Karriereleiter Rhetorik: So entwaffnen Sie Lügner und Publikums-Verführer

„Damit stellen Sie uns doch alle unter Generalverdacht“ – dieser und andere Rhetorik-Tricks sind fiese Publikums-Verführer. Mit denen bringt Ihr Kontrahent in Diskussionen schnell die Leute gegen Sie auf. Schlüpfen Sie vorm verbalen Gegenschlag gedanklich ins Publikum. Und verbünden Sie sich dann mit ihm. Hier kommt, wie es geht.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Am Anfang aller Kommunikationsstrategien steht Stufe 1: Ich posaune einfach heraus, was ich fühle und denke. So reden kleine Kinder: „Ich will ein Eis.“

Diese ungefilterte Sprache macht den Redner sehr durchschaubar und deshalb glaubwürdig. Eine unerwünschte Antwort ist hier allerdings einfach: „Du bekommst aber kein Eis.“

Erst später lernen wir intuitiv Stufe 2, nämlich dass wir oft leichter ans Ziel kommen, wenn wir beim Reden die Bedürfnisse und Befindlichkeiten des Empfängers berücksichtigen:

„Mama, möchtest du, dass ich ein glückliches Kind bin?“

„Ja, aber natürlich, mein Engel.“

„Dann kauf mir bitte ein Eis.“

„Du bekommst aber kein Eis.“ Das klingt jetzt so, als sei das Glück des Kindes der Mutter doch irgendwie Wurscht. Hier muss sie gleich zwei Baustellen abarbeiten:

1. die negative Entscheidung zur Eisfrage

2. Sie muss das inkonsequente Handeln erklären (also Glücksversprechen versus Eisverweigerung)

Das fällt schon schwerer und könnte die so in die Zwickmühle Manövrierte zum Einknicken bringen. Lautet das Kommunikationsziel „Mama ein Eis abschwatzen“, dann hätte die Rhetorik voll gewirkt.

Besonders knifflig wird es dann, wenn in Stufe 3 Außenstehende als Publikum des Streits mit einbezogen werden. Wenn etwa Oma und Opa zu Besuch sind. Und die quatschen ohnehin immer schon viel zu viel in die Erziehung ihres Enkels rein.

Der sagt: „Mama, wenn du möchtest, dass ich glücklich und zufrieden aufwachse wie alle anderen Kinder auch, dann kauf mir doch bitte einmal in meinem Leben ein Eis.“

Jeder kennt wohl den Reflex: Was denken jetzt die Anderen? Es droht nicht nur ein Konflikt der Diskutanten, sondern es könnte auch passieren, dass sich das Publikum vom Angegriffenen abwendet.

Um der Oma jetzt zuvorzukommen, die in der Handtasche schon nach dem Geldbeutel wühlt, müssen nun beide Parteien rhetorisch in Schach gehalten werden - oder der von zwei Seiten Bedrängte gibt einfach nach: „Na gut. Du kriegst dein Eis. Aber nur zwei Kugeln.“

Das Eis-Quengel-Beispiel zeigt ganz gut: Publikum bedeutet eine weitere Herausforderung in der Diskussion. Dem Kind das Eis verwehren PLUS den Großeltern zeigen, dass man einen liebevollen und konsequenten Erziehungsstil pflegt. Wir kämpfen uns an zwei Fronten ab.

In der Talkshow, vor einer Klasse mit Schülern oder im Wahlkampf oder bei Podiumsdiskussionen oder auch beim Richtungsstreit in Konferenzen in der Firma - überall dort müssen wir uns rhetorisch doppelt abmühen. Gegenüber dem Kontrahenten und gegenüber dem Publikum mit ganz eigenem Wissensstand und mitunter anderen Ansichten und Interessen.

Und deshalb nutzt Ihr Kontrahent vielleicht ja clevere Rhetorik-Tricks, die auf Ihre Kosten aufs Publikum zielen.

