Unkonventionelles Fracking Mehr als zwei Billionen Kubikmeter: Hier kann Deutschland Gas fracken

Vor allem in Niedersachen kann Schiefergas durch Fracking gefördert werden. Quelle: Imago

Noch sind die Gasspeicher für diesen Winter voll – das kann sich bei weiter sinkenden Temperaturen schnell ändern. Dabei weist Deutschland Billionen von Kubikmetern an Gas auf. Eine Übersicht auf der Deutschlandkarte.

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Auch in diesem Winter werden Bürgerinnen und Bürger von der Energiewirtschaft und der Bundesnetzagentur dazu aufgerufen, sparsam mit Gas umzugehen. Zwar seien die Speicher voll, und man brauche keine Gesetze wie vor einem Jahr mehr, sagte die Chefin des Branchenverbandes BDEW, Kerstin Andreae, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Trotzdem appellieren wir an die Bevölkerung, möglichst wenig Gas zu verbrauchen.“ Es gebe Faktoren, die man nicht in der Hand habe. Wenn es zwei Monate lang richtig kalt werde, leerten sich die Speicher und müssten wieder befüllt werden.

Zusätzlich werden die staatlichen Gas- und Strompreisbremsen zum Jahresende eingestellt. Die Preisbremsen wurden im März 2023 eingeführt und galten rückwirkend auch für Januar und Februar. So sollten Verbraucherinnen und Verbraucher davor bewahrt werden, dass sie infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine durch explodierende Energiepreise überfordert werden.

Deutschland bezog bis zum Ukraine-Krieg einen Großteil seines Erdgases über russische Pipelines. Im vergangenen Jahr stellte Russland aber die Belieferung ein. Die Bundesrepublik deckt inzwischen den Bedarf über andere Lieferländer und baut Terminals zur Einfuhr von Flüssigerdgas. Dabei könnte Gas in Deutschland vor der eigenen Haustür gefördert werden – zum Beispiel in Niedersachsen.

Denn die halbe Bundesrepublik heizt mit Erdgas. Allein 2021 waren 70 Prozent der neu eingebauten Heizungen in Neu- und Altbauten Erdgasheizungen.

Wie können diese Mengen aufgefangen werden? Wenn Europa künftig mit anderen Weltregionen um Energie konkurriert, dann müssen Deutschland und die EU längerfristig planen und einkaufen. Mit der Konkurrenz steigen aber auch die Preise. Als Alternative zum russischen Pipeline-Gas gilt zum einen LNG. Doch Experten und Expertinnen warnen vor einer zu großen Abhängigkeit von Lieferanten wie den USA oder Katar. Und noch ist das Angebot an LNG knapp und die Transportwege, um es nach Deutschland zu schaffen, begrenzt.

Eine weitere, jedoch sehr umstrittene Möglichkeit, ist Fracking. Das Verfahren wird genutzt, um Erdgas oder Erdöl aus dichtem Gestein zu fördern. Die britische Regierung hat wegen der rasant steigenden Energiepreise im Herbst 2022 ein Fracking-Moratorium aufgehoben. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner warb im September 2022 für einen schnellen Einstieg in die Erdgasförderung in Deutschland. „Wir haben in Deutschland erhebliche Gasvorkommen, die gewonnen werden können, ohne das Trinkwasser zu gefährden“, sagte der FDP-Vorsitzende damals den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Die Förderung ist auch unter ökologischen Voraussetzungen verantwortbar.“ Lindner forderte: „Wir müssen rasch an die Förderung herangehen“. Er sei zuversichtlich, dass Deutschland in wenigen Jahren einen relativ großen Bedarf aus heimischen Gasquellen decken könnte. „Es ist ratsam, das zu tun, wenn man sich die Entwicklung auf der Welt anschaut.“ Es sei nicht verantwortbar, aus ideologischen Gründen auf Fracking zu verzichten, fügte er hinzu.

2016 wurde unkonventionelles Fracking, bei welchem das Gas aus Schiefer-, Ton-, Mergel- oder Kohleflözgestein gefördert wird, gesetzlich verboten. Ziel des Verbots war es, Umwelt und Gesundheit vor den Risiken des Einsatzes dieser Technologie zu schützen.

Unterscheidung zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking

Dabei wird zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking unterschieden. Bei konventionellem Fracking wird eine Lagerstätte angebohrt, in welcher Gas aus tiefer liegenden, porösen Sandsteinschichten entwichen ist und sich in einer sogenannten Erdgasfalle unter Deckgebirgen gesammelt hat. Diese Methode wurde in Deutschland seit den 1960er-Jahren bereits über 300 Mal betrieben, ohne dass es problematische Vorfälle gab. Aktuell werden in Deutschland jedoch jährlich lediglich rund fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas aus konventionellen Lagerstätten gefördert. Die Vorkommen sind begrenzt, Ende 2021 werden vom Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG) die sicher förderbaren Reserven nur noch mit rund 32 Milliarden Kubikmeter in den konventionellen Lagerstätten angegeben.

