Analyse der Waffenstillstandspläne US-Strategie in Syrien hängt von Russland ab

Die USA und Russland haben sich auf einen Waffenstillstand in Syrien geeinigt. Russland und Machthaber Assad sind nun in einer guten Ausgangsposition. Viele Details bleiben ungeklärt. Eine Analyse.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die US-Strategie in Syrien hängt stark vom guten Willen Russlands ab. Quelle: dpa

Washington US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow waren optimistisch, als sie am frühen Samstagmorgen in Genf ihre Waffenstillstandspläne für Syrien erläuterten. Möglicherweise ist ihre Einigung tatsächlich der bislang hellste Hoffnungsschimmer in dem seit mehr als fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg. Allerdings gibt es auch hier diverse Fallgruben.

So hat Moskau bessere Möglichkeiten als Washington, die Einhaltung des Abkommens zu erzwingen. Falls sich die von den USA unterstützen Rebellen oder andere Gegner von Syriens Präsident Baschar al-Assad nicht an die Waffenruhe halten, könnte Russland sie entweder selbst bombardieren oder das von Assads Truppen erledigen lassen.

Verstieße dagegen Assad gegen den Waffenstillstand, hätten die USA kein vergleichbares Druckmittel zur Hand. Sie werden kaum direkt gegen Assad vorgehen, schließlich haben sie dem Staatschef sogar seinen Chemiewaffeneinsatz von 2013 durchgehen lassen, obwohl Präsident Barack Obama das zuvor als „rote Linie“ bezeichnet hatte. Und sollte Washington Rebellen gegen Assad vorschicken, könnte Russland seinem Verbündeten zur Seite springen.

Die US-Strategie hängt also stark vom guten Willen Russlands ab. Falls Assad den Waffenstillstand bricht, müsste ihn letztlich Moskau zur Räson bringen, indem es ihm die militärische Unterstützung verweigert. Sollte Russland den Syrer aber gewähren lassen oder sogar selbst gegen die US-Schützlinge unter den Rebellen vorgehen, hätten die USA keine andere Möglichkeit, als sich vom Waffenstillstand zu verabschieden.

Um Russland zu ködern, sind die USA auf die Forderung Moskaus nach einer militärischen Zusammenarbeit in Syrien eingegangen. Diese bietet Russlands Präsident Wladimir Putin die Möglichkeit, seine Militärintervention zu beenden, ohne dass Assad in Gefahr liefe, seine mit russischer Hilfe erreichten Geländegewinne wieder zu verlieren.

Ein weiteres Problem ist die Frage, ob der Waffenstillstand auch eine Vereinbarung möglich macht, die den Konflikt in Syrien politisch beilegt. Die Rebellen haben einen Sturz Assads bislang stets für unverzichtbar erklärt. Kerry aber wiederholte die Forderung nach einer Ablösung Assads in Genf nicht. Stattdessen mahnte er die syrische Regierung zur Zusammenarbeit und zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen. Das legt nahe, dass Assad zu einem Partner im Friedensprozess mutieren könnte.

Falls die Ruhe in Syrien wiederhergestellt würde und Assad an der Macht bliebe, wäre das ein Erfolg Moskaus. Eine Pille, die Washington um des Friedens willen schlucken würde, denn die USA haben im Nahen Osten ein dringenderes Problem als eine Ablösung Assads – die Terrormiliz Islamischer Staat.

Weitere Schwierigkeiten stecken in den ungeklärten Details.


Assad bleibt eine Woche für Bombardements

Kerry betont, dass Assads Militär nach dem Waffenstillstand nur in genau definierten Gebieten operieren dürfe. Die Situation in Aleppo zeigt aber, wie schwierig das ist. Laut Vereinbarung sollen sich Rebellen und regierungstreue Kämpfer von Versorgungsrouten und aus bestimmten Vierteln zurückziehen, damit ein Wirtschafts- und Zivilleben wieder möglich wird. Doch nur Stunden nach der russisch-amerikanischen Vereinbarung kam es zu heftigen Kämpfen mit mindestens 45 Toten allein in Aleppo. Offensichtlich wollten beide Seiten schnell noch ihre Positionen verbessern, bevor der Waffenstillstand am Montag in Kraft tritt.

Assads Luftwaffe soll nach Inkrafttreten des Waffenstillstands noch eine Woche lang die Extremistengruppe Dschabhat Fatah al-Scham bombardieren dürfen, die unter dem Namen Nusra-Front bekannt wurde. Diese ist mittlerweile militärisch mit verschiedenen Rebellengruppen verflochten, die von den USA unterstützt werden. Die USA drängen ihre Schützlinge zwar, sich von der Nusra-Front zu trennen. Aber bis es soweit ist, könnte jeder Luftangriff der Assad-Truppen als Attacke auf gemäßigte Rebellen gewertet werden, wodurch der Waffenstillstand insgesamt infrage stünde.

Doch selbst wenn diese erste Woche ohne Zwischenfall vorübergegangen wäre, bestünde das Problem weiter. Assad darf nämlich auch den IS angreifen und das zeitlich unbegrenzt. Aber auch die Terrormiliz hat sich mit anderen Rebellen-Kämpfern verbunden – gegen den gemeinsamen Feind Assad.

Über allem schwebt ein latentes Misstrauen zwischen den Garantiemächten USA und Russland. Lawrow wies auch am Samstag darauf hin und kritisierte bei der Gelegenheit die westlichen Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise. Moskau und Washington versichern zwar, dass sie in Syrien zusammenarbeiten wollen. Ein schriftliches Dokument haben sie dafür aber nicht vorgelegt.

Zudem streichen beide Seiten etwas anderes als wichtigsten Punkt ihres Plans heraus. US-Regierungsbeamte erklären, Beginn des Prozesses sei die erste Woche des Waffenstillstands. Lawrow hat dagegen betont, der Waffenstillstand beginne mit einer zweitägigen Phase, die um 48 Stunden verlängert werden müsse. Zudem dürfe Assads Luftwaffe auch nach der ersten Woche in Regionen operieren, die nicht der russisch-amerikanischen Militärkooperation vorbehalten seien. Welche Gebiete das sind, sagte er nicht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%