Mit der Ausnahme Chinas gibt es kein Land, das die USA nachhaltig herausfordern kann. Brasilien, eine Regionalmacht, ist zwar flächenmäßig groß, hat aber nur halb so viele Einwohner wie die USA. Zudem ist der Aufwärtstrend längst gebrochen. Das Land stagniert, große Teile der Bevölkerung sind arm, die Aufstiegschancen sind gering. Auch politisch wie militärisch hinken die Südamerikaner hinterher.
Indien ist – mit 1,2 Milliarden Einwohnern – fast vier Mal so groß wie die USA. Das Land besitzt 90 bis 100 Atomwaffen und strahlt mit seinen „Bollywood“-Produktionen einen kulturellen Einfluss auf die gesamte Region aus. Und doch dürfte das Land auf Jahrzehnte hinaus kein ernsthafter Gegenspieler zu den USA werden. Die Analphabetenrate ist hoch, die klugsten Köpfe ziehen ins Ausland – nicht selten in die USA. Zudem lähmt der Konflikt mit Pakistan und der Kampf gegen den Terrorismus.
Bleibt Russland. Moskau träumt – das zeigen Krim- und Ukraine-Krise eindrucksvoll – von alter Stärke. Und das Land bleibt „eine potenzielle Gefahr, schon allein aufgrund der Anzahl der Waffensysteme und Atomsprengköpfe, mit denen es die USA zerstören könnte“, sagt Nye. Allerdings: Wirtschaftlich ist das Land zu stark vom Energiesektor abhängig, die Bevölkerungszahl wird bis zum Mitte des 21. Jahrhunderts auf nur noch rund 120 Millionen Menschen sinken – und potenzielle, starke Verbündete sind nicht in Sicht. Russland suchte in der Ukraine-Krise den Schulterschluss zu China, blitzte aber ab. „China will gute Beziehungen zu Russland, aber nicht als Konkurrenz zu den USA. Die Allianz zwischen Moskau und Peking wird nie sehr stark werden, dazu ist das Misstrauen auf beiden Seiten zu groß“, so Nye auf Nachfrage.
Die größten Infrastruktur-Mängel in den USA
Das Straßenbild der USA ist gezeichnet von Schlaglöchern und Rissen im Asphalt. 36 Prozent der Autobahnen sind durchweg überlastet.
Der Zug gilt in den USA als unzuverlässiges Fortbewegungsmittel. Reisende erreichen ihr Ziel nur bei 77 Prozent der Fahrten pünktlich. Zum Vergleich: in Europa sind es 90 Prozent. Außerdem gibt es kein gut ausgebautes Hochgeschwindigkeitsnetz. Schnellzüge fahren somit im Schnitt nur 115 Kilometer pro Stunde.
Auch bei Flügen ist in den USA mit Verspätungen zu rechnen. Die Flughäfen sind überaltert und überlastet. Drei Prozent der Start- und Landebahnen sind im schlechten Zustand.
Einige der Brücken in den USA gelten nicht nur als überaltert, sondern als gefährlich. Von rund 600.000 Brücken sind 160.000 einsturzgefährdet.
Auch die Staudämme der USA weisen Sicherheitsmängel auf. Ihr Durchschnittsalter beträgt 51 Jahre. Erschreckend sind die Wartungsverhältnisse: In Texas kommen auf 7400 Staudämme lediglich sieben überwachende Ingenieure.
Für die Sanierung von Schulgebäuden investieren die USA zu wenig. Im Jahre 2005 fand der Unterricht von 37 Prozent aller Schulen in improvisierten Klassenräumen aus Fertigbauteilen statt.
Das Stromnetz der Vereinigten Staaten ist marode. Das Risiko von Stromausfällen, verursacht durch Stürme und herabfallende Äste, ist so groß, dass Elektrizitätswerke den US-Bürgern zum Kauf eines eigenen Generators raten.
Die Wasserleitungen der USA zeichnen sich durch ihr Alter von 60 Jahren und die Defekte aus. Knapp 30 Millionen Liter Wasser versickern täglich in der Erde. Auch die Wasserwerke sind veraltet und sanierungsbedürftig.
Europa festigt die Macht der USA
Anders als Russland können sich die USA auf ein breites Netz von Partner und Allianzen verlassen. Sowohl mit Japan und weiteren Ländern im pazifischen Raum bestehen enge Verbindungen, vor allem aber mit Europa. „Europa ist der engste Partner, den wir haben. Wir teilen die gleichen Werte, glauben an die Stärke von Marktwirtschaft und Demokratie, haben ähnliche Interessen und hören die gleiche Musik und schauen ähnliche Filme“, zählt Nye die Gemeinsamkeiten auf. Kombiniert man die Länder der EU und die USA – beide haben eine ähnliche hohe Wirtschaftskraft – entsteht eine wirtschaftliche Power, die alle anderen Regionen in die Schranken weisen kann.
