Am Ende war sie es leid, das Geruckel und Gezuckel der Gewürzwägelchen, die staubfangende Sammlung der Toaster und Kaffeemaschinen. Und dann der alte Holzschrank mit seinen ewig klemmenden, rappeligen Schubladen. Mit seinen Farbnasen am Rahmen und der Tür, die nie richtig schloss. Jutta Eckes hätte ihm am liebsten regelmäßig einen Tritt verpasst. Bis sie die Küche ausräumte und die Wand zum Wohnzimmer gleich mit durchbrach.
Heute, drei Jahre später, streichelt sie ihren Schrank, einen weiß schimmernden Korpus, dessen Lackfronten sich in den größer und lichter gewordenen Salon strecken. So schlank sieht das aus, so schön und vor allem funktional. Eine „Hausfrauenfantasie“ nennt die Italienisch-Dozentin ihre neue Küche: Ein leichter Druck mit der Hand, mit dem Knie, mit der Hüfte – und die Schubladen fahren wie von selbst aus, um wieder sanft zurückzugleiten und für den Bruchteil einer Sekunde innezuhalten, bevor sie sich schließen.
Inzwischen sind derlei „soft skills“ Standard. In der deutschen Küche kommt das Design zu sich selbst – als Ästhetik des Funktionierens. Etwa bei Oberschränken, deren Klappen sich elektrisch heben, oder bei Schubkästen, deren Auszüge mit „integrierter Anschlagdämpfung“ ein- und ausfahren. Wie von Zauberhand greifen die Dinge ineinander, in fließender Bewegung, lautlos, spielerisch leicht.
Umsatz der deutschen Küchenindustrie in den Jahren 2008 bis 2016
4.135,07 Millionen Euro
Quelle: Statistisches Bundesamt/ Statista 2017
3.833,7 Millionen Euro
3.928,01 Millionen Euro
4.125,5 Millionen Euro
4.278,02 Millionen Euro
4.244,56 Millionen Euro
4.389,19 Millionen Euro
4.632,43 Millionen Euro
4.896,02 Millionen Euro
Die Küche als perfekt komponierte, „flüsterleise“ arbeitende Wohlfühlmaschine? Mit „Türen schlagen“ sei es vorbei, sagt Kirk Mangels, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „Die moderne Küche“ (AMK). Sogar der Dunstabzug, der früher jede Unterhaltung übertönte, sei kommunikationsfreundlich heruntergedimmt. Die Küche wird gleichsam in Watte gepackt. Für die meisten Menschen, so Mangels, sei sie das „Herzstück der Wohnung“, ein „gemeinsamer Ort des Austauschs“: Familie, Freunde und Gäste versammeln sich um den Herd.
Als Statussymbol das Auto abgehängt
Jedenfalls der Idee nach, die so verführerisch ist, dass die Deutschen sich die Küche immer mehr kosten lassen. Der AMK-Chef hat den Trend jüngst wieder bestätigt: Der Umsatz der deutschen Küchenmöbelindustrie, der seit Jahren steigt, sei abermals gewachsen, von 11,0 Milliarden (2015) auf 11,6 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
Vor allem hochwertige Küchen, die mehr als 10.000 Euro kosten, nähren die Fantasie vom schöneren Leben mit fluiden Übergängen von der Küche in den Wohnraum. Besonders locker sitzt paradoxerweise der Geldbeutel der Deutschen, wenn die Küchen richtig teuer sind. Im Luxussegment, dem Reich der Vakuumier-Schubladen und Anti-Finger-Print-Lacklaminate jenseits der 20.000-Euro-Marke, legte es sogar um 18 Prozent zu.
Umfrage zu Marken- und Preisbewusstsein bei Kücheneinrichtung bis 2016
Diese Statistik zeigt das Ergebnis einer Umfrage in Deutschland zum Markenbewusstsein bzw. Preisbewusstsein beim Kauf von Kücheneinrichtung in den Jahren 2011 bis 2016: Achten Sie beim Kauf der Kücheneinrichtung eher auf die Marke oder eher auf den Preis?
Erhebung durch: IFAK - Markt- und Sozialforschung; Ipsos; GfK Media and Communication Research GmbH & Co. KG; Quelle: VuMA/ Statista 2017
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
27% | 59,9% | 13,1% |
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
27,5% | 61,9% | 10,7% |
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
26% | 62,5% | 11,5% |
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
26,2% | 61,4% | 12,5% |
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
26,1% | 60,8% | 13,1% |
Marke | Preis | Kann ich nicht beurteilen |
24,9% | 62,7% | 12,4% |
Längst hat die Küche das Auto als „liebstes Statussymbol der Deutschen“ abgelöst. Eine Karriere, in der sich nicht zuletzt der Wandel der Lebensformen spiegelt. SieMatic-Chef Ulrich W. Siekmann, der die Geschäfte des Küchenmöbelunternehmens in dritter Generation führt, zählt die wichtigsten Stationen der modernen Küchenevolution auf: die Trennung der Funktionen von Schlaf-, Wohn- und Wirtschaftsteil mit der Separatküche in den frühen Zwanzigerjahren; die Durchsetzung der Einbauküche mit ihren flexiblen, den Raumverhältnissen angepassten Maßen in den frühen Sechzigern; die Auflösung des spezialisierten Küchenraums, seine Verschränkung mit dem Ess- und Wohnbereich seit Mitte der Neunziger.
Ein Trend, der bis heute anhält und dazu führt, dass die Küche als Ausdruck von Lebensart und gutem Geschmack gilt. Klarheit der Linie, Schlichtheit der Geometrie, Aufrichtigkeit des Materials, kurz: Die Ideale der Moderne prägen das avancierte Küchendesign – aber bitte keine Designdogmen.