Nehmen wir nur mal die Lüge. Die Fakenews. Das Perfide an der Lüge ist, dass sie das Publikum schnell überzeugt, selbst wenn beide Diskussionspartner ganz genau wissen, dass die Behauptung schlicht unwahr ist. Die Zuhörer wissen es nämlich oftmals nicht.

Ein extremes Beispiel

Mal ein plakatives, extremes Beispiel - stellen Sie sich das einmal mit Publikum vor:

„Sie sind Ihrem Job offensichtlich nicht gewachsen. Sie haben doch vor Ihrem Auftritt hier gerade noch Beruhigungsmittel eingeworfen.“

„Wie bitte? Also, das stimmt doch gar nicht. Was soll das denn?“

„Ach, habe ich doch mit eigenen Augen gesehen. Hinter der Bühne am Tisch mit den Getränken.“

Das ist eine hübsch ausgeschmückte aber dennoch unverschämte Lüge. Aber wie so oft auch Fakenews in den sozialen Medien wird sie vom außenstehenden Publikum geglaubt, weil die ahnungslosen Dritten die Glaubwürdigkeit der Quelle nicht anzweifeln. Zumindest solange es für die Zuhörer keine Anhaltspunkte dafür gibt.

Und das ist Ihre Chance als der vom Belogenen in die Enge Getriebene. Sie müssen das Publikum dazu bringen, die Glaubwürdigkeit des Lügners anzuzweifeln. Die Leute müssen IHNEN glauben. Auch wenn Sie, wie meistens, spontan keine notariell beglaubigten Beweise aus der Tasche zaubern können. Ihnen bleibt die Kraft Ihrer Rhetorik. Überzeugen Sie jetzt und hier mehr als der Andere. Und machen Sie Ihr Publikum zu Ihrem Verbündeten. Das geht in unserem Beruhigungsmittel-Beispiel so:

„Würde ich dem Druck meines Jobs nicht standhalten, wäre ich nicht hier. Denn die Gesundheit geht nun mal über alles. Ich bin mir meiner Sache aber sehr sicher und bin deshalb ruhig und entschlossen. Aber Sie sind ein Lügner und wollen mich vor unseren Zuhörern diskreditieren. Das haben weder ich noch die Zuhörer verdient.“

Was steckt da drin?

1. Ich wäre nicht hier, wenn ich überfordert wäre. Also die Behauptung: Hätten Sie recht, wäre die Situation anders. Das klingt vernünftig und das glaubt man Ihnen gern.

2. Weil ich aber hier bin, zeigt das, dass Ihre Behauptung unwahr ist. Diesen Umkehrschluss kann jeder nachvollziehen. Die Lüge scheint logisch entlarvt. Ganz ohne Überwachungsvideo von hinter der Bühne.

3. Sie sind ein Lügner. Den miesen Trick des Anderen also klar ansprechen.

4. Das haben weder ich noch die Zuhörer verdient. Der Angegriffene verbündet sich mit dem Publikum. Das Publikum und ich.

Und das ist die große Kunst. Erobern Sie das Publikum und machen Sie es zu Ihrem Partner. Das geht völlig fair, solange Sie ehrlich bleiben.

Mein Rat aus meiner Erfahrung als Fernsehmoderator dafür ist:  Überlegen Sie immer: Was fühlen und denken die Leute wohl gerade in diesem Moment? Und reagieren Sie genau auf das - und nicht allein auf Ihre Mitdiskutanten. Manchmal höre ich in Diskussionen, wie die Kontrahenten sich in Fachdetails verzetteln, um sich gegenseitig zu beweisen, dass sie besser im Thema sind. Und die Leute im Publikum dämmern weg und überlegen, wann sie morgen aufstehen müssen. Denken Sie deshalb vom Publikum aus.

Versucht der Andere, das Publikum zu verführen?

Und achten Sie auch darauf, ob der Andere systematisch versucht, das Publikum zu verführen. Ein - wie ich finde - schönes Beispiel ist das Argument: „Damit stellen Sie uns alle doch unter Generalverdacht.“ Anders als die Lüge ist das ein legitimer, rhetorisch raffinierter Vorwurf.

