Lange Zeit herrschte in China Goldgräberstimmung. Ob bekannter Autobauer oder kleiner Mittelständler: Jeder Manager wollte dabei sein. Und auch wenn die Chinesen viele Versprechen nicht hielten, regnete es vielerorts hohe Gewinne. Der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer fasste das Mantra vieler Wirtschaftsführer so zusammen: „Das Risiko, nicht in China zu sein, ist größer als das Risiko, in China zu sein.“
Ob das auch heute noch gilt, ist fraglich. Mit dem angekündigten Rückzug von Präsident Donald Trump aus dem Welthandel scheint China zwar die neue Nummer 1 im Bundeskanzleramt zu sein. Und China nutzt diese Chance: Es betont die enge Freundschaft zwischen Berlin und Peking, gelobt Besserung in Sachen Marktliberalisierung und Protektionismus und macht scheinbar großzügig Geschenke. So zumindest verstehen viele Unternehmer das Versprechen von Xi Jinping an Merkel, die angekündigte E-Auto-Quote zu verschieben, die bereits ab kommendem Jahr deutschen Autohersteller vorgeschrieben hätte, wie viele E-Autos sie produzieren müssen.
Ein verlässlicher Partner ist China aber nie geworden, sagt Hanna Müller. "Die Probleme sind unübersehbar“, so die Chefin des Büros des Bundesverbandes der Deutschen Industrie in Peking, die sich täglich mit den Sorgen der deutschen Industrie im Land beschäftigt. Seit Jahren versprechen die Chinesen den Markt zu liberalisieren, passiert ist das nie, so die Expertin. Im Gegenteil: In China gibt es immer noch Listen für Branchen, in die ausländische Unternehmen nicht investieren dürfen.
Die chinesische Regierung behält sich dort vor, die Sahnestücke unter den eigenen Firmen zu verteilen. Gleichzeitig gehen die Chinesen aber im Ausland immer häufiger auf Einkaufstour. Ob Kuka, die Wassertechnologie-Sparte von Bilfinger oder Osram: Sie alle haben seit vergangenem Jahr ein chinesisches Klingelschild an der Tür. Laut einer Studie des Merics Instituts in Berlin investierten Chinesen 2016 rund 35 Milliarden Euro in der EU. 77 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Elf Milliarden davon flossen allein nach Deutschland.
Das Land hat einen besonders guten Ruf in China, so dass vor allem deutsche Schlüsselindustrien im Fokus der chinesischen Shoppingtouren stehen, darunter besonders der Maschinenbau und die Informationstechnologie. „Deutschland braucht eine klare Strategie, wie es mit den Übernahmen umgehen will“, fordert deshalb Mirjam Meissner, Wirtschaftsexpertin am Merics Institut in Berlin. Deutsche Unternehmen könnten durchaus von Investitionen aus China profitieren. „Gleichzeitig muss die Bundesregierung aber sicherstellen, dass kein Ausverkauf von wichtigen Schlüsseltechnologien stattfindet“, so die Expertin.
Die Kauflust der Chinesen kommt nicht überraschend. China steht unter Druck. Die Lohnkosten steigen rasant, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sinkt. Um weiter zu wachsen, pumpt Peking Geld in Infrastrukturprojekte. Und schraubt währenddessen an seiner Industriepolitik.
Worum streiten die USA und China?
Die USA und China sind Rivalen. Die beiden größten Volkswirtschaften sind aber auch wirtschaftlich voneinander abhängig. Zudem kann kaum ein Problem in der Welt ohne die Kooperation der beiden Vetomächte im Weltsicherheitsrat gelöst werden.
Quelle: dpa
Stand: April 2017
US-Präsident Donald Trump kritisiert wie die Europäer mangelnden Marktzugang und Protektionismus in China. China zerstöre Industrien und „stehle“ Jobs in den USA.
