Analyse zum Nordkorea-Konflikt Kim Jong Un zeigt sich anscheinend unerwartet kompromissbereit

Nordkoreas Führer könnte sein Atomwaffenprogramm für einen Frieden opfern – zumindest wenn man den Worten von Südkoreas Präsident Moon glauben darf.

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Nordkorea: Kim Jong Un unerwartet kompromissbereit Quelle: dpa

Tokio Südkoreas Präsident Moon Jae-in schürte am Donnerstag die Hoffnung auf ein Ende des Korea-Konflikts mit einer unerwarteten Botschaft: Nordkorea hätte keine unannehmbaren Bedingungen für Verhandlungen über eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel gestellt, erklärte er vor Medienvertretern den Stand der Vorgespräche vor dem dem innerkoreanischen Gipfel, der am 27. April stattfinden wird.

„Ich denke nicht, dass Denuklearisierung eine unterschiedliche Bedeutung für Süd- und Nordkorea hat“, widersprach er zuerst Experten, die in den kommenden Gipfeltreffen des Nordens mit Südkorea und den USA eine Verzögerungstaktik des Diktators Kim Jong Un vermuten. „Sie haben keine Bedingungen vorgelegt, die die USA nicht annehmen könnten – wie den Abzug von amerikanischen Truppen aus Südkorea“, so Moon.

Der Norden würde nur über ein Ende der feindseligen Handlungen und Sicherheitsgarantien reden.

Moons Erklärung war so klar, dass viele Nordkorea-Kommentatoren sie kaum zu glauben vermochten. Bisher galt als vielen als gesichert, dass Nordkorea niemals seine Atomwaffen als Verhandlungsmasse ansehen würde – und wenn dann nur unter der Bedingung, dass die USA ihre Truppen abzögen.

Selbst Vipin Narang, Politikprofessor am Massachusets Institute of Technology und kein Hardliner unter den Kommentatoren, nannte Moons Aussage daher „überraschend“. 

Auch Frank Aum, Nordkorea-Experte am US Institute for Peace, wunderte sich. Alles was der Norden verlange, sei machbar. Der Verzicht auf alte Forderungen sei überraschend, so der frühere Nordkorea-Berater im amerikanischen Verteidigungsministerium unter US-Präsident Barack Obama. Dies sei verdächtig.

Was Moon bewogen haben mag, schon jetzt die Erwartungen an die noch zarte Entspannung auf der koreanischen Halbinsel hochzuschrauben, ist unklar. Vielleicht wollte er die Drohung von US-Präsident Donald Trump entschärfen, das für Ende Mai oder Anfang Juni geplante erste Gipfeltreffen zwischen einem amerikanischen Präsidenten und einem Führer Nordkoreas unter Umständen noch platzen zu lassen. 

Zwar erklärte Trump diese Woche, dass das Treffen eine große Chance sein könne, ein Weltproblem, sprich Nordkoreas Atomwaffenprogramm, zu lösen. Immerhin hatte er CIA-Chef Mike Pompeo als seinen Chefunterhändler über Ostern nach Pjöngjang geschickt.

Aber auf seine gewohnt schroffe Art deutete Trump gleichzeitig an, dass er nur wenig Geduld an den Verhandlungstisch mitbringen werde. Wenn die Gespräche fruchtlos verliefen, „werde ich in aller Höflichkeit das Treffen verlassen“, sagte Trump am Rande eines Treffens mit Japans Ministerpräsident Shinzo Abe. 

Doch wenn Moon recht behält, wird es dazu nicht kommen, meint der Abrüstungsexperte Leon Sigal vom Social Science Research Council, einem gemeinnützigen amerikanischen Thinktank. Das Jahrzehnte alte Problem sei wirklich sehr schwierig, erklärt er gegenüber dem Handelsblatt. „Aber dies ist einer der wenigen hoffnungsvollen Momente.“ 

Zum einen steht Trump im Gegensatz zu seinen Vorgängern einem ihm günstig gesinnten Kongress gegenüber. Avancen demokratischer Präsidenten wurden hingegen immer wieder von Amerikas Republikanern niedergeschlagen. Zum anderen hat die Welt jetzt die Chance, festzustellen, was Sigal schon seit nahezu 25 Jahren behauptet: Dass Nordkorea sehr wohl willens ist, sein Atomprogramm aufzugeben, wenn die richtigen Anreize auf den Tisch gelegt werden.

Die Lösungsansätze sind für ihn bereits in den Vereinbarungen von 1994 und 2005 angelegt, die seiner Meinung nach auch an Fehlern des Westens scheiterten: Damals einigten sich die Parteien grundsätzlich auf einen stufenweisen, mehrjährigen Prozess, der auf eine Beendigung der Jahrzehnte alten Feindschaft, eine Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen, eine umfassende nordostasiatische Sicherheitsstruktur und ein Ende der Sanktionen hinauslief. 

