Meditation für Manager Die Gurus bei Google

Meditieren ist nicht länger nur was für Spinner, sondern gilt mittlerweile auch unter deutschen Managern als äußerst smart. Wie aber funktioniert das? Und was bringt es? Ein Tag bei Google unter den Achtsamkeitsprofis.

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Das Thema Achtsamkeit, so viel hat sich inzwischen rumgesprochen, ist längst nicht mehr nur den Esoterikern und Spinnern vorbehalten Quelle: Imago

Berlin Als das Handy klingelt, geht ein missbilligendes Raunen durch das Publikum. Auf der Bühne wird gerade über Achtsamkeit gesprochen, über Konzentration und inneres Gleichgewicht in der Ära der digitalen Total-Überforderung. Da schaltet man das Smartphone doch wenigstens auf Vibration! Das Klingeln kommt allerdings aus der Tasche von Alexander Poraj, Zen-Meister der Linie „Leere Wolke“.

Der Meister selbst nimmt es gelassen. Warum sollen Gurus nicht mal vergessen, ihr Smartphone auszumachen. Schließlich hockt Poraj ja auch nicht barfuß auf irgendeinem Berggipfel, sondern im Büro von Google in Berlin. Rund 100 Führungskräfte, Meditations-Lehrer und Wissenschaftler haben sich an diesem Freitagmorgen hier zum Mind-Kongress versammelt. Organisiert hat ihn ein Start-up namens 7Mind, das eine Meditations-App entwickelt hat, die in kurzer Zeit mehr als hunderttausend Menschen heruntergeladen haben.

Das Thema Achtsamkeit, so viel hat sich inzwischen rumgesprochen, ist längst nicht mehr nur den Esoterikern und Spinnern vorbehalten. Seit internationale Stars der Szene wie Jon Kabat-Zinn auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos mit Managern meditieren, gilt es im Gegenteil als ziemlich smart, sich einer Praxis aus Fernost zu bedienen, um besser zwischen Innen und Außen, zwischen Sinn und Unsinn unterscheiden zu können. Wie funktioniert das? Und was bringt es? Darum geht es heute.

Draußen lärmt die Stadt, drinnen lärmen die Gedanken. Das menschliche Gehirn empfängt 60.000 Impulse am Tag, sagt Alexander Poraj. Die Maschine läuft ständig. Er gibt jetzt eine kleine Einführung in die Zen-Meditation. Einige Teilnehmer haben gedacht, sie ziehen besser ihre Schuhe aus. Dabei sollen wir gar nicht denken. Nur atmen.

Das ist ganz schön schwierig. Es gehe bei der Meditation auch nicht darum, dass es angenehmer wird, sagt Poraj, sondern darum, in der Gegenwart anzukommen, eine Einsicht zu erlangen in die Beschaffenheit der Wirklichkeit.

Auch an das Atmen darf man nicht denken. Nicht länger, tiefer, besser atmen wollen. Nur atmen. Nicht auf das Vibrieren der Telefone in den Taschen hören. Nicht denken. Nicht mal an das Nichtdenken denken, denn das wäre ja schon ein Gedanke.

„Dein Körper weiß, wie man atmet, er braucht Dich dazu nicht“, sagt Poraj. Und dass Konzentration von „con centro“ kommt: „Mit der Mitte. Nicht mit der Birne.“


„Stell Dir vor, Du bist ein Eiswürfel“

Ziel der Übung sei es, die Grenzen zwischen dem Ich und dem Rest der Welt aufzulösen. Schließlich seien Ich und Du auch nur gedankliche Konstrukte. „Stell Dir vor, Du bist ein Eiswürfel“, erklärt Poraj. „Du hast Dir viel Mühe gegeben, eine schicke Skulptur aus Dir zu schnitzen. Jetzt brauchst Du viel Energie, um sie bei unter null Grad zu kühlen. Zen ist, wenn der Eiswürfel schmilzt. Dann bist Du bloß noch Wasser. Wie alle anderen auch.“

Nach der Übung sagt ein Mann, er fühle sich jetzt wacher als vorher. Eine Frau meint, ihr sei ganz warm geworden. Es könnte an der Mittagssonne liegen, die durch die bodentiefen Fenster scheint. Vielleicht aber auch nicht. Es gibt Studien, die zeigen, dass Meditationsübungen im Gehirn etwas bewegen. Die Wissenschaftlerin Britta Hölzel, die unter anderem in an der Harvard Medical School in Boston über Achtsamkeit geforscht hat, sagt,

Meditation könne dabei helfen, sich besser zu fokussieren, Emotionen zu kontrollieren und Stress abzubauen. Sie könne Kreativität und Problemlösungskompetenz erhöhen und das Mitgefühl mit anderen. „Wenn unser Geist unruhig hin und herwandert, dann meistens, weil wir uns mit uns selbst beschäftigen“, sagt Hölzel.

