Der schwelende Konflikt zwischen China und Taiwan besorgt nicht nur Politiker in Europa und Amerika – auch deutsche Mittelständler sind offenbar zunehmend in Sorge vor einer möglichen militärischen Eskalation.
Das zeigt eine Studie der auf Lieferketten spezialisierten Beratung Kloepfel Consulting. Demnach rechnen im Fall einer militärischen Auseinandersetzung rund zwei Drittel der befragten Unternehmen mit „starken bis sehr starken Beeinträchtigungen“ bei der Versorgung mit elektronischen Komponenten. Nur ein knappes Fünftel der Befragten glaubt nicht, dass ihr eigenes Unternehmen von Engpässen betroffen wäre. Die Beratung hatte für die Studie gut 100 Unternehmen mit bis zu einer halben Milliarde Jahresumsatz aus Maschinen- und Anlagenbau, Elektronik-, Automobil- und Konsumgüterindustrie sowie Handel befragt.
Die Umfrage belegt auch die große Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von importierten Elektronikbauteilen, insbesondere aus China und Taiwan. Allein der Inselstaat steht für mehr als 20 Prozent der weltweiten Produktion von Halbleitern.
Rund zwei Drittel der Firmen bezeichnen IT-Komponenten wie Halbleiter, Sensoren und andere Mikrochips als „wichtig bis sehr wichtig für ihr Unternehmen“. Erneute Störungen in der Versorgung, unter denen Mittelständler und Konzerne schon während der Covidpandemie massiv gelitten hatten, könnten daher entsprechend schwerwiegende Folgen für den Geschäftsbetrieb haben.
Das gilt insbesondere bei einer weiteren Eskalation im Taiwankonflikt. Denn bei knapp zwei Dritteln der befragten Mittelständler stammen wichtige Lieferanten für Elektronikbauteile aus der Volksrepublik, rund 44 Prozent der Befragten beziehen daneben oder ausschließlich Komponenten aus Taiwan.
Worum geht es bei dem Streit um Taiwan?
Der kommunistische Machtanspruch geht auf die Gründungsgeschichte der Volksrepublik China zurück. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten zog die nationalchinesische Kuomintang-Regierung mit ihren Truppen nach Taiwan, während Mao Tsetung 1949 in Peking die Volksrepublik ausrief. Der heutige Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht eine „Vereinigung“ mit Taiwan als „historische Mission“.
Stand: September 2023
Die Insel zwischen Japan und den Philippinen hat große strategische Bedeutung. US-General Douglas MacArthur bezeichnete Taiwan einst als „unsinkbaren Flugzeugträger“ der USA. Eine Eroberung durch China wäre ein wichtiger Baustein in dessen Großmacht-Ambitionen, weil es das Tor zum Pazifik öffnen würde.
China zwingt jedes Land, das diplomatische Beziehungen mit Peking haben will, keine offiziellen Kontakte mit Taiwan zu unterhalten. Es ist vom „Ein-China-Grundsatz“ die Rede. Danach ist Peking die einzige legitime Vertretung Chinas. Auf chinesischen Druck wurde Taiwan aus den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen ausgeschlossen. Nur wenige kleinere Länder unterhalten noch diplomatische Beziehungen. Deutschland oder die USA betreiben nur eine inoffizielle Vertretung in Taipeh.
Die Taiwaner verstehen sich mehrheitlich längst als unabhängig und wollen zumindest den Status quo wahren. Auch wollen sie als Demokratie international anerkannt werden und sich keinem diktatorischen System wie in Festlandchina unterwerfen. Die frühere Kuomintang-Regierung hatte einst selber einen Vertretungsanspruch für ganz China, was sich bis heute im offiziellen Namen „Republik China“ widerspiegelt. Dieser Anspruch wurde 1994 aufgegeben. Damals wandelte sich Taiwan von einer Diktatur zu einer lebendigen Demokratie. Jede Veränderung des Status quo müsste aus Sicht der Regierung heute demokratisch von den 23 Millionen Taiwanern entschieden werden.
Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und größere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine - auch auf Deutschland. Taiwan ist Nummer 22 der großen Volkswirtschaften, industriell weit entwickelt und stark mit der Weltwirtschaft verflochten. Ein Großteil der ohnehin knappen Halbleiter stammen von dortigen Unternehmen. Wegen der großen Abhängigkeit vom chinesischen Markt wären deutsche Unternehmen massiv betroffen, wenn ähnlich wie gegen Russland wirtschaftliche Sanktionen gegen China verhängt werden sollten.
Stand: September 2023
In aller Regel bezieht zwar auch der deutsche Mittelstand inzwischen Bauteile aus mehreren Quellen. Ein Drittel der Befragten kaufen Elektronik auch in den USA ein, 29 Prozent auch in Japan, 23 Prozent auch in Südkorea. Rund zwei Drittel der Mittelständler hat laut der Umfrage auch Elektroniklieferanten in Europa. Doch die Berater warnen, dass die Bezugsquelle Europa nur eingeschränkt Schutz vor möglichen Lieferproblemen bietet, die nach einem chinesischen Angriff auf oder Einmarsch in Taiwan durch den Ausfall von Fabriken oder als Folge von Sanktionen drohen könnten.
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Denn auch europäische Hersteller elektronischer Steuerungen oder Komponenten bezögen ihre Vorprodukte vielfach aus China oder Taiwan, so die Autoren der Umfrage. Daher sei auch ein Ausfall europäischer Zulieferer als eine Art Kettenreaktion nach einer Verschärfung des Taiwankonfliktes denkbar.
Auf die Pläne der EU, eine eigene Chip-Fertigung in Europa mithilfe von Milliardensubventionen aufzubauen, vertrauen die Mittelständler mehrheitlich nicht. Ein Fünftel der Befragten ist klar skeptisch, ein Drittel zumindest nicht überzeugt oder unentschlossen. Nur rund ein Viertel der befragten Unternehmen glaubt, dass das EU-Chip-Gesetz tatsächlich eine größere Autarkie Europas bei der Versorgung mit Mikroelektronik erreichen kann.
Statt sich allein auf staatliche Maßnahmen zur Stärkung des IT-Standorts Europa zu verlassen, sollten daher nicht bloß große Konzerne, sondern auch Mittelständler verstärkt auf Kooperation mit innovativen Partnern in der Region setzen, rät deshalb Duran Sarikaya, der Geschäftsführer von Kloepfel Consulting: „Unternehmen sollten auch bei elektronischen Komponenten in Technologiepartnerschaften mit Forschungsinstituten und Start-ups investieren, um ihre Innovationsfähigkeit zu stärken und innovative Produkte auf den Markt bringen zu können.“
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