Analyse Boris Johnson verpasst die Chance, sich als Premierminister zu empfehlen

In seiner Brexit-Rede ruft Außenminister Boris Johnson die Briten zu Optimismus auf – und versteckt den Seitenhieb auf die Premierministerin gekonnt.

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London Wenn Boris Johnson eine lang angekündigte Rede hält, horchen vielen Briten auf: Wird der Außenminister seiner eigenen Premierministerin wieder in den Rücken fallen, sich als ihr Nachfolger empfehlen?

Auch sein Auftritt an diesem Mittwoch, dem in Großbritannien viel beachteten Valentinstag, wurde mit Spannung erwartet. Schließlich wollte Johnson seine Visionen zum Brexit erklären – ein Thema, auf dem seine Chefin bislang nicht brilliert und viel zu wenig Visionäres zu verkünden hatte, wie viele Briten finden.

Und Johnson erfüllte die Erwartungen – zumindest zum Teil: Eloquent wie eh und je schwärmte er von den Chancen, die sich Großbritannien außerhalb der Europäischen Union (EU) bieten, appellierte an die Brexit-Gegner, ihre Vorbehalte und Ängste abzulegen und zu erkennen, welche großartige Möglichkeiten es für ihr Land außerhalb der EU gebe.

Schließlich werde Großbritannien nach dem Brexit keineswegs eine Zugbrücke hochziehen und noch immer italienische Autos und deutschen Wein kaufen. Auch sei nicht geplant, die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit der EU aufzukündigen, beteuerte er.

Losgelöst von der EU könne man aber wieder seine eigenen Fische fangen und müsse sich weder bei Staubsaugern, Föns oder Stammzellenforschung an die Vorschriften anderer halten. Man sei auch nicht mehr verpflichtet, kolossale Geldbeträge nach Brüssel zu überweisen, sondern könne das Geld im Land ausgeben. Und – ein besonders wichtiger Punkt für Johnson und andere Brexit-Anhänger – die Gesetze, an die sich die Briten werden halten müssen, würden nicht von Institutionen in fremden Ländern gemacht, von Abgeordneten, deren Namen man nicht kenne.

Der Brexit, träumte Johnson öffentlich, werde einst in den Geschichtsbücher eingehen als der Moment, in dem die Briten den Mut hatten, gegen ein veraltetes System vorzugehen. Worte und Versprechen, die Musik in den Ohren der Brexit-Verfechter sind.

Sie werfen der Premierministerin seit langem vor, zu wenig Optimismus zu verbreiten und überlegen schon, wer sie ersetzen könnte. Johnson stellte sich nun überraschend hinter May: Sie sei das richtige Gegenmittel gegen die im Land grassierende „Brexchosie“ (also die plötzliche Abneigung gegen den selbst gewählten Brexit), erklärte er – und schaffte es damit, sich selbst als augenscheinlich treuer Gefährte darzustellen, als jemand, der keineswegs so illoyal wäre, die eigene Premierministerin zu stürzen. Ein geschickter Schachzug, der Johnson in staatsmännischem Licht erscheinen lassen soll.

Trotzdem wird die Rede nicht reichen, um sich selbst als Premierminister zu empfehlen. Zu vage blieben die Visionen und Beteuerungen. Zu sehr geriet Johnson ins Fabulieren über Bio-Karotten und Wasserrutschen-Tester, um als ernsthafter Politiker wahrgenommen zu werden. Zu clownesk seine Grimassen. Johnson wird mit seiner Rede lediglich diejenigen vom Brexit und sich selbst überzeugt haben, die es bereits zuvor waren – während die anderen zweifelnd zurückbleiben.

Es ist die erste einer ganzen Reihe von geplanten Reden ranghoher Minister, die nach dem Willen der Regierung Einheit und ein energisches Vorgehen mit Blick auf den Brexit demonstrieren sollen. Die konservative Regierung ist allerdings selbst uneins über die künftigen Beziehungen des Landes mit der EU nach dem Austritt im März 2019. Einige Minister möchten dem Binnenmarkt und der Zollunion so eng wie möglich verbunden bleiben, andere wie Johnson treten für einen klaren Schnitt ein, damit Großbritannien sich um neue Handelsabkommen bemühen kann.

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