Milchpulver-Krise in den USA Milchflieger statt Rosinenbomber

In einer Target-Filiale in Orlando ist ein fast leeres Regal mit Babynahrung zu sehen. Quelle: dpa

In den USA spitzt sich die Versorgungskrise für Babynahrung zu. In den Supermärkten stehen Eltern vor leeren Regalen. Nun ist eine Art Luftbrücke geplant. Können deutsche Hersteller helfen?

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Der Volksmund nannte sie „Rosinenbomber“, die Maschinen der amerikanischen Luftwaffe, die die Menschen in West-Berlin mit Lebensmitteln, Kohle versorgten – und die Kinder mit Süßigkeiten. Die Luftbrücke wurde im Juni 1948 von den Westalliierten eingerichtet, nachdem die Sowjetunion eine Blockade über West-Berlin verhängt hatte und die Bevölkerung der Stadt über dem Luftweg versorgt werden musste. Dieser Tage geht die Luftbrücke in die entgegengesetzte Richtung: nach Amerika. Statt Süßigkeiten haben die Frachtflieger aus Europa Milchpulver an Bord.

Denn die Versorgungskrise für Babynahrung hat sich in den USA in den vergangenen Tagen zugespitzt – und lässt US-Präsident Joe Biden zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. So entschied Biden, das ursprünglich für Kriegszeiten eingeführte Gesetz „Defense Production Act“ anzuwenden, um die Produktion von Babynahrung anzukurbeln. Konkret ordnete der US-Präsident an, dass Hersteller von Säuglingsmilchnahrung von Lieferanten bevorzugt vor anderen Kunden mit den nötigen Zutaten versorgt werden.

Um den Import von Babymilchpulver zu beschleunigen, habe Biden zudem verfügt, dass Verkehrsflugzeuge des Verteidigungsministeriums genutzt werden, um Säuglingsnahrung aus dem Ausland in die USA zu bringen. Wie schon zu Beginn der Corona-Pandemie, werde das Pentagon seine Verträge mit kommerziellen Luftfrachtunternehmen nutzen, um Produkte aus ausländischen Produktionsstätten zu transportieren, hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Die Umgehung der regulären Luftfrachtrouten spare viel Zeit.

Erste europäische Hersteller haben bereits angekündigt, einzuspringen. Der Lebensmittelkonzern Nestlé fliege Babynahrung aus den Niederlanden und der Schweiz in die USA. Zunächst seien vor allem größere Mengen von Marken geliefert worden, die besonders für Babys mit einer Allergie gegen Kuhmilch geeignet seien, teilte eine Unternehmenssprecherin mit. Zum einen seien Bestellungen früher als geplant verschifft worden, zum anderen sei zusätzlich Babynahrung per Flugzeug geliefert worden. Weitere zusätzliche Lieferungen würden geprüft.

Der britische Anbieter Reckitt Benckiser habe die Produktion um etwa 30 Prozent hochgefahren und seine Lieferungen aufgestockt, sagte ein Manager der Nachrichtenagentur „Reuters“. Das in Großbritannien ansässige Unternehmen decke inzwischen mehr als 50 Prozent des gesamten Angebots in den USA ab. Zuvor belieferte Reckitt rund ein Drittel des US-Marktes für Säuglingsnahrung. Und auch der französische Konzern Danone, zu dem in Deutschland bekannte Marken wie Aptamil und Milumil gehören, will unterstützen. „Unsere Schwestergesellschaften in den USA - Nutricia und Happy Family - sind zurzeit in Gesprächen mit den zuständigen Behörden, um festzustellen, wie sie dazu beitragen können, die Versorgungssituation vor Ort möglichst schnell zu verbessern“, teilte ein Danone-Sprecher auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit. 

„Eine zusätzliche Produktion ist für uns keine Option“

Unternehmen die Säuglingsnahrung bislang nicht in die USA geliefert haben, werden auf die Schnelle allerdings nicht einspringen können. Kurzfristig könne man „bei einem hochsensiblen Produkt wie Babynahrung nicht aushelfen“, teilt ein Sprecher der DMK Group mit. Unter dem Dach von Deutschlands größter Molkereigenossenschaft werden Babynahrungs-Marken wie Humana und Alete produziert. Zudem stellt die DMK-Tochter Sunval Baby Food Säuglingsmilch-Eigenmarken für verschiedene Handelsketten her. „Für die Belieferung von Märkten braucht es jeweils eine offizielle Zulassung der Milchnahrungsprodukte und auch des Werkes für den jeweiligen Markt“, heißt es bei DMK. Dazu komme, „dass wir in der derzeitigen Lage, in der sich Lieferketten und Verfügbarkeiten von Zutaten als herausfordernd darstellen, natürlich erst mal bestehende Kunden und Märkte absichern“. Im Klartext: „Eine zusätzliche Produktion für den US-Markt ist für uns keine Option.“ Ähnliches gilt wohl für den deutschen Marktführer Hipp, der zuletzt bereits verlauten ließ, dass seine Ware für den amerikanischen Markt „nicht registriert“ sei. Auch die Drogeriekette dm sieht juristische Probleme. „Ein Export von Babynahrung in die USA ist für uns aufgrund der rechtlichen Voraussetzungen, die für eine Einfuhr in die USA erfüllt werden müssen, nicht kurzfristig möglich“, sagt Sebastian Bayer, als dm-Geschäftsführer verantwortlich für die Warenbeschaffung.

Hintergrund des Mangels ist der Ausfall einer Fabrik des größten Herstellers von Säuglingsmilchnahrung in den USA, Abbott. Der Produzent hatte mehrere Produktlinien zurückgerufen, nachdem womöglich wegen bakterieller Verunreinigungen vier Säuglinge erkrankt und zwei gestorben waren. Die Produktion in einem Werk der Firma im Bundesstaat Michigan wurde vorerst komplett gestoppt.

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Die US-Arzneimittelbehörde FDA einigte sich nach eigenen Angaben auch mit Abbott auf diverse Vorkehrungen, um die betroffene Fabrik wieder zu eröffnen. Bis die Produktion dort aber wieder angelaufen sei und Säuglingsmilchnahrung in den Handel ausgeliefert werden könne, werde es mehrere Wochen dauern, teilte das Unternehmen mit. Bis dahin dürften auch die Milchflieger im Einsatz sein. 

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