Allianz-Chefökonom Heise „Populistische Spaltungsbewegungen selbstkritisch ergründen“

Die Angst vor Globalisierung hat Populisten in Europa zu einem ungeahnten Aufstieg verholfen. Allianz-Chefvolkswirt Heise rät der Politik daher zu mehr Selbstkritik und mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen.

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Merkel schreibt sich selbst „kamelartige Fähigkeiten“ zu: Reserven anlegen, dosiert einsetzen. Krank ist sie selten – wenn doch, erfährt man es in der Regel nicht. Man muss wohl Nerven aus Stahl haben, um Kanzleramt und Parteivorsitz zu meistern. US-Präsident Barack Obama sagt, Merkel sei „hart“, „tough“ und „zäh“. Quelle: dpa

Eine der wichtigsten politischen Herausforderungen im kommenden Jahr ist nach Ansicht des Allianz-Chefvolkswirts Michael Heise der Umgang mit populistischen Strömungen. Es müsse darum gehen, „die Vision eines friedlichen, demokratischen und politisch wie wirtschaftlich integrierten Europas wieder zu stärken“, sagte Heise dem Handelsblatt. „Die Ursachen der populistischen Spaltungsbewegungen muss die Politik selbstkritisch ergründen.“

Er denke hierbei unter anderem an die mangelnde Transparenz und Kompromissfähigkeit in vielen politischen Prozessen in Europa, sagte Heise weiter. „Es muss veranschaulicht werden, dass die europäische Integration nicht die tiefere Ursache der Globalisierung ist, sondern den Bürger in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit hohen sozialen, umweltpolitischen und handelspolitischen Standards vor potenziellen negativen Folgen der Globalisierung schützt.“

Dass die etablierte Politik in dieser Hinsicht offenbar Fehler gemacht hat, zeigen die Erfolge der AfD bei mehreren Landtagswahlen, der überraschende Sieg des Brexit-Lagers in Großbritannien und der vielleicht noch überraschendere Triumph des US-Milliardärs Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl in seinem Land. Mit Bangen blicken die etablierten Parteien daher schon jetzt auf 2017. Denn im kommenden Jahr könnten Rechtspopulisten bei einer Reihe von Wahlen in Europa wieder Aufsehen erregende Ergebnisse einfahren.

In diese Richtung deutet auch ein jüngst veröffentlichte EU-Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die Experten kommen darin zu dem Ergebnis, dass Globalisierungsängste eine wesentliche Rolle spielen, wenn Menschen Strömungen zuneigen, die sich gegen das sogenannte Establishment stellen. Besonders in Deutschland schlägt sich diese Angst vieler Bürger in deren Wahlentscheidung nieder.

So ergab die im August durchgeführte Befragung von 14.936 Personen in den neun größten EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Spanien und Ungarn, dass Anhänger rechtsnationaler und populistischer Parteien besonders häufig die Folgen internationaler Verflechtung fürchten. Über zwei Drittel der AfD- (78 Prozent), Front-National- (76 Prozent) und FPÖ-Unterstützer (69 Prozent) sehen demnach die Globalisierung als Bedrohung.

Auch Rückschläge in der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung können populistische Tendenzen stärken. Als zentrale ökonomische Herausforderung sieht der Allianz-Chefökonom Heise daher, die EU und die Vereinigten Staaten auf einem stabilen wirtschaftlichen Wachstumskurs zu halten. „Der starke Dollar sowie expansive Fiskalprogramme in den USA werden das amerikanische Leistungsbilanzdefizit weiter ansteigen lassen, was handelspolitische Restriktionen der neuen US-Administration wahrscheinlicher macht“, sagte der Ökonom.

Eine im Gegenzug massive Abwertung des Euro, die mit einem Auseinanderdriften in der Gelpolitik dies- und jenseits des Atlantik verbunden sei, wäre jedoch auch für die Europäischen Währungsunion „keine gute Medizin“. Die Folgen seien steigende Preise, ein Verlust an Kaufkraft sowie ein schwächelnder Konsum.


„Geldpolitische Normalisierung mit etwas höheren Zinsen in Europa“

Zudem fürchtet Heise, dass kurzfristige Exporterfolge mit langfristigen Strukturproblemen erkauft würden, wenn die Unternehmen die vorübergehende Währungsschwäche zum Anlass nähmen, weniger für Effizienzsteigerungen und Produktverbesserungen zu tun. Eine „geldpolitische Normalisierung mit etwas höheren Zinsen in Europa“ sei daher das „geringere Risiko“ im Vergleich zu einer ausgeprägten Währungsschwäche.

Dass die Geldpolitik 2017 in einem Spannungsfeld mit der Politik stehen wird, zeigt sich schon darin, dass das nächste Jahr für Fed-Chefin Janet Yellen das letzte an der Spitze der mächtigsten Notenbank der Welt zu werden droht: Der künftige Präsident Trump hat sie im Wahlkampf hart attackiert und dürfte ihr nach Auslaufen ihrer vierjährigen Amtszeit Anfang 2018 den Stuhl vor die Tür setzen. Zudem muss die Befürworterin einer lockeren geldpolitischen Linie 2017 mit weiteren Risiken leben: Mit Trumps Plänen für Steuersenkungen und massive Konjunkturhilfen könnte die US-Wirtschaft überhitzen und der Preisauftrieb außer Kontrolle geraten. Yellen, die ihren Kurs nun verschärfen und die Zügel nächstes Jahr mehrmals anziehen will, wird wohl eine gehörige Portion Führungsstärke dafür brauchen.

„Eines steht fest: Die Fed-Präsidentin steht vor dem schwierigsten Jahr ihrer Notenbanktätigkeit“, prophezeite jüngst der Ökonom Cyrus de la Rubia von der HSH Nordbank. Durch eine Kombination aus überhitzter Wirtschaft und straffen Zinserhöhungen drohe ein explosives Gemisch: „Das könnte durchaus in einen Abschwung führen, angefangen mit dem Immobilienmarkt und der Autobranche, wo Ratenkäufe üblich sind.“

Die Europäische Zentralbank blickt ebenfalls mit Sorge auf die Entwicklungen jenseits des Atlantiks: „Die aus der US-Präsidentschaftswahl resultierende politische Unsicherheit hat zugenommen“, konstatiert die EZB in ihrem Wirtschaftsbericht. In der Folge hätten sich die Finanzierungsbedingungen verschärft.

Auch der von der Wahl Trumps ausgelöste Höhenflug des Dollar hat seine Tücken: „Für die US-Unternehmen, die ihre Gewinne zu einem großen Teil im Ausland erwirtschaften, ist dies gleichbedeutend mit sinkenden Gewinnen und rückläufiger Wettbewerbsfähigkeit“, warnte Experte De la Rubia.

Mit Reuters und AFP

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