2016 wird des entscheidende Jahr Gegen den IS kommt Iraks größter Kampf noch

Noch immer beherrscht der IS im Irak riesige Gebiete. Auch der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten sowie der niedrige Ölpreis belasten das Land. Regierungschef Al-Abadi steht unter massivem Druck.

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Truppen des Iraks rücken am 22. Dezember in Richtung Ramadi vor. Quelle: dpa

Diesmal sind sich die irakischen Offiziere ganz sicher. Noch in diesem Jahr, verkündete das Verteidigungsministerium vor kurzem, würden die Sicherheitskräfte Ramadi einnehmen, die Hochburg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Westen des Landes. Das Militär hat zwar schon häufiger angekündigt, die Befreiung der Provinzhauptstadt stehe unmittelbar bevor. Jetzt aber könnte die Vorhersage eintreffen. Nach monatelangen Kämpfen ist die Armee bis ins Zentrum Ramadis vorgedrungen. Der Sieg scheint nahe.

Für das Militär und die Regierung des Irak wäre dies politisch, militärisch und symbolisch ein äußerst wichtiger Erfolg - für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hingegen eine schmerzhafte Niederlage. Ramadi ist bisher neben Mossul im Norden und Falludscha im Westen mit die wichtigste Hochburg der sunnitischen Extremisten im Land. Sie liegt im Kerngebiet der irakischen Sunniten, wo die Dschihadisten unter der Bevölkerung die stärkste Unterstützung finden. Zudem führt von Ramadi aus eine wichtige Verbindung in die ostsyrische Stadt Dair as-Saur, ebenfalls ein wichtiges Zentrum der Terrormiliz.

Für Iraks Regierungschef Haidar al-Abadi ist ein Erfolg der Offensive im Westen fast schon überlebenswichtig. Hinter dem schiitischen Politiker liegt ein schwieriges Jahr mit vielen Rückschlägen. Zwar konnte die Armee mit Hilfe schiitischer Milizen die Stadt Tikrit aus der Gewalt des IS befreien. Zugleich aber verlor sie Ramadi im Mai an die Extremisten - nach dem Verlust Mossuls vor mehr als einem Jahr eine weitere Schmach für das Militär und die Regierung.

Politisch steht der Ministerpräsident massiv unter Druck. Al-Abadi ging in den vergangenen Monaten mehrere Reformen an, mit denen er Korruption und Vetternwirtschaft bekämpfen will. Sie gelten als Grund dafür, dass die irakische Armee beim IS-Ansturm im Sommer 2014 wehrlos zusammenbrach. So verringerte Al-Abadi die Zahl der Posten im Kabinett deutlich. Eine neue Kommission soll künftig Schmiergeldvorwürfen gegen Regierungsbeamte nachgehen. Auch die Sicherheitsstrukturen will Al-Abadi umbauen, weshalb er zahlreiche Offiziere in Armee und Polizei feuerte.

Doch gegen die Reformen regt sich massiver Widerstand, vor allem unter schiitischen Politikern und Milizen, die um ihren Einfluss fürchten. Politisch und militärisch sind die eng mit dem Iran verbundenen Milizen längst einer der wichtigsten Akteure im Land. Sie werden zwar von der Regierung bezahlt, entziehen sich aber weitestgehend ihrem Einfluss. Die Milizen machten massiv Stimmung gegen Al-Abadis Plan, Nationalgarden in den irakischen Provinzen zu schaffen, weil damit die sunnitischen Kräfte gestärkt worden wären.

Zu Al-Abadis Erzfeinden gehört ausgerechnet ein Parteifreund: sein Vorgänger Nuri al-Maliki. Vor allem ihn machen viele Beobachter dafür verantwortlich, dass die von Schiiten dominierte Regierung über Jahre Sunniten diskriminierte und somit dem Vormarsch des IS den Boden bereitete. Al-Abadi setzte durch, dass die Posten der drei Vize-Präsidenten abgeschafft wurden, wodurch Al-Maliki sein höchstes Amt verlor. Dieser aber ignoriert die Entscheidung einfach und unterzeichnet Briefe weiterhin als Stellvertreter des Staatschefs.

Viele sehen Al-Maliki als Symbol für das neben der Korruption größte Übel im Irak: das tiefe Misstrauen zwischen den beiden großen Konfessionen. Die Minderheit der Sunniten fühlt sich durch die Mehrheit der Schiiten diskriminiert. Einem Ausgleich zwischen ihnen ist der Irak in dem Machtgerangel nicht näher gekommen, dabei gilt er als Voraussetzung dafür, um den IS besiegen zu können. Die Extremisten profitieren von den tiefen politischen Gräben.

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Der Rückgang des Ölpreises macht dem Land zusätzlich schwer zu schaffen, schließlich speist sich der irakische Haushalt fast vollständig aus dem Verkauf des Rohstoffs. „Vor Al-Abadi liegt im nächsten Jahr keine einfache Aufgabe, weil das Bündel an Problemen so riesig ist“, sagt der irakische Analyst Ahmed al-Samrai. Das Land nehme derzeit eine „gefährliche Wende“. Schon seit längerem kursieren Gerüchte, Al-Abadis Gegner wollten ihn stürzen.

So dürften 2016 entscheidende Weichen für das Land gestellt werden. Ein Sieg in Ramadi würde dem Regierungschef den Rücken stärken. Sollte die Armee die Stadt befreien, will sich Al-Abadi der nächsten großen Aufgabe zuwenden: der Eroberung Mossuls. Dann erst wird sich das Schicksal der Terrormiliz im Irak entscheiden. Dem Land droht eine lange und blutige Schlacht. Der Kampf um Ramadi läuft schon seit Monaten - dabei ist die Stadt mit einst rund 300 000 Einwohnern deutlich kleiner als die Millionenmetropole Mossul.

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