Zwar sei Europa innerlich zerrissen und längst noch nicht so weit, um internationale Krisen wie den Ukraine-Konflikt alleine lösen zu können, schränkt der Harvard-Professor ein. Aber: Gemeinsam mit den USA bilde man ebenfalls eine starke militärische Gemeinschaft, die ihre Werte verteidigen kann.
Das sind die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt
Schweden verfügt über starke Institutionen (Rang 13), die sowohl transparent als auch effizient sind. Auch die Infrastruktur ist stabil (Rang 22). Die Staatsverschuldung ist niedrig und die Wirtschaft gesund (Rang 17).
Noch wichtiger für die Wettbewerbsstärke der Skandinavier ist aber das innovationsfreundliche Umfeld im Land. Das Bildungssystem ist von hoher Qualität (Rang 14). In puncto Informations- und Kommunikationstechnik macht Schweden in der Welt kaum jemand etwas vor (Rang 3). Auch was die Innovationskraft angeht, sind die schwedischen Firmen weit vorn (Rang 6). Der Grund dafür ist wohl der hohe Wettbewerb (Rang 21), der für die Unternehmen ein Anreiz ist, sich stets weiterzuentwickeln.
Weniger gut schneiden Schwedens stark regulierter Arbeitsmarkt (Rang 59) und das Steuersystem (Rang 119) ab.
Großbritannien profitiert vor allem von seinem hervorragenden Arbeitsmarkt (Rang 5) und seinem hoch entwickelten Finanzsystem (Rang 15). Dass es nicht weiter vorn im Ranking steht, liegt an dem britischen Bankensystem (Rang 89) und dem schwierigen Zugang zu Krediten (Rang 82) – beides schadet der Wettbewerbsfähigkeit.
In Sachen Informations- und Kommunikationstechnik belegen die Briten den zweiten Rang weltweit. In Verbindung mit einem sehr großen (Rang 6) und wettbewerbsstarken (Rang 5) Markt ist die Informations- und Kommunikationstechnik der Grund für eine hohe Innovationskraft (Rang 12).
Wollen die Briten wettbewerbsfähiger werden, sollten sie an ihrem Bildungssystem arbeiten (Rang 23). Vor allem in Mathematik und in den Naturwissenschaften schneiden britische Schüler nicht gut ab (Rang 63).
Die Niederländer verfügen über ein exzellentes Bildungs- und Ausbildungssystem (Rang 3), hohe Informations- und Kommunikationstechnik (Rang 8) und eine großen Innovationskraft (Rang 8). All das führt zu Unternehmen (Rang 5), die auch am internationalen Markt gut dastehen.
Dazu kommen effiziente Institutionen (Rang 10), eine erstklassige Infrastruktur (Rang 4) und wettbewerbsintensive (Rang 5) Märkte.
Arbeiten müssen die Niederländer an ihrem unflexiblen Arbeitsmarkt (Rang 123) und an den Schwächen des Finanzsystems (Rang 80), die auch den Zugang zu Krediten immer schwieriger gestalten (Rang 48).
Hongkongs Gütermarkt (Rang 2) und Arbeitsmarkt (Rang 3) sind Weltklasse.
Will Hongkong seine Wettbewerbsfähigkeit weiter entwickeln, sollte es an seinem Bildungssystem (Rang 22) und seiner Innovationsfähigkeit arbeiten. Zudem ist Hongkong ein schwacher Forschungsstandpunkt (Rang 32) und es fehlt an Wissenschaftlern und Ingenieuren (Rang 36).
Japan verfügt über die weltweit am höchsten entwickelten Unternehmen (Rang 1). Auch in puncto Innovation spielt Japan vorne mit (Rang 4). Viel Geld investiert Japan in Forschung und Innovation (Rang 2). Infolgedessen verfügt das Land über hervorragende Arbeitskräfte (Rang 3), gefragte Forschungsinstitutionen (Rang 7) und eine hohe Innovationskraft (Rang 7). Das alles zahlt sich aus: Japan meldet pro Einwohner am zweitmeisten Patente weltweit an.
Die Wettbewerbsfähigkeit des Landes leidet unter den Haushaltsproblemen (Rang 127). Die Staatsverschuldung liegt derzeit bei 240 Prozent des BIPs. Allerdings hat es Japan geschafft, die Deflation einzudämmen. Auch der japanische Arbeitsmarkt (Rang 22) bereitet der Wettbewerbsfähigkeit Probleme. Vor allem der Frauenanteil auf dem Arbeitsmarkt (Rang 88) ist mit der niedrigste in sämtlichen OECD-Ländern.