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Unkonventionelles Fracking ist hingegen mit einem größeren Aufwand verbunden. Hier müssen zuerst mithilfe einer Bohrtechnik Gesteinsschichten in großer Tiefe erschlossen werden. Dann wird Flüssigkeit in die Lagerstätte eingepresst, die im Gestein kleine Risse erzeugt. Durch die so geschaffenen Fließwege kann das Erdgas an die Oberfläche strömen.

Problematisch ist dabei der Einsatz von Chemikalien, die das Grundwasser verunreinigen können, sowie die Bohrungen selbst, welche in der Regel durch Grundwasser leitende Schichten führen.

Zwei Billionen Kubikmeter Erdgas aus Schiefergesteinen

Der BVEG schätzt 2022 auf Basis der Bewertung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), dass mithilfe von unkonventionellem Fracking 450 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Kohleflözen gewonnen werden können. Bei Schiefergesteinen sind es sogar bis zu zwei Billionen Kubikmeter. Ein riesiger Sprung im Vergleich zu den bisher rund 5 Milliarden, die aus konventionellem Fracking zur Verfügung stehen.

Die BGR hat außerdem untersucht, wo Schiefergas in Deutschland vorkommt und wo es potenziell gefördert werden könnte. Vor allem Niedersachsen weist breite Flächen mit potenziell geeigneten Gebieten auf. Auch auf der Insel Rügen sowie weiter südlich in Deutschland, an der Grenze zu Frankreich, könnte demnach durch Fracking Schiefergas gewonnen werden.



„Wir müssen uns starke Gedanken machen“

BVEG-Hauptgeschäftsführer Dr. Ludwig Möhring betont das Ausmaß der Gas-Krise und wie wichtig es ist, langfristig zu handeln: „Wir müssen uns starke Gedanken machen, wie wir die Gasversorgung auch mittel- und langfristig sicherstellen. Politiker und Politikerinnen begrenzen ihre Überlegungen meist auf die kommenden 1,5 Jahre, dieser Fokus ist zwar politisch motiviert nachvollziehbar, aber bis dahin wird die Krise bei weitem nicht ausgestanden sein.“ Der globale LNG-Markt könne diesen großen Bedarf schon auf Grund von Vorlaufzeiten für Jahre nicht zu günstigen Preise abdecken. Europa und Deutschland müssten daher auch andere Lösungen, insbesondere auch die Potenziale der heimischen Förderung, ernsthaft untersuchen. Eine solche Option sieht er in der Förderung von Schiefergas. Dieses könnte zehn bis 15 Prozent des Gesamtbedarfs in Deutschland decken.

Doch wie schnell kann Gas aus Schiefergestein gewonnen werden? „Rein technisch würde es sechs Monate von der Bohrung bis zur Förderung dauern“, so Möhring, „zunächst müsste jedoch das Gesetz angepasst werden.“ Außerdem würden dann eine Reihe von Umweltverträglichkeitsprüfungen und Genehmigungsprozessen hinzukommen, bis die Bohraktivitäten begonnen werden könnten. Jedoch zeige das Beispiel der LNG-Terminals, dass bei solchen Verfahren Beschleunigungen möglich sind, erklärt Möhring. So sollen bald die ersten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade entstehen.

Außerdem habe sich seit der Gesetzeslage von 2016 einiges getan, erläutert Möhring. „Als das Gesetz vor sechs Jahren verabschiedet wurde, hätte Fracking uns volkswirtschaftlich nur einen vergleichsweise geringen Nutzen gebracht, weil wir weiter günstiges russisches Gas bekommen haben“. Heute könne Fracking erheblich dabei helfen, die drängenden Probleme der Gasversorgung zu lösen, insbesondere auch die Preise zu drücken. Er plädiert dafür, die Diskussion zu versachlichen und eine gut informierte Entscheidung zu treffen. „Nicht nur die volkswirtschaftliche Situation hat sich geändert, auch die technische Entwicklung bei der Schiefergasförderung ist vorangeschritten.“ So sei die Politik gut beraten, sich anzuschauen, wie die Schiefergasförderung in Deutschland konkret aussehen würde, bevor Entscheidungen getroffen werden.

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2021 legte eine von der Bundesregierung beauftragte Expertenkommission Fracking einen Bericht zum Ausmaß der Risiken vor. Die Kommission kam zu dem Schluss, „dass sich die Umweltrisiken aufgrund von Fracking unkonventioneller Lagerstätten durch eine angepasste Steuerung und Überwachung der Maßnahmen minimieren lassen“. Damit ist schon mal eine Weiche gestellt.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Oktober 2022 . Wir haben ihn zuletzt im November 2023 redaktionell aktualisiert und zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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