„Altparteien“ gegen „Populisten“ Bitte Argumente statt Moral!

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Erziehungsauftrag gegen ungezogene Wähler

Das Narrativ, das die etablierten Parteien in Deutschland derzeit dazu erzählen, hat vor allem ein Ziel: Diese Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen. Denn die Antwort hat selbstverständlich sehr viel mit den Schwächen und Fehlern der etablierten Parteien zu tun. Neue politische Bewegungen schießen üblicherweise nicht ohne Anlass und Grund aus dem Boden. Neue Parteien haben nur Erfolg, wenn sie eine Repräsentationslücke füllen können. Wenn sie unzufriedene Wähler an sich binden können, die von den anderen die Nase voll haben.

Die Namensgeberin der neuen deutschen Partei war indirekt Merkel selbst, die mit der Darstellung ihrer großkoalitionären Politik als „alternativlos“ zur Inkarnation des Konsens der etablierten Parteien wurde. Genau dieser Konsens der etablierten Parteien in den zentralen politischen Fragen – Bejahung der Globalisierung, die EU als „immer engere Union“, offene Grenzen für Einwanderer – musste letztlich den Widerspruch derer hervorbringen, die von den Folgen dieser angeblichen Alternativlosigkeiten nicht profitieren. Deren Interessen und Ängste waren beim großen Konsens zwischen die Räder gekommen.

Ohne das Einschwenken von Union und SPD auf einen einwanderungspolitischen Kurs, den wenige Jahre zuvor nur die Grünen verfolgten, und gegen den es im Bundestag keine nennenswerte Opposition gab, wäre die AfD wohl niemals zur dritt- oder viertstärksten Partei aufgestiegen. Auch die britischen Brexiteers erhielten übrigens Auftrieb durch Merkels Willkommenspolitik des Jahres 2015.

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Die Reaktion der etablierten Politik ist der pure Trotz: Die Wahlergebnisse werden nicht als Mahnung akzeptiert, die Interessen der verlorenen Klientel wieder wahrzunehmen, sondern als Erziehungsauftrag interpretiert. Man glaubt in den etablierten Parteien, die Menschen besser „mitnehmen“ zu müssen, sie über die wohlmeinenden Ziele unterrichten, aufklären zu müssen. Man glaubt sie also wie aufsässige Schulkinder behandeln zu müssen: Du hast es nicht verstanden, komm, ich erklär’s dir nochmal.

Und wenn die ungezogenen Gören doch was anderes tun, als was Mutti sagt? Dann heißt es: Pfui!

Aber erwachsene Bürger sind keine Kinder und lassen sich in der Regel noch weniger erziehen. Vor allem wenn es um ihre handfesten und realen Interessen geht, ersetzt Moral keine Argumente. Ein Investmentbanker hat natürlich nichts von gering qualifizierten Einwanderern zu befürchten, aber den gering qualifizierten Einheimischen (ob deutscher Herkunft oder nicht) kann keine Willkommenskultur darüber hinwegtäuschen, dass da vor allem Konkurrenten für ihn willkommen geheißen werden. Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, und letztlich auch Konkurrenten auf dem großen Markt der sozialpolitischen Aufmerksamkeit.

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Carl Schmitt würde diebisch grinsen, könnte er noch miterleben, was sich derzeit tut in den Korridoren der Macht. Ausgerechnet Leute wie Gabriel und Maas, die mit dem dunklen Denker der Feindschaft sicher nicht in einem Atemzug genannt werden wollen, haben nun ganz in Schmittscher Manier einen Feind ausgemacht und als solchen benannt: Das „Pack“ von Pegida und eine AfD, die Gabriel explizit mit den Nationalsozialisten vergleicht. Der SPD-Vorsitzende fühlt sich für solche Vergleiche besonders kompetent, denn er kenne die AfD-Parolen von seinem verstorbenen Vater „und der war ein unverbesserlicher Nazi“.

Die etablierte Politik antwortet also auf die Herausforderung der neuen Konkurrenz mit Moralisierung und befördert damit eine Radikalisierung und Freisetzung von Aggressionen auf allen Seiten. Wer zum Aussätzigen erklärt wird, hat nur noch die Wahl zwischen reuiger Unterwerfung oder: „Jetzt erst recht“.

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