Abwanderung Geisterstädte in Chinas Provinz

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Ein Poilzist auf einer leeren Quelle: REUTERS

Das Kalkül der kommunistischen Planer, die Nähe zur Mongolei werde Erenhot einen Dauerboom bescheren, ist nicht aufgegangen. Doch beirren lassen sich die lokalen Parteifürsten dadurch nicht. Nur zwei Kilometer von Lings Geschäft entfernt wird bereits wieder geklotzt. Mehrere Kilometer geht die Fahrt auf neuen Asphalttrassen vorbei an halbfertigen Wohnbauten und Bürohochhäusern. Zwischen den Häuserzeilen stehen Betonmischer und Baukräne. Der neue Flughafen ist schon vor einem Jahr fertig geworden. Dort landen jeden Tag exakt zwei Maschinen. Eine morgens um halb neun. Die andere nachmittags um vier.

Ortswechsel nach Zhengzhou, der Hauptstadt der Provinz Henan in Zentralchina. Auch hier gibt es einen neuen Stadtteil, wenn man eine Fläche von mehr als 115 Quadratkilometern überhaupt noch als solchen bezeichnen kann. Das neue Areal Zhengdong ist fast so groß wie das alte Zhengzhou – und doppelt so groß wie Manhattan. Die teuren Wohnungen in der neuen Stadt sind fast komplett verkauft, bewohnt ist aber höchstens ein Drittel der Apartments. Reiche Unternehmer aus Peking und Shanghai, Tycoone aus Taiwan und Kohlegrubenbesitzer aus Nordchina, erzählen örtliche Immobilienmakler, hätten die Wohnungen gekauft – manchmal 10 oder 20 Stück auf einmal.

Kaum Autos

Hintergrund: Seit fast einem Jahr beschließt Peking praktisch im Monatstakt neue Vorschriften zur Drosselung der Häuserpreise. Doch diese kennen nur eine Richtung: nach oben. Im April waren Häuser und Wohnungen in 77 von Chinas 100 größten Städten teurer als im Vormonat. Die Zentralregierung hat nun vor allem die Vorschriften für den Immobilienkauf in Metropolen wie Peking und Shanghai verschärft, um den rasanten Preisanstieg zu bremsen. Darum weichen Chinas Spekulanten jetzt auf kleinere Städte im Westen aus. Doch ob Zhengdong für sie wirklich ein gutes Geschäft wird? Viele der lang gezogenen Häuserblocks sind durch den Leerstand in einem schlechten Zustand. Die Eingangstüren sind vielerorts noch mit Schutzfolie beklebt. An den Wänden vieler Treppenhäuser macht sich Schimmel breit. Die Seitenwand eines kleinen Balkons ist in sich zusammengefallen – die Wohnung ist wie alle anderen halbfertig, aber verkauft.

Zhengdong ist ähnlich wie Erenhot völlig zugebaut. Breite Boulevards, auf denen kaum ein Auto fährt, führen durch Hochhausschluchten, die nach dem Willen der Planer das neue Finanzzentrum Zheng-zhous werden sollen. Insgesamt 60 Wolkenkratzer, so wollen es die Lokalfürsten, werden die Skyline bilden. Ein 280 Meter hohes Fünfsternehotel ist im Bau; 15 Universitäten für 90 000 Studenten befinden sind in Planung. Fertig ist bereits das 69 Hektar große Messezentrum mit einer Eingangshalle aus importiertem italienischem Stein. Es beherbergt unter anderem Asiens größten Konferenzsaal. Die letzte größere Veranstaltung ist allerdings schon ein bisschen her. Es gab mal eine Ausstellung für Landmaschinen – im vergangenen Sommer.

Wirtschaftsexperten beobachten die Entwicklung in Chinas Provinzen mit Sorge. Die Cluster von großen Immobilien- und Infrastrukturprojekten gebe es überall in China, sagt Patrick Chovanec, Ökonom der Tsinghua-Universität in Peking. "Egal, wo man hingeht, finden sich Projekte, die ihrer Zeit 10 bis 15 Jahre voraus zu sein scheinen." Einzeln betrachtet gebe es für viele vielleicht sogar eine Begründung. "Aber es sind einfach zu viele."

Die Provinz Henan, in der Zhengzhou liegt, ist vor allem von der Landwirtschaft geprägt und relativ arm. Die Lokalregierung hofft, dass wegen der steigenden Arbeitskosten im Osten Chinas nach und nach Industriebetriebe nach Zhengzhou umziehen. Immerhin hat der Apple-Hersteller Foxconn in einem Vorort eine kleine Fertigung aufgemacht. Zurzeit ist allerdings – kaum verwunderlich – die Bauindustrie der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig der Stadt. Gegen eine rasche industrielle Entwicklung der Stadt im Hinterland spricht die relativ schlechte Anbindung an das wichtige chinesische Wasserstraßennetz. Rund 150 Milliarden Yuan, umgerechnet 16 Milliarden Euro, kostet der Bau der neuen Stadt Zhengdong. Etwa ein Drittel der Summe bringt die Stadtverwaltung auf. Den Rest steuern Immobilienentwickler bei. Die Stadt bestreitet ihren Haushalt hauptsächlich durch Steuereinnahmen, Landauktionen – in China gehört alles Land dem Staat – und durch Bankkredite.

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