
Nach der aufsehenerregenden Zerschlagung des einst weltgrößten Ölkonzerns Yukos hat ein Schiedsgericht Russland zur Zahlung einer Milliarden-Entschädigung verpflichtet. Der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag sprach den früheren Mehrheitsaktionären des Unternehmens des Kreml-Gegners Michail Chodorkowski eine Rekordsumme von 50 Milliarden US-Dollar (37,2 Milliarden Euro) zu. Die Zerschlagung sei politisch motiviert gewesen, hieß es in dem am Montag bekanntgegebenen Urteil.
Die Milliarden-Entschädigung könnte Russland nach den Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Das Finanzministerium kündigte an, die Verurteilung juristisch anzufechten. Das Gericht habe Beweismittel einseitig gewertet, erklärte das Ministerium. Auch widerspreche der Richterspruch Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser habe in dem Vorgehen gegen die Yukos-Aktionäre wegen Steuerhinterziehung keine politischen Motive und keine Menschenrechtsverletzung festgestellt. Russland werde nun vor niederländische Gerichte gehen „und erwartet dort das gerechte Ergebnis“, hieß es in der Mitteilung.
Chronologie des Falls Michail Chodorkowski
Michail Chodorkowski, der Chef des Yukos-Ölkonzerns, wird spektakulär bei einer Zwischenlandung seines Privatjets in Nowosibirsk festgenommen. Die Justiz wirft dem Multimilliardär Betrug und Steuerhinterziehung vor. Sein Geschäftspartner Platon Lebedew war bereits im Juli verhaftet worden.
In Moskau beginnt der erste Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung wirft dem Kreml vor, er steuere das Verfahren, weil der Yukos-Chef in Opposition zu Präsident Wladimir Putin gegangen sei.
Chodorkowski und Lebedew werden unter anderem wegen schweren Betrugs und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu je neun Jahren Straflager verurteilt. Ein Berufungsgericht reduziert die Strafe im September 2005 auf je acht Jahre.
In Washington verabschiedet der US-Senat unter anderem mit der Stimme des heutigen US-Präsidenten Barack Obama eine Erklärung, in der er den Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew als politisch motiviert kritisiert.
Der Yukos-Konzern wird nach seiner Zerschlagung und dem Verkauf der Teile aus Russlands Handelsregister gelöscht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich bei einem Treffen mit Putin in Moskau für Chodorkowskis Begnadigung aus. Auch andere deutsche Politiker forderten Russland wiederholt zum rechtsstaatlichen Umgang mit den beiden Unternehmern auf.
In Moskau beginnt der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew. Die Verteidigung nennt die Vorwürfe der Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Erdöl „absurd und unlogisch“.
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fordern ehemalige Yukos-Eigentümer von Russland 98 Milliarden Dollar Schadensersatz. Sie werfen Moskau unrechtmäßige Zwangsenteignung vor zur eigenen Bereicherung.
Ein Gericht verurteilt Chodorkowski und Lebedew unter Einbeziehung der ersten Strafe zu insgesamt jeweils 14 Jahren Haft. Es folgen Strafnachlässe. Chodorkowski soll nach 10 Jahren und 10 Monaten im August 2014 freikommen, Lebedew schon im Mai.
Der EGMR lehnt Chodorkowskis Klage ab, wonach das erste Verfahren gegen ihn politisch motiviert gewesen sei. Am 25. Juli 2013 bestätigen die Richter das, halten das russische Vorgehen gegen Chodorkowski aber für ungerecht. Weitere Klagen sind anhängig.
Die Lech-Walesa-Stiftung in Warschau zeichnet Chodorkowskis mit dem Freiheitspreis aus. Er ist mit 100.000 US-Dollar (knapp 73.000 Euro) dotiert.
Zum zehnten Jahrestag seiner Inhaftierung fordern Menschenrechtler Chodorkowskis Freilassung.
Russlands Justiz bestätigt erstmals, dass wegen Geldwäsche ein weiteres Verfahren gegen den Kremlgegner geplant ist.
Putin kündigt die Begnadigung von Chodorkowski an. Nur einen Tag später unterzeichnet er ein Dekret zur Begnadigung des mittlerweile 50-Jährigen. Chodorkowski kommt mit sofortiger Wirkung auf freien Fuß.
Chodorkowskis Yukos-Konzern war Anfang des Jahrtausends aufgelöst worden. Der russische Staat und Gerichte warfen dem einst reichsten russischen Ölmagnaten und mehreren seiner Geschäftspartner schwere Wirtschaftsstraftaten vor. Chodorkowski kam jahrelang in Lagerhaft und erst nach einer Begnadigung durch Präsident Wladimir Putin kurz vor Weihnachten 2013 frei.
Chodorkowski begrüßt Entscheidung
Der mittlerweile in der Schweiz lebende Kreml-Gegner begrüßte die Entscheidung des Schiedsgerichts. „Es ist fantastisch, dass den Yukos-Aktionären eine Chance auf Schadenersatz gegeben wird“, erklärte er. Zugleich verwies Chodorkowski darauf, nicht finanziell von dem Richterspruch zu profitieren.
Die Bundesregierung nahm die Entscheidung zur Kenntnis, wollte sie auf der Regierungspressekonferenz in Berlin aber nicht näher kommentieren.
Frühere Aktionäre fühlen sich durch die Zerschlagung des Ölkonzerns quasi enteignet. Ein Teil zog daher vor den internationalen Schiedsgerichtshof. Bei den Klägern handelt es sich um die Besitzer der Group Menatep Limited (GML), der zuletzt Yukos mehrheitlich gehörte. Sie hatten rund 100 Milliarden Dollar Entschädigung gefordert.
Konzern sollte in Bankrott getrieben werden
Der vorrangige Grund für die Yukos-Zerschlagung sei nicht das Eintreiben von Steuern gewesen, sondern den Konzern in den Bankrott zu treiben, hieß es in der Entscheidung der drei Richter. Es war das größte Verfahren in der Geschichte der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, die Verhandlungen erstreckten sich über fast zehn Jahre. Einen der drei Richter hatte Russland nominiert.
Beide Seiten haben das Recht, die Entscheidung vor einem ordentlichen niederländischen Gericht anzufechten. Dann würden aber nicht noch einmal die Fakten, sondern nur Verfahrensfragen geprüft. Russland werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, sagte Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Der Betrag macht mehr als zehn Prozent der russischen Währungsreserven aus. 50 Milliarden Dollar hatte Russland in etwa auch für die Olympischen Winterspiele in Sotschi ausgegeben.
Die Gegenseite zeigte sich zuversichtlich, das Geld auch zu bekommen. „Wir haben keinen Anlass zu der Vermutung, dass Russland seinen internationalen Verpflichtungen nicht nachkommt“, sagte Kläger-Anwalt Emmanuel Gaillard in London. GML-Chef Tim Osborne sagte, es gebe eine Strategie, wie das Geld eingetrieben werden soll. Nähere Angaben machte er nicht.
Russland hatte die Aktiva von Yukos über mehrere Jahre bei Auktionen verkauft. Sollte Russland diese Summe zahlen müssen, wäre dies ein schwerer Schlag für die ohnehin von Rezession geplagte Wirtschaft.