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Absurde Frühverrentung Warum griechische Friseure gefährlich leben

Hunderttausende Griechen arbeiten angeblich in „schweren“ und „gesundheitsgefährdenden“ Berufen – und können deshalb früher in Rente gehen. Unter dem Druck der Krise kommen die Privilegien jetzt auf den Prüfstand.

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Friseure leben gefährlich - zumindest in Griechenland. Quelle: Herby Sachs / version

Athen Die Liste ist lang. Sie umfasst 81 Branchen und Hunderte Berufe. Polizisten sind darunter und Feuerwehrleute, Sprengmeister und Taucher. Es ist die Liste der sogenannten „schweren und gesundheitsgefährdenden Berufe“. Die Aufstellung, die 61 Seiten umfasst, enthält fast 600 Tätigkeiten. Wer ihnen nachgeht, und das sind immerhin rund 530.000 Griechen, kommt in den Genuss von Zulagen und kann sich früh zur Ruhe setzen: Frauen schon mit 50, Männer mit 55.

Männer wie Lambis Petropoulos. Der 54-Jährige betreibt ein kleines Friseurgeschäft im Athener Stadtteil Ilioupolis. „Ich arbeite bis zu zehn Stunden am Tag“, klagt Lambis, während er einem Kunden mit einem scharfen Rasiermesser die Bartstoppeln vom Kinn schabt. „Außerdem hantieren wir mit allerlei Chemikalien für die Damen“, sagt er, „das ist nicht ungefährlich.“ Aber für wen? Schwebt der Kunde, der sich bei Lambis rasieren lässt, nicht in größerer Gefahr als der Barbier?

Dass der Friseurberuf zu den „schweren“ und „gesundheitsgefährdenden“ Tätigkeiten zählt, ist nur eine von vielen Ungereimtheiten. Bergleute und Hochofenarbeiter stehen auf der Liste, Piloten und Krankenschwestern – zu Recht. Aber warum Konditoren, Köche und Kellner? Was ist am Beruf eines Taxifahrers so „schwer“ oder „gefährlich“? Warum kommen die Händler auf dem Athener Fischmarkt, die Raumpfleger der städtischen Bibliotheken und sogar Zeitungsredakteure und Zimmermädchen in den Genuss einer Frühpensionierung? Dass Bademeister und Baggerführer auf der Liste stehen mag man noch hinnehmen – aber Blasmusiker?

In Griechenland scheint es kaum eine Tätigkeit zu geben, die nicht „schwer“ oder „gefährlich“ ist. Von der Küchenhilfe bis zur Klofrau, vom Friedhofsgärtner bis zum Filmvorführer, vom Nachtwächter bis zum Nachtklubsänger: Im Laufe der Jahrzehnte haben es immer mehr Berufsgruppen geschafft, von den Politikern in die Liste der begünstigten Schwerstarbeiter aufgenommen zu werden. Die Triebwagenführer der Athener Stadtbahn gehören ebenso dazu wie die Gemüsehändler auf dem Großmarkt und die Fahrkartenkontrolleure der öffentlichen Verkehrsbetriebe. Sogar die Nachrichtensprecher des staatlichen Rundfunks gehen einer „schweren“ und „gesundheitsgefährdenden“ Tätigkeit nach.


Wie die Gewerkschaften um die Privilegien kämpfen

Zehntausende Beschäftigte in Branchen wie der Stahlindustrie kommen in den Genuss der Frühpensionierung, obwohl sie noch nie einen Hochofen aus der Nähe gesehen haben sondern Verwaltungsarbeit an einem Schreibtisch machen. Aktenkundig sind sogar Fälle, wo die Tätigkeit als Direktor in der chemischen Industrie als „schwer“ und „gesundheitsgefährdend“ eingestuft wird.

Im Zuge der Sparpolitik kommen diese Privilegien nun auf den Prüfstand. Wochenlang hat eine Expertenkommission beraten, welche Berufe aus der Liste gestrichen werden. An den Beratungen waren auch die Gewerkschaften vertreten. Sie mauerten in den meisten Fällen. So sträubt sich der Gewerkschaftsbund GSEE dagegen, die Tontechniker und Sprecher des staatlichen Rundfunks aus der Liste der Gefahrenberufe zu streichen. Die Gewerkschafter fordern sogar, die Kameraleute und Kabelträger des Staatsfernsehens ebenfalls in den Katalog aufzunehmen.

Diese Woche will Arbeitsminister Giorgos Koutroumanis die überarbeitete Liste vorlegen. Ziel ist es, die Zahl der Begünstigten von 530.000 auf 350.000 zu stutzen. Die Änderungen sollen rückwirkend zum 1. November gelten. Die Zimmermädchen, Kellner, Köche und Nachtklubsänger zum Beispiel sind nicht mehr dabei. Zu den Berufen, die künftig nicht mehr als gefährlich gelten, gehört auch der des Friseurs. Der Figaro Lambis Petropoulos braucht sich allerdings keine Sorgen zu machen: er kann nächstes Jahr mit 55 in Rente gehen. Für alle, die bis 2015 ihren Rentenanspruch erwerben, gilt die alte Regelung. 

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