Achtsamkeit zur Steigerung von Gesundheit und Effizienz – kein Wunder, dass ein Konzern wie Google, maßgeblich mit verantwortlich dafür, dass unser Leben immer komplexer zu werden scheint, seine Mitarbeiter schon lange zum kollektiven Meditieren ermutigt.

Eine Übung, die sie bei Google gerne praktizieren, ist die Loving-Kindness-Meditation. Mounira Latrache führt sie vor. Man muss seinem Übungspartner dabei tief in die Augen schauen. Bei einem wildfremden Menschen ist auch das sehr viel schwieriger als gedacht. Später dürfen wir die Augen schließen und uns andere Leute vorstellen, solche, die wir lieben, und solche, mit denen wir Probleme haben. Dazu sagen wir eine Art Mantra auf. Es endet mit dem Satz: „May you be loved.“ Ziel der Übung sei es, einzusehen, dass uns mit allen Menschen mehr verbindet, als uns trennt, sagt die Google-Frau.

Es bedeute nicht, dass Führungskräfte bei Google keine harten Entscheidungen mehr treffen dürften, oder niemanden mehr feuern. Trotzdem könne man andere als Menschen wahrnehmen und bestärken. Dass der Konzern vor lauter Liebe nicht sein Geschäft vergisst, daran hat vorher schon ein Redner erinnert: Alfred Tolle, Gründer der Bewegung „wisdom together“, war früher auch bei Google. Der Verkaufsdruck sei ihm zu hoch gewesen, sagt Tolle.


Auch in deutschen Unternehmen angekommen

Auch in deutschen Unternehmen ist das Thema Achtsamkeit inzwischen angekommen. Der Software-Konzern SAP hat einen Posten mit dem Titel „Director Global Mindfulness Practice“ geschaffen. Peter Bostelmann hat viele Jahre Kundenprojekte für SAP geleitet, zuletzt in San Francisco, und privat meditiert. Jetzt schult er weltweit Kollegen als Trainer für die Achtsamkeits-Kurse des Konzerns.

Messungen zeigten einen spürbaren positiven Einfluss unter anderem auf das Engagement der Mitarbeiter, das Vertrauen in Führungskräfte und die Anzahl der Fehltage, sagt Bostelmann. Fast 5000 Leute stünden auf der Warteliste für die Achtsamkeitstrainings. Um die Software-Ingenieure zu überzeugen, dürfe das Ganze nicht so esoterisch daherkommen. Er spricht darum von einem „Training für mentale Stärke, wissenschaftlich basiert.“

Am Ende dieses Tages bleiben: Wiedersprüche. Die Sache mit den Eiswürfeln von Zen-Meister Poraj zum Beispiel. Die Vorstellung, dass alles eh bloß Wasser ist, kann ja gelassen machen. Aber was ist mit der Produktivität? Ist es nicht kreativer, Verzierungen in Eiswürfel zu schnitzen? Es gebe Hinweise darauf, dass der herumwandernde Geist auch eine Quelle sei für Kreativität, sagt Wissenschaftlerin Hölzel.

Und dann ist da noch dieser Autozulieferer aus Ostdeutschland, der erzählt, dass seine Mitarbeiter manchmal schon in Stress geraten, wenn im Display des Telefons die Vorwahl von Wolfsburg erscheint. Dann ruft Volkswagen an. Weil Angst in der Regel dazu führe, dass man seinem Gegenüber mehr verspreche, als gut für einen selbst sei, habe er vor drei Jahren angefangen, Meditationstrainings anzubieten, sagt der Geschäftsführer.

Kurz darauf ihn jemand anonym bei den Eigentümern der Firma angeschwärzt. Der Chef führe eine Sekte, habe es geheißen. Inzwischen meditiere ein Zehntel der Belegschaft. Die wirtschaftlichen Kennzahlen hätten sich bisher nicht verbessert, aber auch nicht verschlechtert. Er jedenfalls habe das Gefühl, die Menschen seien glücklicher.

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