25 Jahre nach dem Genozid Ruanda ist Afrikas größte Erfolgsgeschichte – wirtschaftlich betrachtet

Ruanda genießt sowohl bei Investoren als auch bei anderen afrikanischen Führern großen Respekt. Quelle: imago images

In Ruanda haben Straßen Bürgersteige, Vorgärten gepflegten Rasen und Plastiktüten sind verboten. 25 Jahre nach dem Völkermord gilt es als afrikanische Erfolgsgeschichte. Ein Besuch im Land der tausend Hügel und Lügen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Am deutlichsten wird die Entwicklung am Ufer des Kiwusees im Westen Ruandas. Jeden Morgen und jeden Abend schallt der Gesang der Fischer die Hänge hinauf. Wenn sie ihre Ruder ins Wasser tauchen, stimmen sie dazu Lieder an. Die ganze Nacht verbringen sie auf dem See im Schein der Öllampen und warten, dass sich die kleinen, sardellenartigen Fische in ihren Netzen sammeln. Als Beschäftigung haben sie nur ein Radio, in kalten Nächten auch eine Flasche Whisky. Im Morgengrauen kehren sie zurück. Die Boote vertäuen sie nur wenige Meter entfernt von einer großen Brauerei. Bralirwa, eine Tochter des Heineken Konzerns, hat am Ufer des Sees ihre Anlage. Hier trifft das traditionelle Ruanda auf seine Zukunft.

Ruanda gilt als eine der größten Erfolgsgeschichten Afrikas – wirtschaftlich gesehen. Das Land ist klein, von der Fläche nicht mal so groß wie Brandenburg. Es liegt abgeschottet vom Meer im Osten des Kontinents, eingeschlossen von großflächigen Staaten wie dem Kongo, Uganda und Tansania. „Das Land der tausend Hügel“ nennt man Ruanda auch. Auf diesen Hügeln wachsen Tee und Kaffee, die Ruanda exportiert, genauso wie seltene Metalle. Die Wirtschaft wächst seit Jahren nachhaltig um sechs bis sieben Prozent. Die Korruptionsrate ist niedrig, die Akademikerquote hoch. Und mehr als 60 Prozent der Parlamentsmitglieder sind Frauen.

Vom Selbstversorger zur Dienstleistungsnation, von Gewalt und Armut zu Sicherheit und einem immer weiter steigenden Wohlstand. So lautet die Geschichte, die Ruandas Präsident Paul Kagame von seinem Land gerne erzählt. Sein Regime gilt als effektiv – aber auch als repressiv und demokratiefeindlich.

Das ändert nichts daran, dass Ruanda sowohl bei Investoren als auch bei anderen afrikanischen Führern großen Respekt genießt. Nicht nur Brauereien wie Heineken sind vor Ort. Auch Volkswagen hat gerade nahe der Hauptstadt Kigali eine Fabrik gebaut, für 16 Millionen Euro. Ruanda gilt heute als Vorbild, von dem viele lernen wollen.

Dabei ist es nicht so lange her, dass der Name des Landes vor allem mit einem assoziiert wurde– einer Gewalt unvorstellbaren Ausmaßes. Am 6. April 1994, vor 25 Jahren, wurde der damalige ruandische Präsident Juvénal Habyarimana in einem Flugzeug abgeschossen. Bis heute ist ungeklärt, wer dafür verantwortlich war. In den Stunden darauf begann das Morden. Hutus, die Mehrheit der Bevölkerung, fiel über die Minderheit der Tutsis her. In nur hundert Tagen starben bis zu einer Millionen Menschen, Tutsis wie Hutus.

Heute ist es verpönt, diese Wörter überhaupt zu nutzen. „Wir sind alle Ruander, ein Volk“, sagen die Menschen auf der Straße. „Täter und Opfer leben heute weitgehend friedlich zusammen“, sagt der Völkerrechtler Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung, der mehrere Bücher über Ruanda veröffentlicht hat. „Die Regierung hat es geschafft, ein friedliches Zusammenleben zu schaffen.“ Vor allem rund um den Jahrestag des Genozids finden im ganzen Land Versöhnungszeremonien statt.

