Karriereleiter Souverän streiten in der Videokonferenz

Was, wenn in der Videokonferenz die Fetzen fliegen? Nach einigen Wochen merken viele am Laptop auf dem heimischen Esstisch oder vorm PC in der halbleeren Firma: Das mit Kamera und Mikro ist zwar alles praktisch, fordert aber auch einen speziellen Kommunikationsstil. Gerade in einem hitzigen Schlagabtausch von weit weg, bei der das Feine und Leise im Zwischenmenschlichen schnell mal unterwegs elektronisch verpufft. Hier ein paar Tipps für souveränes Streiten in der Audio- und Videokonferenz.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Auch wenn die Coronakrise noch längst nicht ausgestanden ist: Die ersten ziehen schon Bilanz, was das neue Arbeitsleben angeht. Und ein bemerkenswerter Effekt für viele ist die neue, schlanke Meeting-Kultur. Denn das ist die Kultur der leeren Konferenzräume. Konferiert wird jetzt millionenfach über die neuen elektronischen Wege vom Homeoffice aus.

Und nach einigen Wochen Joballtag mit den digitalen Konferenzen haben viele auch gemerkt: Vieles ist doch irgendwie anders.

1. Die Konferenzen verlaufen zügiger und mit weniger Blabla. Wo sich früher ein munterer Austausch von Argumenten ergeben hat, was später umgeschlagen ist zu ausuferndem Smalltalk und Gags aus allen Richtungen, da herrscht heute auf die Frage: „Will noch irgendjemand irgendetwas sagen?“ oftmals absolute Stille auf allen Kanälen der zugeschalteten Kollegen. Das mögen wir manchmal vermissen, aber eins ist es auf jeden Fall: schneller.

2. Und jetzt wird es langsam kritisch: Der ein oder andere wortkarge Kollege, der in klassischen analogen Konferenzen bei Anwesenheit in Fleisch und Blut wenigstens ab und zu mal durch ein kritisches Murren auffällt, - „Ach, nä, bitte nicht“ - oder auch durch ein leises zustimmendes „Also, ich find’s gut“, der tritt online kaum mehr in Erscheinung.

3. Auseinandersetzungen, spannende Schlagabtausche, ein engagiertes Pro und Contra finden seltener statt und enden oft ungewöhnlich abrupt. Wie geht es Ihnen? Ich kenne das von mir: Es schleicht sich das Bauchgefühl ein: „Ach, hier im Audiochat in der großen Runde muss das ja jetzt wirklich nicht breitgetreten werden.“ Spätestens nach der zweiten Gegenrede ist Schluss. Weil noch ein Argument obendrauf doch irgendwie den Rahmen sprengen würde. Dabei hätte so ein Gespräch analog im Konferenzraum selbstverständlich genau so stattgefunden.

Doch im digitalen Meeting spüren nach meiner Erfahrung viele auf gewisse Art eine innere angezogene Handbremse. Irgendwie fühlt sich der Rückzug besser an: Ach, Wurscht, das besprechen wir besser mal demnächst persönlich. Mit dem Hinkefuß, dass „demnächst“ bedeuten kann: in Wochen und Monaten. Das neue Persönlich ist jetzt eben das persönliche Gespräch vor der Cam. Da können wir uns eine Zurückhaltung im digitalen Umfeld nicht leisten. Konflikte müssen eben auch vor Mikro und Kamera professionell ausgefochten und gelöst werden, wenn wir von unserem Standpunkt überzeugen wollen. Es soll sich auch in Homeoffice-Zeiten kein Frust anstauen.

Ich habe deshalb darüber nachgedacht, woher diese Hemmung zum leidenschaftlichen Schlagabtausch kommt. Auch ohne eine Studie mit 1000 Teilnehmern dazu gemacht zu haben, wage ich zu behaupten: Es liegt am Mikro und es liegt am ungewohnten Feedback-Verhalten aus dem Kreis der Kollegen.

Das Mikro wirkt nämlich wie ein sehr grober Inhaltefilter. Vor allem deshalb, weil es aus gutem Grund zum guten Ton gehört, dass wir ohne Grund keinen Ton von uns geben. Das Mikro macht nur an, wer etwas sagen will. Weil sonst die Homeoffice-Hintergrundgeräusche bei jedem Teilnehmer durch die Mikros extrem verstärkt werden: die Kinder ohne Schule daheim, das Polizeiauto mit Tatütata auf der Straße draußen. Das Geklacker der Laptop-Tastatur. Selbst liebliches Vogelgezwitscher bei einem vom 30 Teilnehmern vor dem Fenster kann eine stadtweite Weißglut unter den Kollegen auslösen. Deshalb gilt pauschal: Mikro aus, es sei denn, du sprichst.

