Abschied des US-Präsidenten Obama würde Merkel wählen

Mit viel Lobhudelei an die Kanzlerin verabschiedet sich Obama – nicht ohne vor den Gefahren der Demokratie durch Populismus zu warnen. Nachfolger Trump gibt er eine Chance, denn das Amt werde ihm Seriosität abverlangen.

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Es war die sechste Deutschland-Reise des scheidenden US-Präsidenten Obama, bei der er Kanzlerin Merkel trifft. Quelle: REUTERS

Ganz am Ende schafft es Barack Obama doch noch einmal, die Journalisten mit seiner Art zum Lachen zu bringen. Es geschieht in dem Moment, da die Kanzlerin umständlich über den schweren Abschied vom scheidenden Präsidenten erzählt und dann recht hart auf die US-Verfassung verweist: „Acht Jahre, und dann kommt ein neuer Präsident.“ Ausrufezeichen. Obama zieht die Mundwinkel nach unten – etwas versetzt, weil es erst übersetzt werden muss. Doch als Merkel ein Wiedersehen „dank der Reisefreiheit“ in Aussicht stellt, grinst der drahtige Charmeur über beide Ohren. Sekundenlang klicken die Kameras.
So verabschieden sich also zwei, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich trotzdem wirklich mögen. Links der eloquente Barack Obama, dessen Wasserglas die Sicherheitsleute mit einem Papierdeckel vor Giftanschlägen schützen. Rechts Angela Merkel, die eher trocken und ernst wirkende Kanzlerin, der die Scherze eher unwillkürlich unterlaufen. Beide kommen spät, aber sie nehmen sich ungewöhnlich lange Zeit für die Journalisten.
Besonders viel Zeit scheint Barack Obama zu haben. Der US-Präsident spricht langsam und leise, er wirkt trotz Charme und Scherzen nachdenklich. Etwa, als es um die Zukunft Europas geht: „Ich glaube weiterhin darin, dass die Europäische Union eine der größten Errungenschaften der Welt ist.“ Solche Errungenschaften müsse man aber kultivieren und für sie kämpfen, so Obama. In diesem Sinne solle der Austritt Großbritanniens so geräuschlos und problemlos wie möglich gestaltet werden.

"Schöne Absichtserklärungen reichen nicht"
Manfred Weber (Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament) Quelle: dpa
Katarina Barley (SPD-Generalsekretärin): "Wir treten für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für alle ein – und das weltweit. Dafür ist eine enge und freundschaftliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten unverzichtbar. Die SPD hat sich immer für die Soziale Marktwirtschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Klimaschutz eingesetzt. Viele Initiativen für eine gerechte Gestaltung der Globalisierung – sei es beim Handel, fairen Steuern oder dem Umweltschutz – sind in der Vergangenheit aber oft am Widerstand von Konservativen und Liberalen gescheitert. Schöne Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen für unsere gemeinsamen Ziele auch gemeinsam einstehen. Noch ist unklar, wohin der neue US-Präsident sein Land außenpolitisch führt. Darauf wird es aber ankommen, wenn wir unsere transatlantische Freundschaft auf der Basis gemeinsamer Werte mit neuem Leben füllen wollen." Quelle: dpa
Norbert Röttgen (CDU-Außenpolitiker): "Das Manifest zeigt deutlich auf, wie verwoben die deutsch-amerikanischen Beziehungen sind. Auf vielen Ebenen wird heute so eng zusammengearbeitet, dass eine weitere Verflechtung des europäischen-amerikanischen Wirtschaftsraums durch TTIP eine natürliche Folge ist. So sind die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern oft schon weiter gedacht als die politischen. Die Politik muss nun folgen und den nötigen Einsatz für unsere Werte, Interessen und Lebensarten zeigen, um den Antiglobalisierungskräften entschieden entgegen zu treten. Entweder die USA und Europa übernehmen dafür gemeinsam die Verantwortung oder wir lassen die Kräfte, die Liberalismus, Modernisierung und Globalisierung ablehnen, unsere Zukunft gestalten." Quelle: dapd
Jürgen Trittin (Grünen-Außenpolitiker): "Merkel und Obama sind bemüht um transatlantische Selbstvergewisserung. Aber die Normalität ist dahin. Europa und die USA haben überragend gemeinsame Interessen - ökonomisch wie politisch. Doch auf welchem Wertefundament diese Interessen verfolgt werden ist ebenso offen, wie die Frage ob Donald Trump sie gemeinsam mit Europa verfolgen will. In einer multipolar gewordenen Welt voller globaler Krisen ist eine Kooperation auf der Basis gemeinsamer Werte für beider Interessen von Vorteil. Make America Great again heißt auf transatlantisch Stronger Together." Quelle: dpa
Christian Lindner (FDP-Vorsitzender): "Präsident Obama und Kanzlerin Merkel haben viel Wichtiges aufgeschrieben. Nachdem aber Sigmar Gabriel TTIP für gescheitert erklärt hat und die Vereinigten Staaten einen Nachfolger Trump gewählt haben, wirkt die richtige Initiative reichlich verspätet. Diesseits und jenseits des Atlantiks liegt jetzt viel Überzeugungsarbeit vor uns. Klar ist, dass die transatlantische Partnerschaft eine neue Belebung benötigt, um der Globalisierung einen Ordnungsrahmen zu geben." Quelle: dpa
Robert Kimmitt (früherer US-Botschafter in Deutschland): "Es ist sehr wichtig, dass unsere beiden Staatsoberhäupter TTIP unterstützen. Das Freihandelsabkommen kann eine ähnliche Bedeutung für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen haben, wie es das nordatlantische Abkommen in der Vergangenheit hatte, das zur Gründung der NATO im Jahr 1949 geführt hat. Der Buchstabe “I” in TTIP trägt die größte Bedeutung, weil transatlantische Investitionen mindestens 640.000 amerikanische Arbeitsplätze bei deutschen Firmen in den USA geschaffen haben. Eine vergleichbare Anzahl von deutschen Arbeitsplätzen bei amerikanischen Firmen in Deutschland sind ebenfalls entstanden. Die künftige Trump-Regierung hat neue Arbeitsplätze für amerikanische Arbeiter versprochen. TTIP könnte ein hervorragender Ausgangspunkt sein, um diese neuen Arbeitsplätze tatsächlich zu verwirklichen." Quelle: AP
David McAllister (CDU-Europaabgeordneter): "Der Beitrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Barack Obama ist ein eindrucksvolles Plädoyer für eine enge transatlantische Partnerschaft. Die Verbindung Deutschlands und der Europäischen Union mit den USA reicht von der NATO, dem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus, über enge Wirtschaftsbeziehungen bis zu einem regen kulturellen Austausch. Unsere Partnerschaft ist eine tragende Säule der globalen Stabilität." Quelle: dpa


