Anschläge von Brüssel nutzen Trump Auf der Terrorwelle ins weiße Haus

Werden die Terroristen des Islamischen Staats Donald Trump zur Präsidentschaft führen? Die Chancen sind da. Eine neue Wahlkampfdynamik bringt Hillary Clinton in die Defensive. Trumps Trumpf: pure Angst.

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Radikal und laut. Quelle: AP

San Francisco Der Termin war lange geplant, aber das Thema dann doch hastig überarbeitet. Am Mittwoch kannte Hillary Clinton bei ihrem Auftritt an der kalifornischen Stanford-Universität nur ein Thema: Terror. Sie war in der Defensive. Die republikanischen Gegner hatten die politische Lufthoheit übernommen. Präsident Barack Obama besuchte am Dienstag in Kuba ein Baseballspiel, während Brüssel im Chaos versank. Ganz 51 Sekunden hatte er in einer Ansprache dem Thema gewidmet, bevor er mit Sonnenbrille und guter Laune zum Sportnachmittag aufbrach, kritisierten nicht nur konservative Kommentatoren.

Clinton musste eine Gratwanderung wagen. Es war der Versuch, gleichzeitig für internationale Allianzen, Offenheit und Toleranz zu werben, während sie mehr Härte im Kampf gegen den Terror versprach. Vorschläge der Gegenseite, die Zusammenarbeit mit der Nato einzuschränken, kommentierte sie mit der Bemerkung, dass dann im Kreml in Moskau „die Sektkorken knallen“ würden. Sie hofft darauf, dass ihre langjährige außenpolitische Erfahrung die Wähler in Krisenzeiten überzeugt.

Argumente zählen nicht mehr

Doch viele Amerikaner hören nicht mehr zu. Nach einer CNN/ORC-Umfrage, vom 20. März, kurz vor Brüssel, zeigten sich zwar noch 56 Prozent der Befragten sicher, Clinton werde letztlich einen Zweikampf mit dem republikanischen Außenseiter Donald Trump gewinnen. Immerhin 42 Prozent halten den Einzug des Immobilienmilliardärs als Präsident in das Weiße Haus für möglich, den vor acht Monaten gestandene Politiker noch für einen „Witz“ gehalten hatten. Selbst der Fraktionsführer der demokratischen Minderheit im Kongress, Harry Reid, warnt übermütige Parteifreunde mittlerweile eindringlich: „Man darf Trump niemals unterschätzen. Niemals“. Im Interview mit Politico.com fügte er hinzu: „Ich habe ihn unterschätzt, andere haben es. Der Mann ist kaum berechenbar. Das ist einer der unorthodoxesten Kandidaten in der modernen Geschichte.“

Die Zeiten, als Demokraten hofften, Clinton werde gegen Trump antreten, weil sie dann garantiert leicht gewönne, sind vorbei. Donald Trump hatte am Dienstag erst unerwartet souverän die Nominierung in Arizona hauptsächlich mit einer Anti-Immigrationspolitik und dem Versprechen, Muslime aus den USA zu verbannen, gewonnen. Denn seit der Terrornacht in Paris Ende 2015 ist alles anders. Die politischen Themen der Vergangenheit sind auf einmal Makulatur.

Wirtschaftsfragen, Gleichberechtigung, Abtreibung, Obamacare, Einkommensungleichheit: alles mediale Randaktivitäten. Für Kandidaten wie Jeb Bush oder Marco Rubio kam die Erkenntnis zu spät. Sie führten den falschen Wahlkampf, dachten Argumente zählen. Doch „Amerika ist in der Mitte eines politischen Tsunami“, wie Rubio sichtlich emotional bei seiner Abschiedsrede in Miami konstatierte. Und: „Wir hätten es sehen müssen. Die Menschen sind unzufrieden und frustriert.“ An diesem Abend verlor er in Florida und gab den Wahlkampf auf. Anderen fehlen passende Antworten, so wie John Kasich oder Bernie Sanders bei den Demokraten. Ihm werden in Umfragen wenig Kompetenz in der Terrorbekämpfung zugebilligt.

„Und dann kam Paris“

Andere hingegen hatten sofort verstanden. Trump, das politische Raubein mit dem feinen Gespür für die Massen, sieht mittlerweile das furchterregende Massaker in der französischen Hauptstadt als Wendepunkt seiner Wahlkampagne: „Und dann kam Paris“, so Trump in seiner Ansprache nach dem Sieg in Florida vergangene Woche, und „der Wahlkampf bekam für mich eine ganz neue Wendung“.