Bis jetzt hat Deutschland dank seiner hohen Wettbewerbsfähigkeit (Rang 3) und seiner hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung (Rang 6) die Euro-Krise gut überstanden. Die deutschen Unternehmen stecken ebenfalls viel Geld in die Forschung (Rang 5). Die eigenen Innovationen befördern Unternehmen in Deutschland zudem durch Kooperationen mit Universitäten (Rang 10) und Forschungslaboren (Platz 8).
Die vielen Mittelständler in Deutschland sind in Nischenmärkten tätig und können sich daher stark spezialisieren (Rang 3). Die hervorragende Infrastruktur (Rang 7) und die exzellente Ausbildung (Rang 6) komplettieren Deutschlands Stärken.
Um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit könnte es aber noch besser bestellt sein, wenn Deutschland weiter an der Effizienz seines Arbeitsmarkts arbeitete (Rang 35, 2012: 53). In Anbetracht des demografischen Wandels sollte Deutschland zudem weiter die Immigration forcieren und mehr Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren. Das größte Problem ist aber nach wie vor die hohe Staatsverschuldung (Rang 118).
Finnlands Institutionen sind die transparentesten der Welt (Rang 1). Auch die Infrastruktur von Finnland kann sich sehen lassen (Rang 19), ebenso wie der Gütermarkt (Rang 18). Finnlands Finanzsystem ist hoch entwickelt (Rang 5). Die finnischen Arbeitskräfte sind hervorragend ausgebildet (Rang 7), was neben den hohen öffentlichen und privaten Investitionen in die Forschung (Rang 3) zur höchsten Innovationskraft weltweit führt (Rang 1).
Getrübt wird die Wettbewerbsfähigkeit Finnlands durch die schwachen Aufstiegschancen am Arbeitsmarkt (Rang 143).
Trotz der Krise, in der sich die USA befinden, sind sie im höchsten Maß wettbewerbsfähig. Die Unternehmen florieren (Rang 4) und sind innovativ (Rang 5). Die Verknüpfung der Wirtschaft mit den exzellenten Universitäten des Landes befördert dies. Zudem ist der Arbeitsmarkt sehr flexibel.
Nichtsdestotrotz hat auch Amerika Schwächen: Das Vertrauen der Unternehmen in die Politik ist gering (Rang 48). Die Unternehmer sind der Meinung, die Regierung gehe zu verschwenderisch mit ihren Ressourcen um (Rang 73). Trotz der sinkenden Staatsverschuldung stellt auch der Haushalt der USA nach wie vor eine starke Schwäche dar (Rang 113).
Singapurs Arbeitsmarkt ist hocheffizient (Rang 2) ebenso der Finanzmarkt. Darüber hinaus verfügt der Insel- und Stadtstaat über Weltklasse Institutionen (Rang 3) und eine starke Infrastruktur (Rang 2). Die Wettbewerbsfähigkeit wird befördert durch Singapurs hervorragendes Bildungssystem (Rang 2).
Jammern auf hohem Niveau kann Singapurs über seinen Privatsektor (Rang 19). Auch in puncto Innovation (Rang 9) könnte Singapur noch zulegen.
Die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft ist zum sechsten Mal in Folge die Schweiz. Sie verfügt über erstklassige akademische Institutionen, ein hervorragendes Bildungs- und Ausbildungssystem, investiert viel Geld in Forschung und Entwicklung und meldet die meisten Patente pro Kopf an (Rang 1).
Der Arbeitsmarkt sucht weltweit seinesgleichen (Rang 1). Auch die öffentlichen Institutionen gelten als effizient und transparent (Rang 7). Weiter befördert wird die Wettbewerbsfähigkeit durch die gut ausgebaute Infrastruktur und die hochentwickelten Finanzmärkte (Rang 11). In einer Zeit, in der die meisten europäischen Länder mit ihren Haushalten zu kämpfen haben, erweist sich der Schweizer Haushallt als äußerst widerstandsfähig (Rang 12).
Allerdings lässt die Innovationskraft der Schweiz nach (Rang 24, 2012: Rang 14). Auch an ihrer Haltung zur Immigration muss die Schweiz arbeiten, will sie auch in Zukunft ihren Standard halten.
Die Konzentration in außenpolitischen Fragen auf den pazifischen Raum sei keine Rückzug der Amerikaner aus Europa, betont Nye. „Ich weiß, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama fast wöchentlich miteinander telefonieren. Die Partnerschaft ist eng und krisenfest“, so Nye.