greifen Befehlshaber, egal, ob US Airforce oder Bundeswehr, auf ein Denkmuster zurück: Sie analysieren die relevanten Fakten und Entscheidungsoptionen inklusive ihrer jeweiligen Risiken und Vorteile für alle Beteiligten. Erst danach, dann aber unmissverständlich erfolgt die entsprechende, Order an alle Einheiten. Genau darum ging es auch im Allianz-Training. „Die Manager sollten lernen, in einem komplexen Umfeld schnell Entscheidungen zu treffen,“ sagt Neeb.

Was als Denkanstoß für Zivilisten gedacht war, ist bei der Bundeswehr Standard in der Führungskräfte-Ausbildung. „Darauf werden militärische Vorgesetzte vom Gruppenführer an bis zum Bataillonskommandeur gedrillt, damit dieser Entscheidungsprozess auch unter schwierigsten Umständen intuitiv abläuft“, sagt Erwin Hoffmann. Er ist Hauptmann der Reserve bei der Bundeswehr und Professor für Personalentwicklung an der privaten Fresenius-Hochschule. Auf Grundlage seiner militärischen Erfahrung bringt er Managern außerdem bei, wie sie ihren Willen klar äußern, sich zur eigenen Führungsstärke bekennen und uneingeschränkt Verantwortung übernehmen.


Was sich Manager beim Militär abschauen können

Die Führungsphilosophie ist das Gebiet, auf dem sich Manager am meisten vom Militär abschauen können. Wesentliche Grundlagen für Anführer seit der Antike sind Vorbild und Vertrauen. Bei Alexander dem Großen galt: Die Nummer eins muss in der ersten Reihe kämpfen, darf sich nicht schonen. An vorderster Front zu kämpfen ist für heutige Generäle schwierig, sie sitzen meist in Befehlsbunkern, oft hunderte Kilometer vom Ort des Gefechts entfernt.

Noch heute gilt aber zumindest bei Kampfverbänden, dass der Kompanie- oder Bataillonsführer beim Angriff dabei ist und seinen Soldaten Mut macht. Kurz: Die wichtigste Maxime, die sich Manager beim Militär abschauen könnten, lautet daher nicht „Vorwärts!“, sondern „Folgt mir!“. Besonderen Respekt erzielt der Vorgesetzte, der nicht auf seine Privilegien pocht, sondern mit den Kameraden gemeinsam durch den Dreck robbt und aus der Gulaschkanone isst.

Gute militärische Führer können Korpsgeist erzeugen – und zeichnen sich daneben noch durch weitere Qualitäten aus: Sie bleiben gegenüber Stress und Krisen gelassen, sind gewohnt zu delegieren und Ressourcen einzuteilen. Außerdem sind sie geübt darin, klar zu kommunizieren und Informationen strukturiert an die unterstellten Soldaten weiterzugeben. Soll eine Kompanie etwa die Stellung verteidigen, weiß nach der Lagebesprechung, in der analysiert wird, wo sich der Feind und die eigenen Truppen befinden, auch jeder Gruppenführer, wie er seinen Teilbereich zu halten hat.

In zivilen Organisationen herrscht in Sachen Info-Kaskade dagegen gern laissez-faire. Mancher Vorgesetzte hält „Herrschaftswissen“ gar absichtlich zurück. Eine einheitliche Führungsphilosophie wie etwa bei der Bundeswehr, auf die sich Vorgesetzte und Kollegen verlassen und berufen können, findet sich in der Wirtschaft selten. Hoffmann: „Schaut man in ein Unternehmen, führt der eine Manager so, der andere so und der Dritte gar nicht.“ Offiziere hingegen würden intensiv ausgebildet – „und zwar bevor sie Führungsverantwortung bekommen“, so Hoffmann. „Führungstrainings erst hinterherzuschieben, wenn bewährte Fachleute auf Führungspositionen befördert wurden und sie mit der Verantwortung fürs Personal überfordert sind, ist geradezu fahrlässig von Arbeitgebern.“ Doch genau dieses Vorgehen sei in der Wirtschaft üblich.