Das Land der tausend Hügel und Vorschriften
Das Land der tausend Hügel wird Ruanda auch genannt. Und diese Hügel sind grün und fruchtbar. Hier wächst wie auf dem Foto zu sehen Tee, aber auch Kaffee. Beinahe zwölf Millionen Menschen leben in Ruanda. Dabei ist das Land von der Fläche her nicht einmal so groß wie Brandenburg. Ruanda zählt damit zu den am dichtesten besiedelten Ländern Afrikas. Quelle: Jacqueline Goebel
Ruanda hat eine traurige Historie. 1994 fand hier einer der brutalsten Völkermorde der Menschheitsgeschichte statt. Binnen hundert Tagen sollen bis zu einer Million Menschen gestorben sein. Im Genocide Memorial in der Hauptstadt Kigali erinnern Schädel von Toten an die Grausamkeit dieser Zeit. Heute gilt Ruanda als friedlich und sicher, die Regierung hat viel zur Versöhnung und Aufarbeitung getan. Quelle: Jacqueline Goebel
Heute gilt Ruanda als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Die Straßen in der Hauptstadt Kigali sind ausgebaut und sauber. Bürgersteige und Mülleimer wie hier gibt es in anderen afrikanischen Ländern nur selten. Einmal im Monat treffen sich in Kigali die Bürger zum "Umuganda", dem offiziellen Aufräumtag. An diesem Tag sammeln die Ruander Müll, pflanzen Bäume oder arbeiten an sozialen Projekten. Quelle: Jacqueline Goebel
Im Stadtteil Nyamirambo in Kigali sind die Ladenfronten farbenfroh und voller Graffitis. Doch die bisher übliche Secondhand-Mode soll bald verschwinden: Die Ruandische Regierung hat ein Importverbot gegen gebrauchte Kleidung erlassen. Sie will die Textilindustrie im eigenen Land fördern. Das ist nur ein Beispiel für die für Afrika ungewohnt vielen Regularien durch die Regierung, auch Plastiktüten sind verboten. Ruanda nennt man deshalb auch "das Land der tausend Regeln". Quelle: Jacqueline Goebel
Touristen besuchen Ruanda vor allem wegen Natur und Tieren. Ruanda ist geprägt durch Bergregenwälder, wie hier im Nyungwe Nationalpark. Im Norden des Landes gibt es inaktive Vulkane, dort leben Berggorillas. Ein Ausflug, um die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben, kostet 1500 Dollar. Quelle: Jacqueline Goebel
Die Wirtschaft in Ruanda wächst jedes Jahr um etwa sieben bis acht Prozent. Die ruandische Regierung lockt Unternehmen mit Steuererleichterungen an. Am Ufer des Kiwusees im Osten Ruandas bilden sich Hotels und Touristenanlagen. Quelle: Jacqueline Goebel
Doch nicht überall kommt der steigende Wohlstand an. Viele Ruander sind noch immer Selbstversorger. Und im dicht besiedelten Land ist Ackerland ein knappes Gut. Diese Fischer fahren jede Nacht raus auf den Kiwusee um zu angeln, auch wenn sie manchmal nur drei oder vier Kilo Fisch zurückbringen. Quelle: Jacqueline Goebel

Davon profitiert mittlerweile sogar der Tourismus. Bei einem Besuch in Ruandas Hauptstadt Kigali ist der Stopp am Genocid Memorial Pflicht. Das Memorial ist Museum und Massengrab zugleich. Unter den schwarzen Granitplatten im Garten haben mittlerweile mehr als 250.000 der Opfer eine würdevolle Ruhestätte gefunden.

Eine Millionen Urlauber kommen jedes Jahr, um etwas über die Geschichte zu lernen und Ruandas Nebelwälder, Seen und Nationalparks zu besuchen. Wer will, kann in Ruanda für 1500 Dollar Berggorillas in ihrer freien Wildbahn erleben. Und Ruanda gibt sich Mühe, auch Geschäftsreisende anzulocken.

Ein riesiger Dom leuchtet bunt über den Hügeln und Tälern von Kigali. Das vor drei Jahren fertig gestellte Convention Center ist der Stolz der jungen Ruander. Sie verbinden es mit Fortschritt. 2600 Menschen können in der Kuppel Platz nehmen. Direkt neben der Kuppel hat sich das Luxushotel Radisson Blu niedergelassen. Ruanda soll zum Tagungsstandort Nummer eins in Afrika werden. Entwicklungsorganisationen, Investoren und Regierungschefs, alle sollen sich hier versammeln, um über Afrika zu sprechen.
Das leuchtende Konvention Center ist Teil der Vision, die Paul Kagame für sein Volk entworfen hat. „Die Regierung will Ruanda in ein Dienstleistungszentrum für Afrika umbauen“, sagt Gerd Hankel. Kagame selbst spricht gerne von einem „Singapur Afrikas“.

Und, wie das Vorbild Singapur, soll Ruanda sauber sein. Die Hauptstadt Kigali ist die wahrscheinlich ordentlichste Stadt Afrikas. Selbst Lehmhäuser haben hier oft kleine Vorgärten mit Rasen und gestutzten Buchsbaumhecken. Das soll auch gegen Insekten und somit gegen Krankheiten wie Malaria helfen. Einmal im Monat treffen sich die Bewohner in Kigali und dem Rest Ruandas zum „Umuganda“, dem offiziellen Aufräum- und Gemeinschaftstag. Zusammen mit ihrem Präsidenten bauen die Ruander dann Häuser für Arme oder kehren die Straßen. Zimbabwes Präsident Emmerson Dambudzo Mnangagwa hat diese Tradition jüngst erst übernommen.

„Made in Rwanda“ als Regierungs-Initiative

In Kigali gehören zudem Mülleimer zum normalen Straßenbild. Plastiktüten hat die Regierung schon vor Jahren verbannt. Bei der Einreise kontrollieren Beamte manchmal sogar die Taschen von Touristen nach Plastiktüten. Die vielen Vorschriften haben Ruanda einen neuen Spitznamen eingebracht: „das Land der tausend Regeln“. „Im Gegensatz zu den Nachbarländern werden diese Vorschriften in Ruanda auch eingehalten“, sagt Hankel.

