Tauchsieder Afrikas große Gelegenheit

Jenseits von Afrika: Für Bewohner des Schwarzen Kontinents ist Europa das Paradies. Quelle: Illustration: Leander Aßmann

Viele Länder Afrikas haben alle Chancen – auch die, die Chancen wieder mal zu verpassen. Hebt die Entwicklung nicht schleunigst ab, erhöht sich der Bevölkerungs- und Migrationsdruck dramatisch. Ein Ausblick.

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Rund zweitausend Jahre haben die „Säulen des Herakles“ an der Meerenge von Gibraltar die Grenze der bewohnbaren Welt markiert: Der Legende zufolge brachte der halbgöttliche Held hier die Inschrift „Nicht mehr weiter“ (Non plus ultra) an.

Erst der spanische Habsburgerkönig Karl V. hat im Entdeckerzeitalter das „Non“ gestrichen, „Plus ultra“ zu seinem Wahlspruch erhoben – und damit das Grundgesetz der Moderne formuliert: immer weiter, darüber hinaus… Bis heute zieren die Säulen des Herakles, umweht vom Spruchband „Plus ultra“ das spanische Wappen: Sinnbild für Expansion und Entdeckerlust, für Aufbruch – und Grenzüberschreitung.

Die Europäer haben im Namen von „Plus ultra“ ein halbes Jahrtausend lang die Welt erobert. Sie sind ungefragt in Kontinente eingewandert, haben gewaltsam ihre Sitten (und Krankheiten) eingeschleppt und so ziemlich alle Kulturen mit dem Firnis ihrer Zivilisation, ihres Reichtums überzogen.

Allein die „Säulen des Herakles“ mit dem eingravierten „Non plus ultra“ haben sie zuletzt umgedreht – die weisen heute Richtung Afrika: Bis hierher und nicht weiter! Europa schließt die Balkanroute und sourct die Grenzkontrolle aus – es zäunt sich ein zur Abwehr von Migranten. 15.000 Menschen sind in den vergangenen vier Jahren im mare nostrum ertrunken. Rohstoffe, Waren, Geld (und europäische Expats) sollen frei zirkulieren wie bisher. Die Einwanderung von Menschen aus Afrika dagegen soll streng gesteuert, reguliert, begrenzt und verhindert werden.

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von Marius Wolf

Europas Grenzen gewinnen Kontur. Zu den Nebeneffekten gehört, dass man sich wieder mehr für das interessiert, was jenseits dieser Grenzen stattfindet – etwa für das starke Bevölkerungswachstum in Afrika. Die Vereinten Nationen (UN) gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte des Weltbevölkerungswachstums bis 2050 in Afrika stattfinden wird – und dass sich die Population dort von gegenwärtig 1,26 Milliarden (2017) auf 2,53 Milliarden (2050) verdoppelt. Während die Bevölkerung in Indien nur noch mäßig zunehmen, in China sogar schrumpfen wird, kommen auf 716 Millionen Europäer dann allein 799 Millionen Menschen aus Nigeria, Äthiopien und dem Kongo, so die UN-Projektion. Und das ist erst der Anfang. Trotz einer deutlich sinkenden Fertilität, so die UN, würden zur Jahrtausendwende 4,47 Milliarden Menschen in Afrika leben – fast sieben Mal so viele wie in Europa.

Die Zahlen beeindrucken. Aber müssen sie uns auch alarmieren? Die Bevölkerungen in Europa und in China haben sich während der industriellen Revolutionen dort verdoppelt. Im 20. Jahrhundert hat sich die Zahl der Menschen vervierfacht. Und obwohl die Bevölkerung heute jeden Tag um 230.000 Menschen wächst, ist die Zunahme der Armut seit 15 Jahren selbst in Afrika gestoppt, so Hubertus Bardt, Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln in seiner jüngsten Afrika-Studie.

Die Kindersterblichkeit sinkt, die Alphabetisierung wächst, neun von zehn Menschen haben heute Zugang zu Strom und sauberem Trinkwasser, und „ernähren können wir auch zehn Milliarden Menschen“, sagt Renate Bähr, Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung. Warum also sollte Afrika zum Problem für die Welt, speziell für Europa werden?

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