Dafür erhalten sie Kredit in den Spielkasinos. Den Spielern ist es egal, ob sie einen Teil ihres Geldes verspielen – Hauptsache, am Ende bleibt ein Betrag in ausländischer Währung übrig, den sie auf ein Auslandskonto transferieren können.
Wenn es doch bloß nur Geld wäre, das das Land verlässt. Ein Bericht der People’s Bank of China, wonach sich 18.000 hohe Beamte und Parteimitglieder in den vergangenen Jahren mit insgesamt 127 Milliarden US-Dollar aus dem Staub gemacht haben, verschwand kurz nach seiner Veröffentlichung von der Web-Site. Doch verheimlichen lässt sich der Exodus längst nicht mehr – Chinas Oberschicht läuft dem eigenen Staat davon. Allein 2011 verließen 150.000 der 2,7 Millionen Dollar-Millionäre das Land.
Während ärmere Länder unter einem Brain Drain, einem Wegzug der Talente, leiden, heißt die chinesische Form der Krankheit „Millionaire’s Drain“. Gerade mittelständische Unternehmer wollen raus aus dem Land, in dem sie in so kurzer Zeit sagenhaft reich geworden sind.
Kaum jemand kennt Chinas Superreiche so gut wie Rupert Hoogewerf. Der Brite ist Herausgeber des „Hurun Report“, der Umfragen unter Chinas Oberschicht erstellt. „Es gibt ein starkes Unsicherheitsgefühl“, sagt Hoogewerf. „Ein ausländischer Pass ist da eine Art Absicherung.“ Dem nur in Ansätzen vorhandenen Rechtsstaat trauen viele nicht. So gingen besonders in den Monaten vor dem Kongress der Kommunistischen Partei im November die Ausreisezahlen in die Höhe, als die politische Unsicherheit am größten war.
Ein anderer Grund, das Land zu verlassen, ist die geringe Lebensqualität. Oft hängt eine Smog-Wolke wochenlang über den Industrieregionen in Ostchina. „Airpocalypse“ nennen das die Chinesen. Die Luft in Shanghai etwa ist oft trübe und kratzt beim Atmen; der Smog verschluckt die Farben der Stadt und treibt einen grauen Schleier über die Straßen. Die Feinstaubbelastung liegt über Tage hinweg in den Bereichen „very unhealthy“ oder „hazardous“, aufgezeichnet von einer Messstation des amerikanischen Generalkonsulats. Wer Kinder hat und es sich leisten kann, kauft Luftfilter und bleibt tagelang daheim.
Nichts wie weg aus China
Nicht nur die Luft ist verseucht. Fast wöchentlich kommt in China ein Lebensmittelskandal ans Licht – und nur drei Prozent der Städte verfügen über saubere Trinkwasserreservoirs. Das Wasser von 33 Prozent der Städte ist mit Schwermetallen belastet. Überdies haben Chinas Städte im Boom der vergangenen Jahre ihren Charakter verloren. Anstatt historische Gebäude zu erhalten, wurden ganze Stadtviertel plattgemacht. Anstatt traditioneller Architektur prägen nun austauschbare Zementgärten mit Leuchtreklame Chinas Städte. Naherholungsgebiete gibt es kaum.
Nichts wie weg, sagen sich daher viele, die es sich leisten können. Ganz oben auf der Hitliste der Auswanderer steht Kanada. Gut 70 Prozent der sogenannten Investoren-Visa des Landes entfallen auf Chinesen, in den USA sind es rund 53 Prozent. Neben Nordamerika und Australien werden aber auch EU-Staaten bei Chinesen immer beliebter. Vor allem krisengeplagte Länder machen mit den reichen Flüchtlingen gute Geschäfte. Zypern und Portugal etwa werben mit mildem Klima und relativ günstigen Mindestinvestitionen. Wer Zypriot werden will, zahlt 300.000 Euro und erhält nach einigen Jahren die Staatsbürgerschaft. Tausende Chinesen sollen von diesem Angebot bereits Gebrauch gemacht haben.