Peking argumentiert, das Handelsdefizit der USA von 347 Milliarden US-Dollar (2016) sei Ergebnis der weltweiten industriellen Arbeitsteilung. Bei Dienstleistungen hätten die USA einen Überschuss.
Trump beschuldigt China, seine Währung zu manipulieren, um seine Exporte billiger zu machen.
Es stimmt zwar, dass China trotz aller Liberalisierung den Kurs des chinesischen Yuan weiter lenkt. Doch Peking versucht genau das Gegenteil - nämlich den Kurs nach oben zu treiben, um die Kapitalflucht in den Griff zu bekommen.
Die USA wollen, dass China mehr Druck auf Nordkorea ausübt, sein Atomwaffenprogramm zu beenden.
Peking trägt zwar Sanktionen mit, aber argumentiert, dass sein Einfluss auf Pjöngjang begrenzt sei. Es fürchtet einen Kollaps des Regimes und eine koreanische Wiedervereinigung mit US-Truppen an seiner Grenze.
Die USA haben mit der Stationierung eines Raketenabwehrsystems (THAAD) in Südkorea begonnen. Es zielt auf die Bedrohung durch Nordkorea.
Peking ist empört, weil das weitreichende Frühwarnsystem auch Chinas Raketenpotenzial erfassen und seine Strategie beeinträchtigen könnte, Militärschläge gegen US-Streitkräfte im Pazifik auszuführen.
China ist überzeugt, dass die USA die aufstrebende Macht kleinhalten wollen.
Von dem „Schwenk“ seines Vorgängers in die asiatisch-pazifische Region spricht Trump zwar nicht. Er will aber das US-Militär massiv ausbauen, um China einzudämmen, wo es im Pazifischen Raum und im Südchinesischen Meer „zu weit geht“.
China beansprucht große Seegebiete mit bedeutenden Fischgründen, Rohstoffvorkommen und Schifffahrtsstraßen. Es baut Militäranlagen auf Inseln und Riffen. Der internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag wies im Juli die Gebietsansprüche zurück. China ignoriert das Urteil. US-Marineschiffe zeigen Flagge.
Peking betrachtet Taiwan als untrennbaren Teil der Volksrepublik und droht mit einer gewaltsamen Wiedervereinigung.
Die USA haben sich der Verteidigungsfähigkeit der heute demokratischen Insel verpflichtet und liefern Waffen. Nach ersten Irritationen über seinen Kurs hat Trump die chinesische „Ein-China-Doktrin“ akzeptiert.
Kern der Reform: Die Made in China 2025 Initiative. Und die hat es in sich. Erster Schritt: Modernisierung der Industrie mithilfe ausländischer Technologie. Dafür investieren chinesische Firmen kräftig in deutsche Maschinenbauer und kaufen deutsche Roboter. 300 Milliarden stellt die chinesische Regierung dafür bereit. Zweiter Schritt: China first. Bis 2025 sollen 70 Prozent aller „wichtigen Werkstoffe und Kernkomponenten“ in China produziert werden. E-Autos sollen mit einem Marktanteil von 80 Prozent von chinesischen Autobauern gebaut werden, und das sind nur zwei Beispiele.
Kurzfristig ist die Kampagne also eine cash cow für deutsche Unternehmen. Langfristig soll es sie aber aus China vertreiben. Der Chef der Europäischen Handelskammer in China Jörg Wuttke wird dementsprechend deutlich: Der Plan werfe die Frage auf, „ob die Kampagne nicht lediglich auf eine Einkaufsliste von Unternehmen hinausläuft, die Technologien besitzen, die China noch nicht selbst entwickeln kann.“
Abhängigkeit zu China wird größer
Per se ist niemand gegen gute Beziehungen mit China. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. 170 Milliarden Euro flossen zwischen den Wirtschaftsmächten im vergangenen Jahr. Mittlerweile ist Deutschland aber auch in eine Abhängigkeit zum chinesischen Partner geraten. Allein VW verkauft heute mehr als jedes zweite Auto in China. Das sieht die Expertin kritisch: „Die deutsche Automobilindustrie ist absolut abhängig von China und das wird durch die unklare Situation in den USA noch weiter verstärkt“, sagt sie. Verschlechtert sich das Geschäft in China, werden die Autobauer in massive Schwierigkeiten geraten, prophezeit die Expertin. Das hätte dementsprechend schwere gesamtwirtschaftliche Folgen für Deutschland.
