Ägyptens Präsident al-Sisi Der Heilsbringer hat sich selbst entzaubert

Nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi vor fast drei Jahren wurde Abdel Fattah al-Sisi als Heilsbringer beschrieben. Inzwischen bläst ihm heftiger Gegenwind entgegen. Auch wirtschaftlich sieht es düster aus.

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Der Präsident konnte seinen Messias-Status nicht halten. Quelle: Reuters

Kairo „Ihre Exzellenz, Sie arbeiten nicht!“ – Die Fernsehmoderatorin Assa al-Hemawy schaut in die Kamera, richtet sich aber in Wirklichkeit direkt an den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. „Nicht ein einziges Problem ist gelöst, seitdem Sie an der Macht sind.“

Hemawy bringt auf den Punkt, was viele Ägypter denken. Der nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi vor fast drei Jahren immer wieder als Heilsbringer beschriebene Sisi hat sich selbst entzaubert. In den Medien bläst ihm inzwischen heftiger Gegenwind entgegen – auch wenn Hemawy wegen ihrer Äußerung eine interne Untersuchung des Staatsfernsehens über sich ergehen lassen muss. Zudem schlagen immer mehr bisherige Verbündete des Ex-Armeechefs kritische Töne an.

Die Wirtschaft des nordafrikanischen Landes steckt tief in der Krise, der Islamisten-Aufstand auf der Sinai-Halbinsel eskaliert immer weiter und die Brutalität der bislang unreformierten Polizeitruppen lösen Proteste aus.

„Unser Staat sperrt Menschen für ihre Gedanken und ihre Bücher ein“, schrieb der bekannte Chefredakteur Ibrahim Eissa vergangenen Monat in einem Leitartikel. Kurz zuvor war ein junger Schriftsteller wegen einer Sex-Szene in seinem Buch inhaftiert worden. Damit vollzieht Eissa eine Kehrtwende vom glühenden Bewunderer zum erbitterten Kritiker des einstigen Armee-Chefs, dessen Aufstieg der Journalist seinerzeit als „Tag der Freude, Tag des Sieges, Tag der Würde und Tag des Stolzes“ bezeichnete.

Der prominente politische Aktivist und frühere Sisi-Anhänger Abu al-Ghar beschrieb den Staatschef jüngst als Präsident über eine kollabierte Wirtschaft und eine Polizei, die „schlägt und foltert“.

Die Bevölkerung verehrte den General mit dunkler Sonnenbrille, der nach Massenprotesten den Putsch gegen den in Ungnade gefallen Muslimbruder Mursi betrieb und etwa ein Jahr später zu dessen Nachfolger gewählt wurde. Er kündigte an, endlich für Stabilität in einem Land zu sorgen, das im Chaos zu versinken drohte. Konditoreien kamen kaum damit nach, Kuchen mit dem Konterfei Sisis zu backen. „Sisi wurde von einer Woge der Popularität an die Macht getragen“, sagt H.A. Hellyer vom Atlantic Council in Washington. „Das sollte aber nicht lange anhalten. Er kann den Messias-Status nicht halten.“


Auch wirtschaftliche Bilanz fällt mager aus

In einer Rede im vergangenen Monat wirkte Sisi wütend und unsicher. Er beschwerte sich, dass die Ägypter ihm nur Versäumnisse vorhielten, aber seine Errungenschaften nicht würdigten. Nach der Ansprache wurde er mit einer Flut von Häme und Spot in Internet-Foren überschüttet, einige Kommentatoren verglichen ihn mit dem exzentrischen libyschen Ex-Despoten Muammar Gaddafi.

Nach dem Sturz Mursis töteten Sicherheitskräfte Hunderte Islamisten, Tausende wurden inhaftiert. Zunächst gab es dagegen wenig Protest, räumt der Journalist Eissa ein. „Es gab einen nationalen Konsens, dass Verstöße gegen die Menschenrechte ignoriert werden, wenn sie sich gegen Terroristen richten.“ Plötzlich habe die Bevölkerung aber realisiert, dass auch ganz normale Bürger ins Kreuzfeuer der Sicherheitskräfte gerieten und in Polizeigewahrsam umkämen.

Im vergangenen Monat gingen mehr als 10.000 Ärzte auf die Straße, um gegen einen Polizeieinsatz in einem Krankenhaus zu protestieren, bei dem Polizisten zwei Ärzte verprügelten. Wenig später erschoss ein Polizist im Zentrum von Kairo einen Autofahrer nach einem heftigen Streit.

Auch die wirtschaftliche Bilanz Sisis fällt bislang mager aus. Der Präsident rühmt sich immer wieder für die Erweiterung des Suez-Kanals, von der er sich einen Schub für die Wirtschaft erhofft. Der Bau schlägt mit acht Milliarden Dollar zu Buche, hat bisher allerdings die Einnahmen des Landes nicht großartig erhöht.

Stattdessen sorgen steigende Preise und eine schwache Landeswährung für Unruhe. Wegen der wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen bleiben viele ausländische Touristen und Investoren dem Land fern. Einige Unternehmen wie General Motors haben ihre Produktion in Ägypten wegen der Wirtschaftsflaute vorübergehend gestoppt.

Im November schreckte Sisi die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit einem Gesetz auf, das zahlreiche Jobs streichen sollte. Das Parlament widerrief es schließlich, der Ärger blieb. „Das Gesetz erfüllte sieben Millionen Staatsbedienstete und deren Familien mit Schrecken“, sagte Eissa. „Die Mittelschicht dachte plötzlich, der Mann, den wir dorthin brachten, den wir lieben, arbeitet gegen uns.“

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