Ägypten Kaum Geld für den Neuanfang

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Der ägyptische Finanzminister Quelle: REUTERS

„In Ägypten herrscht heute ein politisches Vakuum“, schreibt der amerikanische Nahostexperte und Buchautor Thomas Freedman nach einer Ägyptenreise: „Wenn das Land irgendwohin tendiert, dann ist es eine populistischere, weniger marktorientierte Wirtschaftspolitik.“ Marktwirtschaft haben die ägyptischen Revolutionäre nur in der korrumpierten Form der Mubarak-Herrschaft kennengelernt, das wirkt sich jetzt auf das öffentliche Klima aus.

Und so fühlt sich der Finanzmister Samir Mohamed Radwan in seinem Amt nach eigener Aussage „wie ein Gefangener“. Seine Übergangsregierung hat versprochen, zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit 450 000 befristete Stellen im öffentlichen Dienst zu schaffen – Gerüchten zufolge haben sich daraufhin sieben Millionen Menschen beim Staat beworben, in einem Land mit knapp 52 Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter.

Populistische Politik

Der ägyptische Staat hat ganz einfach kein Geld, um die Erwartungen seiner Bürger zu erfüllen. Die Moslembrüder, nach den für September geplanten Parlamentswahlen womöglich bestimmende Kraft im Land, haben eine Lösung vorgeschlagen: Alle muslimischen Bürger sollen demnächst eine Zwangsabgabe von 7,5 Prozent ihres Einkommens an eine vom Staat beaufsichtigte Wohltätigkeitsorganisation zahlen – ganz im Einklang mit religiösen Vorschriften, aber mit unabsehbaren Folgen für eine große, aber zurückgebliebene Volkswirtschaft.

Die liberalen Gegner der Moslembrüder tun sich schwer mit Gegenvorstellungen. „Bei uns geht es nicht darum, den Staat zu reduzieren, wir müssen ihn effizient machen“, sagt Mohamed Menza von der neu gegründeten Partei Ägyptische Freiheit. Was aber auch ohne ausländische Hilfe schwierig wäre.

Entsprechend aufmerksam haben die Ägypter darum die finanziellen Versprechen des G8-Gipfels in Deauville Ende Mai registriert: 20 Milliarden Dollar versprechen die großen Industriestaaten als Aufbauhilfe für die neuen nordafrikanischen Demokratien.

Doch niemand weiß zu sagen, wie sich dieses Geld auf Ägypten und Tunesien verteilen soll, niemand kennt die Verteilung auf Geberländer und andere Institutionen. Das Finanzministerium in Kairo hat einen Bedarf von 8,5 Milliarden Dollar bis Mitte 2012 angemeldet – eine illusorische Forderung. Von der Weltbank ist nach Recherchen der Kairoer Zeitung „Al Ahram“ eine allgemeine Budgethilfe von einer Milliarde Dollar zu erwarten, eine weitere Milliarde im kommenden Jahr, falls es Reformfortschritte gibt. Außerdem verteilt über mehrere Jahre 2,5 Milliarden Dollar als Zuschuss zu Infrastrukturprojekten oder in Form von Krediten an die ägyptische Privatwirtschaft. Bis zum Jahr 2015 rechnet die Übergangsregierung insgesamt gar mit ausländischer Hilfe in Höhe von fast 23 Milliarden Dollar – eine Rechnung, die nur aufgehen kann, wenn vage Hilfszusagen aus China und Saudi-Arabien erfüllt werden.

Da muten die bisherigen offiziellen Hilfsankündigungen aus Berlin bescheiden an: Von insgesamt 130 Millionen Euro für Ägypten und Tunesien hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen, wozu noch die Umwandlung von 300 Millionen Euro Staatsschulden kommen soll.

Wahrscheinlich gut investiertes Geld: Sollte eine zukünftige ägyptische Regierung die ausländischen Hilfen in große Infrastrukturprojekte lenken, vom Eisenbahnbau bis zur Modernisierung der medizinischen Versorgung, haben deutsche Unternehmen gute Chancen – wenn sie mit den anhaltenden Risiken des Landes leben können. Kammergeschäftsführer Herret rät jedenfalls zu: „Chaos ist hier Teil der Normalität und in der Revolution ganz besonders.“  

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