Aber diese aus technischen Gründen schlaue Regel fegt auch die kleinen Regungen von Zustimmung und Missfallen aus dem Gruppengespräch. Ein tiefes Atmen der Ungeduld, ein kleines Lachen oder großes Gelächter, ein schnelles „Stimmt“, ein ungläubiges „Hä?“ - all das kommt nicht mehr durch. Dem Redner fehlt das feinsinnige Feedback, was sonst in jeder analogen Konfi unterschwellig von vielen mitkommuniziert wird. Besonders bei Konferenzen ohne Kamera. Wir reden sozusagen in die schwarze Stille. Und empfangen kaum Signale aus dem Team: Schüttelt da jemand daheim gerade vielleicht genervt den Kopf? Denken die jetzt: Halt den Mund? Warum unterstützt mich die Runde nicht durch hörbares Wohlwollen? Fanden die jetzt meine Einlassung zu harsch? Ist jemand gekränkt? Hat jeder verstanden, was ich meine? Keine spontane Reaktion.

All das kann uns als Redner verunsichern. Die Lust zu provokanten, mutigen Thesen verebbt ohne die gewohnte Resonanz sicherlich bei vielen schnell. Gerade bei Audio-Konferenzen ohne Bild, bei der sämtliche Mimik fehlt, jedes Nicken, jedes Stirnrunzeln - und man mitunter nicht einmal weiß, ob die Leute gerade überhaupt noch anwesend sind und zuhören oder sich gerade eine Kaffee holen, greift die innere Handbremse.

Die Folge ist: Viele Diskussionen versanden, Argumente werden nicht in großer Runde ausgetauscht (sondern lieber direkt im Anschluss im Zweiertelefonat mit dem Lieblingskollegen geteilt), Entscheidungen der Führung werden am Ende nicht vom Team mitgetragen und keiner weiß das, weil nie richtig mit Leidenschaft gemeinsam drüber gestritten wurde. Das schadet dem Erfolg Ihres Projekts und das schadet im Zweifel auch Ihren Interessen, wenn Ihre Standpunkte kein Gehör mehr finden.

Wir müssen lernen, die Ungewissheit auszuhalten

Was also tun? Ich kenne das aus meinem Job als Fernsehmoderator: Als ich dort vom Studio aus meine ersten von mir als witzig empfundenen Pointen in die Kamera abgefeuert habe, da kam natürlich null Feedback von den Zuschauern daheim. Saßen die Leute dann nun hunderttausendfach auf dem Sofa und haben sich die Bäuche gehalten vor Lachen oder dachten sie sich: was für ein blöder Gag?

Ich musste lernen, diese Ungewissheit auszuhalten. Und sie durch Selbstvertrauen zu ersetzen: Ich finde es witzig, ich kenne mein Publikum, die halten sich also die Bäuche. Basta.

Soll für Online-Konferenzen heißen: Wenn unser Standpunkt gut ist, dann ist er es auch digital, selbst wenn keiner hörbar direkt darauf mit Jauchzern der Euphorie reagiert. Und vielleicht gibt es berechtigte Kritik, auch wenn diese nur kleinlaut angedeutet wird.

von Konrad Fischer, Thomas Kuhn, Christian Schlesiger

Deshalb: Führen Sie eine digitale Streitkultur ein. Ich würde es so machen:

1. Überwinden Sie die Scheu und schalten Sie die Kamera ein. Die Cam ist kein Firlefanz, sondern Sie bekommen mit Bild ein unbezahlbares kommunikatives Geschenk geliefert: lächelnde Augen, grübelnde Stirne, schmollende Münder, gerunzelte Nasenrücken, angespanntes Zappeln, aufgeblasene Backen, hochgezogene Augenbrauen, das ganze Repertoire der Mimik und einen Großteil der Körpersprache. Das lässt Sie alle ganz nah zusammenrücken. Wenn Sie es entscheiden dürfen: Überreden Sie Ihre Mitarbeiter zur Kamera. Was am Anfang ungewohnt ist und auch mal ablenkend sein mag, weil man denkt, man ist da irgendwie die ganzen Zeit auf Sendung, das wird ganz normal. Sich beim Gespräch zu sehen, ist ja auch eigentlich nichts Neues.

