Die US-Infrastruktur ist einem schlechten Zustand, die Politik blockiert und mit China ein großer Konkurrent herangewachsen: Politologen, Historiker und Journalisten sprechen von einem „Abstieg Amerikas“. Die Zeit, der Weltmacht Nummer 1 sei vorbei, es gehe immer weiter abwärts.
„Ist das amerikanische Jahrhundert vorbei?“, fragt nun auch Harvard-Politologe, Ex-Regierungsberater und Außenpolitik-Experte Joseph S. Nye in seinem neuen, gleichnamigen Buch. Die Antwort ist eindeutig: nein, das ist sie nicht. Die Welt wird fraglos multipolarer, doch die USA werden noch lange den Ton angeben und von keinem anderen Land der Welt herausgefordert werden können. Das sind die Gründe.
China und die USA sind voneinander abhängig
China hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Innerhalb von 30 Jahren wuchs das ehemalige Dritte-Welt-Land zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Der Aufwärtstrend ist ungebrochen – auch wenn die Wachstumszahlen zuletzt hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Mit wirtschaftlicher Stärke geht auch immer politische Stärke einher. China testet derzeit im wahrsten Sinne des Wortes seine Grenzen.
Offiziell betont die chinesische Regierung immer wieder ihre friedlichen Absichten. Tatsächlich aber hat der Riesenreich Grenzstreitigkeiten mit einer ganzen Reihe von Ländern, und tritt dabei zunehmend aggressiv auf: Seit Jahren schwelt der Konflikt mit Japan um eine unbewohnte Inselgruppe, die die Japaner Senkaku-, die Chinesen Diaoyu-Inseln nennen. Im Frühjahr kam es zu Spannungen mit Vietnam und den Philippinen. Auch hier geht es um Inselgruppen und Erdölvorkommen. Ungeklärt ist der Grenzverlauf auch mit Indien. Und doch: ein neuer Kalter Krieg zwischen den USA und China ist derzeit unwahrscheinlich.
Zu abhängig sind die beiden Staaten. Das Handelsbilanzdefizit der USA mit China hat sich von 315 Milliarden US-Dollar 2012 auf rund 318 Milliarden im Jahr 2013 vergrößert. Ohne die chinesischen Importe gibt es weniger Konsum – und weniger Arbeitsplätze in den USA.
„Beide Seiten haben von dem jetzigen Arrangement profitiert: Die Asiaten sind die Werkbank der USA und produzieren viele günstige Güter. Die werden in den USA weiterverarbeitet oder verkauft. Das Bündnis sichert Arbeitsplätze in beiden Ländern“, sagt Martin Thunert, Dozent und Politikwissenschaftler am Center for American Studies der Universität Heidelberg.
Auch im Kampf gegen den Terrorismus, bei der Stabilisierung der Finanzmärkte, im Atomstreit mit dem Iran und neuerdings auch beim Kampf gegen den Klimawandel arbeiten die Länder verstärkt zusammen. „Die Strategie der USA, die Chinesen in die Weltgemeinschaft zu integrieren und auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, ist aufgegangen“, sagt Joseph Nye im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online.