Der Einsatz heute ist zwar höher, erkennt Sigal an. Schließlich verfügt Nordkorea inzwischen über ein kleines Arsenal an Atombomben und Raketen. Aber es wirkten die gleichen Strukturen wie früher. Nordkorea versuche, seine Abhängigkeit von China durch Kontakte zum Westen zu senken.

Zudem habe Führer Kim seinem Volk neben Atombomben auch wirtschaftlich einen Boom versprochen, meint Sigal. Er brauche daher außenpolitisch Ruhe, um die knappen Ressourcen vom Militär auf die zivile Wirtschaft umzulenken. 

Wenn die USA, Südkorea und Japan Nordkorea überzeugen können, dass sie ernsthaft die Feindschaft beilegen wollen, „könnten sie auf den Pfad zu einer nuklearen Abrüstung einschwenken“, meint Abrüstungsexperte Sigal. Anzeichen für eine Verhandlungsbotschaft will er in Gesprächen mit Vertretern Nordkoreas schon seit drei Jahren erkannt haben. „Der einzige Weg, herauszufinden, ob der Norden es ehrlich meint, sind Verhandlungen und die Bereitschaft, unsere Versprechen einzuhalten.“ 

Er kritisiert, dass eben nicht nur Nordkorea Versprechen gebrochen habe, sondern auch die USA. Doch so wie Sigal die Signale Nordkoreas versteht, ist Kim bereit, Atom- und Raketentests sowie die Produktion von spaltbarem Material zu stoppen. Die Verbündeten müssten allerdings auch langfristig beweisen, dass sie die Feindseligkeiten abbauen. 

Abgemilderte Manöver der US und Südkoreas wären ein wichtiger Schritt – im Gegensatz zu den verhängten Sanktionen gegen Nordkorea. Sigal ist überzeugt, dass das Land nicht von den Sanktionen an den Verhandlungstisch gezwungen wurde. Sie würden die Strafmaßnahmen noch immer umgehen. „Die Nordkoreaner sehen sie vorrangig als Zeichen von politischer Absicht“, so Sigal.

Kleine Erleichterungen hier und da könnten signalisieren, dass die USA bereit sind, ihre feindliche Haltung abzubauen. Damit könnte ein langwieriger und sicherlich harter Verhandlungsprozess beginnen. 

Eine Erleichterung des Drucks auf das Regime ist allerdings extrem umstritten. Trump bekräftigte nach seinen Gesprächen mit Japans Ministerpräsident Shinzo Abe noch einmal, dass er seine Politik des „maximalen Drucks“ vorerst fortführen werde.

Nun werden die konkreten Verhandlungen zeigen müssen, wer recht behält: Sigal oder die Skeptiker, die noch immer vermuten, dass Nordkorea seine Forderungen nach einem amerikanischen Truppenabzug hinter Floskeln wie „Einstellung feindseliger Handlungen“ verbergen. 

Denn der Einsatz ist dabei extrem hoch für Korea: Ohne einen innerkoreanischen Erfolg sinkt die Chance auf ein Treffen zwischen Kim und Trump gen null. Und damit würde die Wahrscheinlichkeit eines Krieges wieder rasch steigen.

Denn Hardliner wie Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton sind überzeugt, dass Kim nicht abschreckbar sei und daher wenn notwendig mit Waffengewalt entwaffnet oder besser noch gänzlich gestürzt werden sollte.

Die brisante Gemengelage in Washington kennt natürlich auch Präsident Moon. Man könne nur von einem erfolgreichen Dialog sprechen, wenn auch der Gipfel zwischen Nordkorea und den USA erfolgreich war, sagte er am Donnerstag. Ein Scheitern will auch Südkoreas Präsident nicht ausschließen. „Wir benötigen mutige Vorstellungskraft und kreative Lösungen, um beide Gipfel zu erfolgen zu machen und die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden.“ 

Doch Moon wird nichts unversucht lassen, wenigstens sein Gipfeltreffen zu einem glänzenden Beispiel gelungener Diplomatie zu stilisieren. Die eigentlichen Ergebnisse werden Nord- und Südkorea daher schon vor dem Gipfel aushandeln. Seinen historischen Händedruck mit Kim Jong Un will Moon stattdessen in ein globales Medienspektakel verwandeln.

Die Bilder vom Treffen soll live im Fernsehen und Internet verbreitet werden. Die Choreographie werden die beiden Staaten dann kommende Woche mehrfach in getrennten Generalproben einüben. Kein Fehltritt soll den Gipfel trüben. 

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