Wie schnell das auf dem chinesischen Markt passieren kann, zeigt sich aktuell an Südkorea. Das Land hat China durch die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems THAAD verärgert. Deshalb hat Peking in den vergangenen Wochen eine regelrechte Hetzjagd auf das Nachbarland eröffnet.
Wie bereits seit einigen Jahren in der chinesischen Außenpolitik üblich, verhängt China keine Sanktionen, die gegen WHO-Regulierungen verstoßen. Es setzt auf eine Mischung aus Handelshindernissen, Diskriminierung und Boykottaufrufen, die zu einem großen Teil über die Medien gesteuert werden und sich in der nationalistisch aufgeheizten Gesellschaft hochschaukeln. In südkoreanischen Geschäften kommt es seitdem zu Randale und Übergriffen, die gefilmt und ins Netz gestellt werden. Alle Geschäfte des südkoreanischen Mischkonzerns Lotte wurden aufgrund von angeblichen Sicherheitsproblemen geschlossen. Das Unternehmen hat 8,8 Milliarden Dollar in China investiert und gerät nun massiv unter Druck. Meissner glaubt, dass sich solche Kampagnen auch gegen deutsche Unternehmen richten könnten, wenn Deutschland Peking auf die Füße tritt. Auf solche Krisensituation muss sich die deutsche Industrie sowie die Bundesregierung deshalb einstellen, sagt die Expertin. „Es braucht Krisenpläne in den Schubladen, die auf solche Ereignisse in China reagieren können“, sagt sie.
Dazu kommt, dass China nicht nur viele Bereiche der Wirtschaft nie liberalisiert hat. Auch die Gängelungen im Alltag machen deutschen Unternehmen zu schaffen: Viele ausländische Unternehmen berichten, dass sie zwar bei öffentlichen Ausschreibungen antreten dürfen. Chancen haben wir aber nicht, berichtet ein Mittelständler aus der Nähe von Shanghai. Die meisten Verträge werden an chinesischen Firmen vergeben, die Kontakte in die Regierung haben. Solche Entscheidungen fallen dann beim Reiswein trinken in Hinterzimmern anstatt in einem fairen Verfahren.
In anderen Branchen wird sogar berichtet, dass ein Technologietransfer die Voraussetzung für die Vergabe von Lizenzen ist. Dies werde dann häufig auf „freiwilliger Basis“ durchgeführt, damit die Betroffenen später nicht gegen das Verstoßen von WTO-Regeln klagen können.
Ähnliche Spielchen drohen auch ausländischen Techunternehmen, die im Land Geschäfte machen wollen. Angeblich um zu beweisen, dass das Unternehmen kein Risiko für die nationale Sicherheit darstellt, mussten bereits IMB, Apple und Microsoft in die Herzen ihrer Unternehmen blicken lassen - und ihre Quellcodes offenlegen.
Und in diesem Bereich steht auch schon der nächste Super-GAU an: Im Sommer kommt ein neues Gesetz, das Unternehmen zwingen wird, alle in China produzierten Daten auch im Land zu speichern. Und den Chinesen dazu im Zweifel Zugang zu geben. Der ehemalige IBM-Vizechef Steve Mills erklärte 2015, als er die chinesische Regierung vor der Tür hatte, dass man eben die Unterstützung der Regierung brauche. Sonst könnte man nicht auf dem chinesischen Markt aktiv sein.
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