Wir kennen ihn vor allem aus Diskussionen über mehr persönliche Kontrollen im Alltag.

So eine gab es damals, nachdem ein Germanwings-Pilot eine Maschine absichtlich hat abstürzen lassen: Sollen alle Piloten regelmäßig auf psychische Probleme hin untersucht werden?

„Nein, denn damit stellen Sie alle Piloten unter den Generalverdacht, psychisch krank zu sein.“

Sollen Senioren ab einem Alter von 75 Jahren noch einmal zu einer Fahreignungs-Prüfung?

„Um Gottes Willen, damit stellen wir alle Rentner unter den Generalverdacht, eine Gefahr für die Gesellschaft zu sein. Das hat kein älterer Mensch verdient. Sie kommen auch noch in das Alter.“

Im Auto eingebaute Alkoholtests kombiniert mit einer Wegfahrsperre für alle Taxis oder sogar für alle Privat-Autos? „Nein. Generalverdacht.“

Sollen nach den Attentaten von Hanau Sportschützen künftig regelmäßig auf ihre Eignung zum Führen von Waffen überprüft werden? „Nein, schließlich stelle das alle redlichen Schützen unter einen Generalverdacht.“

Hören das potenziell von Kontrollen Betroffene, dann kann sich in diesem Moment sicherlich kaum einer vom unbehaglichen Gefühl freimachen, unter Verdacht zu stehen, eine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein. Der Generalverdachts-Vorwurf haut richtig rein und verführt das Publikum, sich gegen neue Kontrollen zu wenden. Und mehr noch: Wer mehr Kontrollen fordert, denke offenbar per se schlecht über die betroffene Zuhörergruppe.

Unterstellt, Sie sind jetzt mal für mehr Kontrollen, dann dürfen Sie das nicht auf sich sitzen lassen. Hören Sie das Stichwort Generalverdacht, müssen Sie sofort das Publikum zurückerobern. Denken Sie wieder vom Publikum aus. Das will keinen Generalverdacht. Also zeigen Sie, dass ja auch keiner unter Generalverdacht gestellt wird. Ich würde so antworten:

„Mehr Kontrollen beseitigen sogar einen möglichen Generalverdacht. Mit mehr Kontrollen finden wir nämlich die wenigen, die wirklich eine Gefahr bedeuten. Weil wir aber nicht wissen, wer die sind, brauchen wir die Mithilfe derer, von denen keiner etwas zu befürchten hat. Das ist sogar sehr solidarisch und auch im eigenen Interesse aller Kontrollierten. Denn es wird ja für alle sicherer.“

Ist das nicht schön? Der Effekt ist: Das Publikum erkennt, dass es dazu beitragen kann, dass es für alle besser wird. Das ist schmeichelhaft. Und jeder Zuhörer erkennt: Ich profitiert sogar selber. Die Kurzfassung dieses Aspekts kennen wir von Schildern am Eingang von Großveranstaltungen: „Zu Ihrer eigenen Sicherheit führen wir Taschenkontrollen durch.“

Also: Denken Sie sich also in die Lage des Publikums hinein und verbünden Sie sich mit ihm. Was ist für die Leute der überzeugende Blickwinkel? Der Blickwinkel des Diskutanten ist höchstens gleichrangig. Das heißt überhaupt nicht, dass Sie Ihren inhaltlichen Standpunkt räumen müssen, nur um der Masse zu gefallen. Es geht darum, dass Sie Ihren Standpunkt den Zuhörern so vermitteln, dass sie aus der eigenen Position heraus gedanklich einen grünen Haken dran machen können: Generalverdacht? Nein, im Gegenteil. Und spielt der Kontrahent mit fiesen rhetorischen Tricks unter der Gürtellinie, sprechen Sie das offen an und stellen Sie ihn damit bloß.

Das Publikum kann nach all dem dann gar nicht anders, als sich auf Ihre Seite zu schlagen.

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