Urplötzlich seien die Umfragewerte in die Höhe geschnellt. Er ahnte, dass er an etwas ganz Großem dran war. Das zeigte sich am Ex-Konkurrenten Ben Carson. Vor den November-Anschlägen in Paris lag er noch gut im Rennen, weit moderater und zurückhaltender in Sicherheitsfragen als Trump. Aber nach dem folgenden Anschlag im kalifornischen San Bernardino gab es nur noch einen Favoriten: Trump.


Angst bringt Trump nach vorn

Und der lässt nicht locker, denn jetzt war klar, was ihn nach vorn bringt: pure Angst. Angst vor allem Fremden, vor dem Verlust der Habe, der Heimat, vor Terror, Mord, Drogen und Vergewaltigung. Nach den jüngsten islamistischen Massenmorden in Brüssel schraubte er seine Rhetorik weiter in die Höhe. Schon vorher hatte er angeregt, die Familien von Attentätern gleich mit auszurotten. Jetzt wettert er über die verfehlte Einwanderungspolitik in Europa, speziell in Deutschland, und den unverantwortlichen Kurs von Angela Merkel, unfähige Sicherheitsbehörden und die Vorzüge der Foltermethode „Waterboarding“.

Die Wirkung seines Erfolgslaufs auf andere Bewerber blieb nicht aus. Der republikanische Herausforderer Ted Cruz brachte nach Brüssel die Idee ein, muslimische Stadtteile in den USA systematisch von der Polizei überwachen und „absichern“ zu lassen. Terrorstaaten müsse man einfach „in die Steinzeit zurückbomben“. Während sich in den Medien Empörung darüber niederschlug, war es auf den Straßen der USA eher ruhig. Die TV-Sender waren voll von Bildern schwerbewaffneter Soldaten, die am amerikanischen Flughäfen aufzogen. Immer dieselben grausigen Videoschnipseln des Terrormorgens am Flughafen von Brüssel liefen in einer Endlosschleife über die Bildschirme, unterlegt mit Donald Trumps Stimme am Telefon unzähliger Nachrichtenshows. Das alles sei nur ein Beweis mehr dafür, wie richtig seine Ideen seien, Muslime auszusperren und die US-Grenzen hermetisch abzuriegeln.

Die Angst im politischen Washington vor erneuten schweren Terrorangriffen in Europa geht um. Das könnte die Sehnsucht hysterischer US-Wähler nach einer starken Hand übermächtig werden lassen. Robert Shrum, Berater von John Kerry als der 2004 versuchte, George W. Bush als Präsident abzulösen, erinnerte sich bei Politico.com an eine Begebenheit in den Schlusstagen der Wahl. Eine neue Audio-Botschaft von Osama Bin Laden beherrschte die öffentliche Diskussion und half letztlich dem sicherheitspolitischen „Hardliner“ Bush zum Gewinn.

„Economist“: Wahlsieg Trumps über Clinton „wenig wahrscheinlich“

Das muss sich natürlich nicht wiederholen. Wissenschaftler wie Jennifer Merolla oder Elizabeth Zechmeister warnten jedoch schon 2009 in ihrem Buch „Democracy at Risk: How Terrorist Threats Affect the Public“ vor potenziellen Auswirkungen andauernder Terrordiskussionen. Verängstigte Wähler, haben die US-Professorinnen festgestellt, tendierten zu einer „starken Führerschaft“. Manche Politiker erschienen zudem charismatischer als sie eigentlich seien. Gefährlicher noch: Wären diese Politiker dann erst einmal gewählt, gäbe es eine Tendenz, sie mit zusätzlichen Machtbefugnissen auszustatten. Trump selbst hat schon angekündigt: „Ich respektiere die Gesetze. Aber ich werde versuchen, sie zu erweitern.“

Das klingt wie eine düstere Vorahnung auf die Präsidentschaftswahl 2016 im November und die Zeit danach.  Die Analyseabteilung des „Economist“ jedenfalls sieht einen Wahlsieg von Trump im Showdown mit Hillary Clinton derzeit als „wenig wahrscheinlich“. Sollte dieser Fall eintreten, dann hätte er aber „großer Wirkung“ und „hohes Risikopotenzial“. Es könnte einen weltweiten Handelskrieg und mögliche Landkriege zum Beispiel in Syrien geben, um dort an die Ölvorräte zu gelangen, heißt es. Ausdrücklich offen halten die Analysten ihre Prognose zum Wahlausgang, falls es vor der Wahl einen „Terroranschlag auf amerikanischem Boden geben sollte“.

Dann könnten Hysterie und Islamophobie überhandnehmen und praktisch alles scheint möglich. IS sei Dank.

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