Nicht nur das Projekt Europa sieht Obama in Gefahr – auch zuhause sorgt ihn ein wachsender Populismus. Es sei in Zeiten der sozialen Medien einfach, negative Attacken zu verüben und simple Slogans zu verbreiten statt komplexe Politik zu erklären. „Aber wenn wir die Seriosität von Fakten nicht mehr anerkennen, wenn wir Wahrheit nicht mehr von Lügen unterscheiden können, haben wir ein Problem.“ Dann drohe die Demokratie zu zerbrechen. Insofern müsse man Migration, Handel und Herausforderungen so gestalten, dass sich die Menschen mit den Lösungen wohler fühlen, so Obama: „Demokratie ist harte Arbeit.“
Klingt, als warne Obama vor der Zeit unter seinem Nachfolger Donald Trump. Doch den erwähnt er da gar nicht. Ihn knöpft er sich separat vor, und zwar relativ konziliant. Denn der notorische Optimist und Noch-Präsident scheint zu glauben, dass das Amt den Amtsinhaber formt und nicht umgekehrt: Die „ernsthafte Verantwortung“ dieser Funktion und die „außergewöhnlichen Anforderungen“ setzten Ernsthaftigkeit voraus, weiß Obama: „Trump wird sehr schnell feststellen, dass die Anforderungen dieses Jobs nichts sind, was man beiläufig behandeln kann.“


Das sitzt, die US-Agenturjournalisten tippen wie von der Tarantel gestochen. Doch auch einen konkreten Tipp hat Obama für diesen skeptisch beäugten Nachfolger parat, es geht um Russland. Er wünsche sich, so Obama, dass Trump nicht nur Realpolitik betreibe nach dem Motto: „Wir machen einfach Deals mit Russland, selbst wenn das internationale Normen verletzt oder kleineren Ländern schadet.“ Er hoffe, dass Trump im Weißen Haus einen konstruktiven Ansatz in den Beziehungen weiterverfolge, aber zugleich bereit sei, deutlich zu machen, wenn unterschiedliche Interessen vorhanden seien.

von Christian Schlesiger, Tim Rahmann


Das dürfte Angela Merkel gern gehört haben. Dabei wirkt die Kanzlerin distanziert, fast etwas betrügt und traurig. Das gilt selbst für den Moment, da ihm ihr „Freund“ Barack bescheinigt, sie sei „die standfesteste und zuverlässigste Partnerin, die man sich vorstellen kann“. Sie habe Augenmaß und Mitgefühl in der Flüchtlingskrise gezeigt, insgesamt aber auch Stärke, Entschlossenheit und eine konsequente Orientierung an Werten. Sogar zu einer indirekten Wahlempfehlung lässt sich Obama hinreißen: „Wenn ich ein Deutscher wäre, ich wäre Merkel-Anhänger.“
Merkel mag solche Lobhudelei nicht. Aber noch weniger mag sie den Gedanken, dass ohne Barack Obama transatlantischen Beziehungen in eine ungewisse Zukunft rauschen.

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