Die Regierung sei hoch effektiv, sagt auch Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. „Die Unternehmen kommen nicht, weil Ruanda als Markt so wichtig wäre, sondern weil die Regierung und die Verwaltung zuverlässig arbeiten“, sagt Liebing.

Und das hängt vor allem mit einer Person zusammen: dem Präsidenten Paul Kagame. Sein Aufstieg ist eng mit dem Bürgerkrieg verbunden. Kagame war Anführer einer Rebellengruppe der Tutsi, der Rwandan Patriotic Front. Die Rebellenarmee nahm vor 25 Jahren nach Wochen blutiger Kämpfe die Hauptstadt Kigali ein und beendete so die Gewalt. Seit 2000 ist der heute 61-jährige Präsident – und hat es auch vor zu bleiben: Die Verfassung hat Kagame so umschreiben lassen, dass sie ihm rein theoretisch erlauben würde bis 2034 weiter zu regieren. Das letzte Wahlergebnis bescherte ihm 99 Prozent Zustimmung.

Politikwissenschaftler bezeichnen den Regierungsstil mittlerweile als „Entwicklungs-Patrimonialismus“. Ein langfristiges Wachstum und Entwicklung sind das oberste Ziel der Regierung, andere Ziele werden untergeordnet. Eine Opposition gibt es nicht, Kritiker werden unterdrückt. „Im Hinblick auf die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Standards, die wir in Europa schätzen, und der in Ruanda gelebten Praxis“, sagt auch Stefan Liebing.

Unternehmen schreckt das nicht ab. Kagame sei zwar autoritär, aber wenigstens nicht korrupt. Er gilt als modern. Und Kagame will, dass viele Unternehmen kommen. Noch hängt auch in Ruanda rund ein Drittel des Staatshaushalts von Entwicklungsgeldern ab. Ruanda gilt als Liebling der Geberländer, auch wegen dem grünen, sauberen Image. Das soll nun auch Unternehmen anlocken. Seit vier Jahren treibt die Regierung die Initiative „Made in Rwanda“ voran, mit der sie die heimische Fertigung stärken will.

Was das heißt, lässt sich in Nyamirambo beobachten, einem der ältesten Stadtteile der Hauptstadt Kigali. Hier sind die Häuser bunt und voller Graffitis, winzige Cafés, Friseursalons und Läden haben sich in den schmalen Häusern eingerichtet. Die Einheimischen aber kaufen meist auf dem Markt. Auf einer Straßenseite verkaufen Männer und Frauen selbstgemachte Holzkohle mit ein paar Eukalyptusblättern dazwischen, dann riecht es besser. Drinnen ist es laut und hektisch, Nähmaschinen rattern, Hühner gackern, Frauen verkaufen Obst und Gemüse oder gebrauchte Sneaker aus Europa. An einem Stand gibt es nur Socken – alle bereits getragen.

Geht es nach Paul Kagame, soll es das nicht mehr geben. Zum Jahresanfang hat die Regierung Importe von Secondhand-Kleidung offiziell verboten. Stattdessen will sie nun selbst Textilproduktion nach Ruanda locken. In Kigali hat sie eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Wer Produkte hier herstellt und ins Ausland exportieren will, zahlt keine Zölle. In der Zone hat auch der chinesische Textilhersteller C&H eine Fabrik. Einen Teil der Kleidung hier soll auch für den afrikanischen Markt produziert werden.

Kagame pflegt die Beziehung zu China. Chinesische Unternehmen bauen Straßen und Brücken in Ruanda. Erst im vergangenen Jahr ehrte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping ehrte Ruanda mit einem Staatsbesuch.

Ob der gemeinsame Plan von Ruanda als Textilnation aufgeht, daran gibt es jedoch viele Zweifel. Die Gesetze des Wettbewerbs sprechen dagegen. Eigentlich wollte Ruanda gemeinsam mit Kenia, Uganda und Tansania den Import der Secondhand-Kleidung erschweren. Doch die USA übten Druck aus, sodass bis auf Ruanda alle Regierungen ihre Pläne absagten. Nun könnte über die Grenzen weiter billige, importierte Kleidung nach Ruanda gelangen.

Ob das Projekt Erfolg hat, ist damit fraglich. Und das sei das Problem, sagt Gerd Hankel. „Autoritäre Regime, wie das von Kagame, sind zum Erfolg verdammt. Alles muss von Jahr zu Jahr besser werden“, sagt Hankel. Doch auch für Ruanda könne das nicht immer gelten. Das Wachstum sei ungleich verteilt. „Nicht bei allen Teilen der Bevölkerung kommt die Entwicklung an, viele leben immer noch unter der Armutsgrenze.“

Die Menschen hier drücken es anders aus: Manchmal sei Ruanda auch das Land der tausend Lügen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%