2. Kompensieren Sie fehlendes spontanes akustisches Feedback wegen der abgeschalteten Mikros durch deutliche optische Gesten. Zustimmende Gesten während einzelner Wortbeiträge funktionieren dann ja ohne dazwischenzureden über die Cam. Nicken Sie oder recken Sie den Daumen, wenn Sie zustimmen wollen. Widersprechen Sie durch entsetzte Mimik. Ohne was zu sagen. So spürt der Redner, wie seine Zuhörer auf seine Einlassungen reagieren. Auch ohne etwas zu hören.

3. Ernennen Sie einen Moderator. Am besten nicht den Chef oder die Chefin. Denn sonst richtet sich die Koordination des Gesprächs schnell nur danach, was das Alphatier gerade für sinnvoll hält und was es nervt. Dieser Moderator hat nämlich nicht nur die Aufgabe, die Konferenz kurz und strukturiert zu halten und Diskussionen abzuwürgen. Sondern er sollte genau zu dem auffordern, was sich viele nun intuitiv leider verkneifen: einen lebendigen Meinungsaustausch trotz aller technischer Hindernisse. Aber nicht irgendwie.

4. Verabreden Sie klare Regeln dafür. Und kompensieren Sie damit die Nachteile der Technik. Ein ganz großer Knackpunkt ist das Durcheinandergequatsche. Wir kennen das ja auch aus Fernsehtalkshows. Wenn da zwei Streithähne durcheinander reden, versteht man nix mehr. Weil wir anders als in einem dreidimensionalen Raum nicht orten können, welcher Schall von wem kommt. Online fließt alles gleichwertig zu einem Audiosignal zusammen. Solange sich das nicht technisch lösen lässt, muss gelten: einer nach dem anderen. So schwer es fällt, wenn der Puls hochgeht.

von Varinia Bernau, Stefan Hajek, Michael Kroker, Nora Schareika

5. Wenn Sie selbst mit Reden dran waren und sich unsicher sind, wie Ihr Standpunkt angekommen ist, dann fordern Sie anschließend aktiv Feedback ein: „Stimmt ihr mir zu?“ - „Sieht es jemand anders?“ Und dann können Sie darauf reagieren. Und die Moderatorin sollte gerade die traditionell Wortkargen ins Gespräch mit einbeziehen: „Laura, wie findest du das?“

6. Wen Sie zugehört haben: Sagen Sie dazu, wenn Sie lachen mussten, wenn Sie gestutzt haben, wenn Sie voller Begeisterung zugehört haben. Schildern Sie Ihre Gefühlsregungen, die den anderen wegen der technischen Hürden entgehen. Damit Differenzen direkt im Call besprochen werden können und sich nicht heimlich und unausgesprochen durchs Team fressen.

7. Lassen Sie sich von technischen Querelen nicht dazu verleiten, Diskussionen zu beerdigen, bevor alles Wichtige gesagt wurde. Etwa so: „Ach, der Ton ist jetzt so oft unterbrochen worden, jetzt ist es mir auch egal.“ Die Technik ist, wie sie ist. Und sie ändert nichts an der Relevanz der Diskussion. Schlechte Tonqualität rechtfertigt nicht, Redner mundtot zu machen. Denken wir daran: Die Alternative des persönlichen Gesprächs in einem echten Raum steht zurzeit oftmals einfach nicht zur Verfügung. Im Zweifel muss die Diskussion verschoben werden. Aber drängen Sie nicht die Anliegen des Teams, nur weil Deutschland digitales Entwicklungsland ist, in die Vergessenheit.

8. Überzeugen Sie durch Blickkontakt. Viele neigen zum Herumschwirrenlassen der Blicke und vergessen, dass ihnen dabei zugeguckt wird. Also: Digital-Disziplin bitte. Zu Ihre eigenen Gunsten. Bei einem Redebeitrag vor Publikum in einem Saal blicken Sie die Anderen ja auch an. Hier muss es eben die Kamera sein. Oder zumindest der Blick knapp dran vorbei auf die Zuhörer auf dem Bildschirm. Das macht Sie überzeugender und Sie wirken nahbarer. Das stärkt Ihre Position.

Online diskutiere und streiten. Das geht. Und das muss gehen. Im Sinne der Sache. In Ihrem Sinne, wenn Sie die Anderen von Ihrem Standpunkt überzeugen wollen. Und wenn in den neuen Zeiten wichtige Argumente nicht ungehört bleiben sollen. Wenn sich das in Ihrem Unternehmen richtig einspielt, dann macht das richtig Spaß. Viel Erfolg. Und bis zum nächsten Mal.

Ihr Marcus Werner

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