Wegen Merkels Energiewende Grüne verlieren wichtige Anti-Atom-Verbündete

Mit ihrem Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg haben sich die Grünen keinen Gefallen getan. Die Anti-AKW-Bewegung ist empört. Der Ökopartei droht damit eine wichtige Wählerklientel wegzubrechen. VON DIETMAR NEUERER

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ie beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, Claudia Roth und Cem Özdemir. Quelle: handelsblatt.com

Von einem Sieg der Anti-AKW-Bewegung, der Umweltverbände und auch der Grünen, hatte Claudia Roth die Zustimmung ihrer Partei zu Merkels Atomwende auf einem eigens dafür veranstalteten Sonderparteitag gepriesen. Dabei hatten viele Grüne kurz zuvor noch zusammen mit Hunderttausenden für einen Atomausstieg bis 2017 demonstriert. Die Fraktion hatte das im Bundestag sogar mit einem entsprechenden Gesetzentwurf untermauert. Doch dann ist alles anders gekommen. Der Grünen-Spitze gelang es, die Delegierten auf ihre Seite zu ziehen. Damit war klar, die Grünen-Abgeordneten würden dem Zeitplan der Bundesregierung, das letzte von 17 Atomkraftwerken 2022 abzuschalten, zustimmen. Das Parlament hat den Merkel-Ausstieg erwartungsgemäß mit großer Mehrheit beschlossen, morgen werden die Länder nachziehen.

Der Anti-AKW-Bewegung passt das gar nicht. Ihnen ist das Erreichte zu wenig. Dass die Grünen vor Merkel eingeknickt sind und damit den eigentlich gewünschten Turbo-Ausstieg zunichte gemacht haben, davon sind viele der Atomgegner überzeugt. Die Empörung ist groß, der Widerstand wächst und könnte noch zu einem Problem für die Grünen werden, wenn sie bei Wahlen plötzlich auf diese wichtige Klientel nicht mehr setzen können. Das etwas im Argen liegt, ist offenkundig und auch daran abzulesen, dass einen Tag vor der Bundesratsabstimmung über die Gesetze des Bundes zur Energiewende Umweltverbände und Anti-Atom-Organisationen Front gegen die Grünen machen.

Im Gespräch mit Handelsblatt Online äußerten Verbandsvertreter deutlich ihr Missfallen über die Zustimmung der Grünen zum Atomausstiegsplan und gaben zu erkennen, dass sie die Partei nicht mehr als einen ernstzunehmenden Teil der Anti-Atom-Bewegung sehen. Uwe Hiksch, Mitglied im Bundesvorstand der Naturfreunde Deutschlands begründet dies insbesondere damit, dass sich die Grünen „leider“ für den Ausstiegsbeschluss von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entschieden hätten. „Dies halten wir für falsch.“ Sein Verband werde daher in den nächsten Jahren „einen Kampf um die Abschaltung jedes einzelnen Reaktors führen“, so Hiksch. „Dabei werden wir versuchen, SPD und Grüne durch außerparlamentarische Aktionen zu einem schnelleren Atomausstieg zu bewegen.“

Ähnlich äußerten sich Vertreter von Robin Wood, des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND),  der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Greenpeace und des Naturschutzbund Deutschland (Nabu).

Besonders bitter stößt den Verbänden auf, dass die Vize-Chefin der Bundestagsfraktion der Grünen, Bärbel Höhn, vor kurzem erklärt hatte, dass die Grünen auch in Regierungsverantwortung an dem Ausstiegsdatum 2022 festhalten wollen. „Wenn wir 2013 mitregieren sollten, werden die Grünen an dem Zeitraum festhalten, dass bis 2022 der letzte Meiler abgeschaltet werden soll“, hatte Höhn der „Rheinischen Post“ gesagt. Und sie betonte: „Das heißt, wir werden den vorzeitigen Ausstieg 2017 auch nicht mehr als Zielsetzung im nächsten Wahlkampf haben.“ Weil die SPD dem schwarz-gelben Ausstieg habe zustimmen wollen, hätten die Grünen den Koalitionspartner verloren, mit dem man einen Ausstieg bis 2017 realistisch hätte durchsetzen können.

