25 Jahre nach dem Genozid Ruanda ist Afrikas größte Erfolgsgeschichte – wirtschaftlich betrachtet

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„Made in Rwanda“ als Regierungs-Initiative

In Kigali gehören zudem Mülleimer zum normalen Straßenbild. Plastiktüten hat die Regierung schon vor Jahren verbannt. Bei der Einreise kontrollieren Beamte manchmal sogar die Taschen von Touristen nach Plastiktüten. Die vielen Vorschriften haben Ruanda einen neuen Spitznamen eingebracht: „das Land der tausend Regeln“. „Im Gegensatz zu den Nachbarländern werden diese Vorschriften in Ruanda auch eingehalten“, sagt Hankel.

Die Regierung sei hoch effektiv, sagt auch Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. „Die Unternehmen kommen nicht, weil Ruanda als Markt so wichtig wäre, sondern weil die Regierung und die Verwaltung zuverlässig arbeiten“, sagt Liebing.

Und das hängt vor allem mit einer Person zusammen: dem Präsidenten Paul Kagame. Sein Aufstieg ist eng mit dem Bürgerkrieg verbunden. Kagame war Anführer einer Rebellengruppe der Tutsi, der Rwandan Patriotic Front. Die Rebellenarmee nahm vor 25 Jahren nach Wochen blutiger Kämpfe die Hauptstadt Kigali ein und beendete so die Gewalt. Seit 2000 ist der heute 61-jährige Präsident – und hat es auch vor zu bleiben: Die Verfassung hat Kagame so umschreiben lassen, dass sie ihm rein theoretisch erlauben würde bis 2034 weiter zu regieren. Das letzte Wahlergebnis bescherte ihm 99 Prozent Zustimmung.

Politikwissenschaftler bezeichnen den Regierungsstil mittlerweile als „Entwicklungs-Patrimonialismus“. Ein langfristiges Wachstum und Entwicklung sind das oberste Ziel der Regierung, andere Ziele werden untergeordnet. Eine Opposition gibt es nicht, Kritiker werden unterdrückt. „Im Hinblick auf die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Standards, die wir in Europa schätzen, und der in Ruanda gelebten Praxis“, sagt auch Stefan Liebing.

Unternehmen schreckt das nicht ab. Kagame sei zwar autoritär, aber wenigstens nicht korrupt. Er gilt als modern. Und Kagame will, dass viele Unternehmen kommen. Noch hängt auch in Ruanda rund ein Drittel des Staatshaushalts von Entwicklungsgeldern ab. Ruanda gilt als Liebling der Geberländer, auch wegen dem grünen, sauberen Image. Das soll nun auch Unternehmen anlocken. Seit vier Jahren treibt die Regierung die Initiative „Made in Rwanda“ voran, mit der sie die heimische Fertigung stärken will.

Was das heißt, lässt sich in Nyamirambo beobachten, einem der ältesten Stadtteile der Hauptstadt Kigali. Hier sind die Häuser bunt und voller Graffitis, winzige Cafés, Friseursalons und Läden haben sich in den schmalen Häusern eingerichtet. Die Einheimischen aber kaufen meist auf dem Markt. Auf einer Straßenseite verkaufen Männer und Frauen selbstgemachte Holzkohle mit ein paar Eukalyptusblättern dazwischen, dann riecht es besser. Drinnen ist es laut und hektisch, Nähmaschinen rattern, Hühner gackern, Frauen verkaufen Obst und Gemüse oder gebrauchte Sneaker aus Europa. An einem Stand gibt es nur Socken – alle bereits getragen.

Geht es nach Paul Kagame, soll es das nicht mehr geben. Zum Jahresanfang hat die Regierung Importe von Secondhand-Kleidung offiziell verboten. Stattdessen will sie nun selbst Textilproduktion nach Ruanda locken. In Kigali hat sie eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Wer Produkte hier herstellt und ins Ausland exportieren will, zahlt keine Zölle. In der Zone hat auch der chinesische Textilhersteller C&H eine Fabrik. Einen Teil der Kleidung hier soll auch für den afrikanischen Markt produziert werden.

Kagame pflegt die Beziehung zu China. Chinesische Unternehmen bauen Straßen und Brücken in Ruanda. Erst im vergangenen Jahr ehrte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping ehrte Ruanda mit einem Staatsbesuch.

Ob der gemeinsame Plan von Ruanda als Textilnation aufgeht, daran gibt es jedoch viele Zweifel. Die Gesetze des Wettbewerbs sprechen dagegen. Eigentlich wollte Ruanda gemeinsam mit Kenia, Uganda und Tansania den Import der Secondhand-Kleidung erschweren. Doch die USA übten Druck aus, sodass bis auf Ruanda alle Regierungen ihre Pläne absagten. Nun könnte über die Grenzen weiter billige, importierte Kleidung nach Ruanda gelangen.

Ob das Projekt Erfolg hat, ist damit fraglich. Und das sei das Problem, sagt Gerd Hankel. „Autoritäre Regime, wie das von Kagame, sind zum Erfolg verdammt. Alles muss von Jahr zu Jahr besser werden“, sagt Hankel. Doch auch für Ruanda könne das nicht immer gelten. Das Wachstum sei ungleich verteilt. „Nicht bei allen Teilen der Bevölkerung kommt die Entwicklung an, viele leben immer noch unter der Armutsgrenze.“

Die Menschen hier drücken es anders aus: Manchmal sei Ruanda auch das Land der tausend Lügen.

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