Amnesty zieht Bilanz „Ein Jahr anhaltenden Elends“

Amnesty International zieht eine düstere Bilanz für das Jahr 2016. Vor allem der neue US-Präsident Trump und der türkische Staatschef Erdogan werden kritisiert. Nur zu Deutschland fällt das Urteil überraschend mild aus.

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Auch mit der europäischen Flüchtlingspolitik ging Amnesty hart ins Gericht. Quelle: AFP

Berlin Für die Menschenrechte war das vergangene Jahr kein gutes. „Die Welt wurde 2016 finsterer und unsicherer“, lautet das Fazit im neuen Jahresbericht der Organisation Amnesty International. In der Türkei werden Oppositionelle eingesperrt, auf den Philippinen tobt ein brutaler Anti-Drogen-Krieg und Europa schottet sich in der Flüchtlingskrise zunehmend ab. Und dann nimmt mit den USA auch noch der wichtigste westliche Staat eine aus Amnesty-Sicht ungute Entwicklung.

Man erlebe derzeit die „Erosion menschenrechtlicher Standards“, klagte Markus Beeko, seit September Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty. Er stellte den neuen 400-Seiten starken Bericht „zur weltweiten Lage der Menschenrechte“ in Berlin vor. Frieden und Verständigung seien durch eine „Wir gegen die Anderen“-Rhetorik akut bedroht, sagte er.

Dabei dachte Beeko auch an Donald Trump. Der US-Präsident wird im Amnesty-Bericht scharf kritisiert. Er habe sich im Wahlkampf „vielfach mit hetzerischen Äußerungen hervorgetan, die von Frauen- und Fremdenfeindlichkeit geprägt“ seien. Mit zahlreichen Dekreten würden nun Menschenrechte suspendiert, doch auch Vorgänger Barack Obama werden „viele Fälle schweren Versagens“ attestiert. Dazu gehörten der Drohnenkrieg und das massenhafte Ausspähen von Daten.

Ein Trend zum Überwachungsstaat lasse ich auch in vielen anderen Ländern ausmachen. Oft werde die Einschränkung von Grundrechten mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet. So erlaubten die französischen Anti-Terror-Gesetze Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, während in Polen oder Großbritannien die Abhörung ausländischer Staatsbürger gängige Praxis geworden sei. Auch mit dem internationalen Recht sehe es nicht rosig aus, klagt Amnesty.

Ausgerechnet in dieser unruhigen Phase würden sich Staaten wie Russland vom UN-Gerichtshof abwenden. Die Verletzung von Menschenrechten gehe damit einher. Beeko mahnte, es drohe ein „Domino-Effekt, wenn mehr und mehr Staaten den politischen Willen vermissen lassen, die Menschenrechte zu stärken“.


Flüchtlingspolitik im Kreuzfeuer

Scharfe Kritik übt die Organisation an der Türkei. Massenhaft seien staatliche Stellen im vergangenen Jahr gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, etwa 40.000 Menschen säßen derzeit in Untersuchungshaft. Noch schlimmer sei die Lage auf den Philippinen. Präsident Rodrigo Duterte führe eine „brutale sogenannte Anti-Drogen-Kampagne“, beklagt Beeko. Sie habe 7.000 Menschen auf ihrem Gewissen, darunter viele Kinder. Kopfgeldjäger würden dabei nachweislich von staatlicher Seite finanziert. Insgesamt seien 2016 in mindestens 22 Ländern Menschen beim Kampf für Freiheit und Menschenrechte ermordet worden.

Auch mit der europäischen Flüchtlingspolitik ging Amnesty hart ins Gericht. Durch Abkommen mit Libyen, wo Menschen auf der Flucht unter unwürdigen Bedingungen in Haft säßen und misshandelt würden, nehme die Europäische Union Menschenrechtsverletzungen wissentlich in Kauf. Überhaupt fehle eine aktive Flüchtlingspolitik, „die den Schutz und sichere Zugangswege für schutzsuchende Menschen in den Fokus stellt“, so Beeko. Stattdessen dominiere das Leitbild Migrationskontrolle, obwohl jedem das Recht auf ein Asylverfahren gewährt werden müsse.

Mit Kritik an der Bundesregierung hielt sich Amnesty diesmal zurück. Wurde die deutsche Wende in der Flüchtlingspolitik mitsamt Türkeipakt im letztjährigen Bericht noch gegeißelt, übte man sich in diesem Jahr in Mäßigung. Zwar stellten Maßnahmen wie die Begrenzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzsuchende eine merkliche Verschärfung dar.

Doch nahe ja auch der Wahlkampf, ließ Beeko durchblicken – um kurzerhand hervorzuheben, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der 2015 proklamierten Willkommenskultur nach wie vor ein „wichtiges Zeichen gesetzt“ habe. Damals sei Deutschland seiner „humanitären Verantwortung gerecht geworden“.

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