„Die Zustimmung der Grünen zum Atomgesetz der Bundesregierung ist fatal“, sagte dagegen Dirk Seifert, Energiereferent bei Robin Wood. „Obwohl in jedem Atomkraftwerk ein Super-Gau möglich ist, stimmen die Grünen dem weiteren Betrieb von neun Atomkraftwerken zu.“ Statt Sachverstand habe sich bei den Grünen „wieder einmal Machtpolitik durchgesetzt“. Dadurch aber werde kein AKW sicherer.

"Schmerzhaftes" Lernen für die Grünen

Dass Merkels Ausstiegsplan nun wieder gelten soll, „obwohl es nach der Katastrophe in Fukushima einen deutlichen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung und Politik gibt, macht unser Verhältnis zu den Grünen nicht einfacher“, sagte auch Ewald Feige von der IPPNW. „Scheinbar ist die Versuchung groß, zugunsten einer erneuten Regierungsbeteiligung an den einstigen energiepolitischen Forderungen erhebliche Abstriche zu machen.“ Feige betonte, dass es nicht verantwortbar sei, neun Atomkraftwerke trotz der bestehenden gravierenden Sicherheitslücken, der Erdbebengefahr und der ungelösten Müllentsorgung weiterzubetreiben. „Deshalb muss nun endlich der dezentrale Umbau des Energiesystems hin zu heimischen erneuerbaren Energien beschleunigt werden.“

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), sieht in der Ausstiegsfrage das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Grünen hätten bisher die Bundestagswahl 2013 zu einer Abstimmung über eine beschleunigte Energiewende machen und das letzte AKW deutlich vor 2022 abschalten wollen. „Darauf werden wir weiter pochen und fordern, dass die Grünen-Parteitage dies vor der nächsten Bundestagswahl erneut beschließen“, sagte Weiger. „Keine Partei kann den Atomausstieg gegen die Stimmung einer Mehrheit in der Bevölkerung und gegen die Anti-Atom-Bewegung verzögern.“ Das habe die Grünen-Spitze schon einmal „schmerzhaft“ lernen müssen, als etwa der einstige Umweltminister Jürgen Trittin die Proteste gegen Castor-Transporte nach Gorleben als überflüssig bezeichnet habe.

Kritische Worte auch von Greenpeace. “Wir hätten uns von den Grünen ein anderes Abstimmungsverhalten gewünscht, weil ein Ausstieg aus der Atomkraft bis 2015 möglich ist“, sagte Marcel Keiffenheim, Leiter Energiepolitik bei Greenpeace Energy. Angesichts der atomaren Bedrohung solle dieses wichtige Ziel nicht voreilig aufgegeben werden. „Wir haben in dieser konkreten Frage also einen deutlichen Dissens zu den Grünen“, unterstrich Keiffenheim. Er sagte allerdings auch, dass das Verhältnis zu den Grünen dadurch nicht „prinzipiell belastet“ sei. Greenpeace beurteile Parteien nach ihrem ökologischen Profil. „Im Verhältnis zu den Grünen sehen wir in etlichen Punkten Gemeinsamkeiten. Dies gilt auch in der Einschätzung der Atomkraft generell.“

Der Naturschutzbund Deutschland sieht im Bereich der Atomkraftnutzung gegenwärtig „keine denkbare Regierungskoalition, die den Ausstiegszeitplan auf 2017 vorzieht“. Der Vize-Fachbereichsleiter für Umweltpolitik und Naturschutz beim Nabu, Carsten Wachholz, bringt daher Alternativen ins Spiel. „Die Nachbesserungsmöglichkeiten im Bereich von Sicherheitsstandards, Haftung und Rückstellungen für AKW-Betreiber können aus meiner Sicht durchaus dazu führen, dass aus wirtschaftlichen Gründen einzelne Kraftwerke vorzeitig vom Netz genommen werden bevor die Enddaten im heute novellierten Atomgesetz erreicht werden“, sagte er.

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