Abfallmanagement Umweltschützer besorgt: Wird Afrika neuer Abladeplatz für Plastikmüll?

In Kenia gilt das weltweit strikteste Verbot von Plastiktüten. Doch Umweltschützer befürchten, dass sich das ändern könnte – doch das hätte auch Folgen für andere Länder.

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Kenia steht unter Druck, seine Vorschriften für den Umgang mit Plastikartikeln aufzuweichen. Quelle: dpa

Kenia ist ein Vorbild im Kampf gegen Plastikmüll, der Afrika verschmutzt. Seit drei Jahren gilt hier das weltweit strikteste Verbot des Gebrauchs, der Herstellung und der Einfuhr von Plastiktüten. Aber vielleicht nicht mehr lange: Umweltschützer befürchten, dass Kenia unter Druck steht, seine Vorschriften aufzuweichen und, mehr noch, eine Schlüsselstation für den Transit dieser Art von Müll in andere afrikanische Länder zu werden.

Demnach hat die Ölindustrie die USA ersucht, Kenia zu einer Änderung seiner entschlossenen Haltung zu bewegen. Der Vorstoß des American Chemistry Council, zu dessen Mitgliedern größere Ölfirmen zählen, erfolgte per Brief an die Behörde des US-Handelsbeauftragten – vor dem Hintergrund von Verhandlungen zwischen den USA und Kenia über ein Handelsabkommen, das der erste bilaterale Pakt dieser Art zwischen den USA und einem afrikanischen Land südlich der Sahara wäre. Auch dürfte er als Vorbild für andere Abkommen mit Staaten in Afrika dienen.

Diese Bedeutung hat auch eine Rolle beim Zustandekommen des Besuches von Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta im vergangenen Februar im Weißen Haus gespielt. US-Präsident Donald Trump ist dort bislang selten mit einem afrikanischen Staatschef zusammengekommen.

Der Brief des American Chemistry Council (übersetzt Amerikanischer Chemie-Rat, kurz ACC), den die Nachrichtenagentur AP eingesehen hat, stammt vom 28. April. Darin ruft der Direktor für internationalen Handel des Gremiums, Ed Brzytwa, die USA und Kenia auf, Begrenzungen „der Produktion oder des Verbrauchs von Chemikalien und Plastik“ sowohl inländisch als auch in ihrem grenzüberschreitenden Handel zu verbieten.

„Nach unseren Erwartungen könnte Kenia in der Zukunft ein Knotenpunkt für die Versorgung anderer Märkte in Afrika mit in den USA hergestellten Chemikalien und Plastik werden“, heißt es in dem Schreiben weiter, das als erstes durch die Gruppe Unearthed bekannt wurde, einem Zweig der Umweltorganisation Greenpeace. Im Juni wiederholte der Chemie-Rat das Ersuchen auch in einer Anhörung, in der die Öffentlichkeit Kommentare abgeben konnte.

Umweltgerechtes Abfallmanagement

China hatte 2018 die Einfuhr des meisten Plastikmülls verboten, und das zwang Unternehmen dazu, neue Abladeorte zu finden. Aber auch immer mehr andere Länder – auch in Afrika – lehnen es ebenfalls ab, den Müll aufzunehmen. Auf Halden in kenianischen Städten häuft sich Plastikabfall, der fürs Recyceln vorgesehen ist.

Ölfirmen stehen derweil unter wachsendem Druck, weil mehr Länder wie Kenia auf eine Abkehr von fossilen Brennstoffen für ihre Energieversorgung hinarbeiten.

In einer Mitteilung an die Nachrichtenagentur AP betonte der Chemie-Rat, man sei sich sehr wohl dessen bewusst, „dass sich eine bilaterale Handelsvereinbarung zwischen den USA und Kenia nicht über Kenias einheimischen Ansatz beim Umgang mit Plastikmüll hinwegsetzen oder seine internationalen Verpflichtungen unter der Basler Übereinkunft unterlaufen wird“.

Das Gremium bezog sich damit auf ein globales Abkommen über ein umweltgerechtes Abfallmanagement, das Plastikmülltransporte in ärmere Ländern deutlich erschweren soll. Fast 190 Staaten haben sich angeschlossen, aber nicht die USA.

AP-Anfragen beim Büro des US-Handelsbeauftragten nach einer Stellungnahme blieben unbeantwortet, und auch Kenia äußerte sich nicht. In einem US-Überblick im Mai über die Verhandlungsziele war als ein Punkt das Schaffen von Regeln angeführt worden, „die sicherstellen, dass Kenia nicht auf die Schutzmaßnahmen gemäß Umweltgesetzen verzichtet oder von ihnen abweicht, um Handel oder Investitionen zu fördern“.

Begrenzungen von Plastik

Kenia hatte 2017 Plastikbeutel verboten und damit andere afrikanische Länder mit Straßen, Wasserwegen und sogar Bäumen voller zerfetzter Tüten zu ähnlichen Maßnahmen inspiriert. Der Gedanke, dass der Staat sein Verbot unter dem Druck der USA oder der Ölindustrie abschwächen oder ganz aufheben könnte, hat die vibrierende Gemeinschaft der Umweltschützer im Land in Unruhe versetzt – umso mehr, als mittlerweile ein weiterer Fortschritt erzielt wurde: Kenia hat dieses Jahr auch andere Einwegplastikprodukte wie Flaschen von Stränden, aus nationalen Parks und anderen Schutzgebieten verbannt.

„Sie wollen, dass Kenia seine strikten Begrenzungen von Plastik, darunter das Plastiktüten-Verbot von 2017, aufhebt! NEIN dazu!“, twitterte James Wakibia, der seinerzeit stark für den Tüten-Bann gekämpft hatte und sich jetzt dafür engagiert, dass alle ostafrikanischen Länder „sämtliches unnötiges Einwegplastik“ verbieten. Etwaige Vorstöße, Kenias Gesetze aufzuweichen, wären „empörend und unverantwortlich“, meint auch Inger Andersen vom UN-Umweltprogramm Unep mit Sitz in Kenia.

Nach einer Studie der Organisation von 2018 gab es zu diesem Zeitpunkt in 127 Ländern irgendeine Art von Regulierung in Sachen Plastiktüten. 37 Staaten davon waren in Afrika, was diese Region zum weltweiten Spitzenreiter machte, wie die UN sagt. Sie weist insbesondere auch auf die Strafen von bis zu vier Jahren Haft und Geldbußen von umgerechnet bis zu 32.000 Euro hin, die in Kenia bei Verstößen drohen.

Der Staat hatte die Verhandlungen mit den USA im Frühjahr wegen der Corona-Pandemie auf Eis gelegt, sie gingen dann schließlich im Juli los. Der Chemie-Rat weiß nach eigenen Angaben nicht, ob das Büro des US-Handelsbeauftragten seine Empfehlungen in Betracht gezogen hat.

Griffins Ochieng, Leiter des Zentrums für Umweltgerechtigkeit und Entwicklung in Kenia, warnt auf jeden Fall eindringlich, dass jeder Versuch, die Plastik-Gesetze zu ändern, gefährlich wäre. „Afrika sieht wie ein neuer Müllabladeplatz aus“, sagt er. „Wir werden das nicht erlauben.“

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