Alles hört auf mein Kommando

Pragmatismus, Belastbarkeit, Durchsetzungsstärke machen ehemalige Offiziere auch als Anführer für Konzerne und staatliche Einrichtungen mit ihrer ausgeprägten Hierarchie interessant. So ist es noch nicht lange her, da befehligten mit Josef Ackermann und Klaus-Peter Müller ein ehemaliger Schweizer Oberst und ein deutscher Ex-Leutnant die Deutsche beziehungsweise die Commerzbank. Und mit Frank-Jürgen Weise führte ein Oberst der Reserve noch bis vor wenigen Wochen bei der Bundesagentur für Arbeit das Regiment.

Aber wie verträgt sich der militärische Führungsstil mit dem derzeit so gerne gepredigten Management-Mantra von flachen Hierarchien, verteilter Verantwortung und mehr Eigeninitiative? Die Antwort ist simpel: Alles zu seiner Zeit. TUI-Chef Friedrich Joussen etwa, bekannt für seine gründliche Reflektion über Führungsverhalten und selbst Befürworter eines partizipativen Führungsstils, sieht für bestimmte Geschäftsszenarien den traditionellen Top-Down-Ansatz als durchaus geeignet an. So etwa beim Markteintritt eines Unternehmens, wenn schnell Vertriebsstrukturen aufgebaut werden müssen, oder auch im Sanierungsfall.

Diesen Spannungsbogen sieht auch Management-Experte Reinhard Sprenger: „Auf der einen Seite die klassischen Schornsteinindustrien, die hierarchisch geprägt sind und nur wenig Bedürfnis verspüren, ihren Führungsstil von Weisung und Kontrolle zu ändern. Demgegenüber wissensbasierte Unternehmen, in denen einige von demokratischen Strukturen träumen. Beide Organisationsformen haben ihre Berechtigung. Wie erfolgreich sie sein werden, hängt von den Märkten ab“.


"Kriegsspiele im Sandkastenformat"

Sprenger ist jedenfalls davon überzeugt, dass die Hierarchie Entscheidungen beschleunigen kann, besonders im Vergleich mit den teilweise ausufernden Diskussionen unter gleichrangigen Experten. „Vor allem muss eine Hierarchie Entscheidungen nicht rechtfertigen. Das ist ihr großes Plus“, glaubt der Wehrdienstverweigerer. Manager hingegen, die sich etwa im 360-Grad-Feedback außer vor Vorgesetzten auch noch vor Kunden und Kollegen rechtfertigen müssten, „bringen weniger Innovationen hervor, sondern genügen lieber Standard-Erwartungen“, sagt der Experte.

Doch nicht jeder sieht solch eindeutige Berührungspunkte zwischen Managern und Militär. Heidi Stopper, Ex-Personalmanagerin beim Rüstungskonzern EADS und Management-Coach, sagt etwa: „Ich halte nichts davon, Militärisches in die Wirtschaft zu übertragen. Das ist von gestern.“ Wer als Führungskraft etwa Ziele und Strategie klar kommunizieren wolle, müsse dazu nicht gleich von „Konkurrenzkampf“ sprechen oder davon, „neue Märkte zu erobern“. All jene, die den Sinn ihres Tuns hinterfragten sowie auf Teamarbeit und selbstständiges Handeln Wert legten, würden den Military-Style des Chefs eher als „Kriegsspiele im Sandkastenformat“ belächeln. Vor allem dort, wo es um Kreativität geht, etwa im Marketing oder in der Produktentwicklung, kann der stark strukturierte militärische Führungsstil schräge Ideen hemmen.

Bei der Allianz-Veranstaltung konnten alle Teams den fiktiven Kollegen retten, „einige waren jedoch besser als andere“, sagt Neeb. Besonders gut kam bei den Managern daher das Debriefing an. Die Grundregel der Nachbesprechung, die bei der Airforce nach jedem Einsatz stattfindet, lautet: Unabhängig vom Rang, darf jeder jeden sachlich kritisieren. „Es wird sogar erwartet, dass die mit dem niedrigsten Rang ihren Chefs sagen, was sie besser machen können“, erklärt Neeb.

Für solch professionelles Fehlermanagement dürften sich nicht nur die Anhänger von „Command & Control“ begeistern, sondern auch die Fans des partizipativen Führungsansatzes, die schnelles Scheitern und lernen aus Fehlern als Voraussetzung für Erfolg sehen. So gesehen können Anhänger beider Führungsphilosophien vom Militär lernen.

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