Ägypten Kaum Geld für den Neuanfang

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Hoffnung auf Hilfe

Bei ihrer relativ optimistischen Voraussage schauen die ägyptischen Fachleute auf die drei Hauptsäulen der Deviseneinnahmen ihres Landes:

- Der Schiffsverkehr auf dem Suezkanal war von den politischen Wirren überhaupt nicht betroffen. Im Gegenteil: Wegen der Zunahme des Exports aus Ostasien und Indien nach Europa haben die Frachtmengen und dementsprechend auch die Gebühreneinnahmen des ägyptischen Staates 2011 im Vorjahresvergleich um annähernd zehn Prozent zugenommen.

- Der Tourismus hat zwar einen katastrophalen Einbruch erlitten und dümpelt derzeit bei etwa 40 Prozent der Vorjahresbelegung der Hotels am Nil und in den Badeorten am Roten Meer. Jetzt, so heißt es aus Kairo, kann es nur noch aufwärts gehen: Dank erheblicher Rabatte haben die großen europäischen Reisekonzerne sich bewegen lassen, für das vierte Quartal dieses Jahres wieder ihre alten Kontingente zu buchen.

Mehr als zweieinhalb Jahre zwischen Schule und Beruf

- Auch die für die Zahlungsbilanz wichtigen Gastarbeitertransfers von Ägyptern aus den arabischen Erdölstaaten sollten nach Rechnung des Finanzministeriums in Kairo weiter steigen. Danach sieht es allerdings überhaupt nicht aus: Der Bürgerkrieg im Nachbarland Libyen hat vielmehr zu einem Gastarbeiterrückstrom mit erheblichen sozialen Problemen geführt. Und Saudi-Arabien hat gerade erst die Vergabe von Arbeitserlaubnissen an Ausländer erschwert; die Vereinigten Arabischen Emirate haben eine ähnliche Maßnahme angekündigt.

Ägypten verzeichnet heute nach offiziellen Angaben 16 Prozent Arbeitslosigkeit unter den 16- bis 29-Jährigen, und das liegt keineswegs nur an der mangelnden Ausbildung vieler junger Leute. Die brauchen nach dem Schulabschluss heute im Durchschnitt mehr als zweieinhalb Jahre, bis sie einen Arbeitsplatz finden, hat Azita Berar Awad von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) festgestellt – für Abiturienten und Hochschulabgänger dauert es noch länger.

Der Missstand liegt nach Meinung der ILO-Forscherin Awad an einer der vielen Fehlentwicklungen der ägyptischen Wirtschaft in der Mubarak-Zeit: Investitionen flossen vor allem in kapitalintensive Bereiche wie die Immobilienwirtschaft, arbeitsintensive Industrien wurden vernachlässigt. Dabei ist Ägypten ein Billiglohnland: Der staatliche Mindestlohn lag bisher bei 36 ägyptischen Pfund im Monat – umgerechnet kaum mehr als vier Euro, auch der Kaufkraft nach ein einstelliger Euro-Betrag.

Woraus eigentlich folgt, dass das Land ein vorzüglicher Standort für lohnintensive Exportindustrien sein könnte, selbst wenn die neu entstandenen unabhängigen Gewerkschaften jetzt Verdoppelungen und Verdreifachungen der bisherigen Löhne erzwingen. Wäre da nicht die Angst der ägyptischen Unternehmer und ausländischen Investoren vor chaotischen politischen Entwicklungen – oder vor einem Staat, der mit Rücksicht auf die Frustration der ägyptischen Massen die freie Wirtschaft in Fesseln zwingt.

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