Anschlag in London Attentäter war den Sicherheitsbehörden bekannt

Der mutmaßliche islamistische Attentäter von London ist nach Angaben der Polizei ein 52-jähriger Mann, der in Großbritannien geboren wurde. Der Mann war bereits wegen verschiedener Straftaten verurteilt worden.

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Am Donnerstag war der Londoner Regierungsbezirk rund um das Parlament noch abgesperrt. Quelle: AFP

London/Berlin Der Attentäter von London war den britischen Sicherheitsbehörden als mutmaßlicher islamistischer Gewalttäter bekannt. "Ich kann bestätigen, dass der Mann in Großbritannien geboren wurde und vor einigen Jahren der (Geheimdienst) MI5 gegen ihn aus Sorge vor gewalttätigem Extremismus ermittelte", sagte Premierministerin Theresa May am Donnerstag im Parlament. Die Polizei identifizierte den Täter als Khalid Masood. Der 52-Jährige war demnach wegen verschiedener Straftaten, aber nicht wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden.

Acht Menschen wurden in sechs verschiedenen Orten in London und Birmingham im Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen. Sieben der 40 Verletzten - darunter eine Deutsche - befanden sich noch im kritischen Zustand. Bei der Todesfahrt des Täters über die Westminster Bridge waren zwei Menschen getötet worden. Anschließend erstach der Mann auf dem Parlamentsgelände einen unbewaffneten Polizisten, bevor er erschossen wurde.

Die Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) nahm für sich in Anspruch, den Anschlag verübt zu haben. Dies meldete die ihre nahestehende Nachrichtenagentur Amaq. Allerdings haben die Islamisten in der Vergangenheit die Urheberschaft von Attentaten reklamiert, bei denen die Ermittler zu anderen Ergebnissen kamen. May sah den Mann nicht als Teil eines Netzwerks: "Er war eine Randfigur", sagte sie. Er habe nicht zur derzeit vom Geheimdienst observierten Szene gehört, er sei ein Einzeltäter. Nach Polizeiangaben hatte Masood ein Strafregister, das von Verurteilungen wegen Raubüberfällen, Körperverletzungen, Waffenbesitz bis zu Störung der öffentlichen Ordnung reichte. Zuletzt soll demnach der in Kent geborene Mann in den West Midlands gewohnt haben.

Über die Hintergründe der Festnahmen im Zusammenhang mit den Ermittlungen wurde zunächst nichts bekannt. May erklärte lediglich, der Attentäter sei durch eine "verzerrte islamistische Ideologie" radikalisiert worden. Das Londoner Attentat wies einige Parallelen zum Anschlag auf einem Berliner Weihnachtsmarkt im vergangenen Dezember aus. Auch in der deutschen Hauptstadt war ein Fahrzeug als Waffe eingesetzt worden. Auch der Attentäter Anis Amri war ein "einsamer Wolf", der in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten war, die ihn aber aus den Augen verloren.

"Diese Art von Angriffen, diese Einsamer-Wolf-Anschläge, bei denen Dinge des täglichen Gebrauchs eingesetzt werden - ein Auto, ein Messer - sind sehr viel schwieriger zu verhindern", sagte Verteidigungsminister Michael Fallon in der BBC. Trotzdem sei es in den vergangenen Jahren gelungen, viele dieser Angriffe zu verhindern. Im vergangenen Jahr allein über ein Dutzend. Für Aufregung sorgte am Donnerstag ein Vorfall im belgischen Antwerpen. Dort steuerte ein Mann einen Wagen mit hoher Geschwindigkeit in eine Fußgängerzone. Die Polizei nahm den Fahrer wenig später fest.

May bekam Beileidsbekundungen und Solidaritätsversprechen von führenden Staats- und Regierungschefs. Sie telefonierte unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem US-Präsidenten Donald Trump, Frankreichs Präsidenten Francois Hollande und dem rumänischen Ministerpräsidenten Sorin Grindeanu. "Meine Gedanken, Gebete und tiefste Anteilnahme sind bei all denen, die von der gestrigen furchtbaren Gewalt betroffen waren", erklärte Königin Elizabeth.

Am Donnerstag war der Londoner Regierungsbezirk rund um das Parlament noch abgesperrt. Ermittler in hellblauer Schutzkleidung suchten auf Knien den Ort ab, an dem der Angreifer erschossen wurde. Im Parlament legten die Abgeordneten eine Schweigeminute ein, um der Opfer zu gedenken. Vor dem Polizeihauptquartier New Scotland Yard verharrten Passanten um 09.33 Uhr Greenwich Mean Time in Stille, um den getöteten Polizisten zu ehren, der die Dienst-Nummer 933 trug.

Zu den Verletzten zählen zwölf Briten, drei französische Jugendliche, zwei Rumänen, vier Südkoreaner, zwei Griechen und je ein Bürger aus Deutschland, Polen, China und den USA. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault reiste nach London, um eine Solidaritätsadresse zu überbringen und verletzte Landsleute zu besuchen.

Gegner des Zuzugs von Ausländern nach Großbritannien stellten rasch Verbindungen zwischen der Immigration und dem Angriff her, obwohl der Attentäter in Großbritannien geboren wurde. Die Gruppe Leave.EU warf Politikern vor, Terror möglich gemacht zu haben, weil die Grenzen nicht ausreichend geschützt würden. In Frankreich erklärte die Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, der Vorfall zeige, wie wichtig der Schutz der Grenzen sei.

Die Sicherheitsbehörden in Deutschland müssen sich nach den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere auf verschiedene Varianten von Terroranschlägen vorbereiten. "Es gibt nicht die eine Anschlagsform", sagte de Maiziere nach dem Anschlag von London den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Neben den von terroristischen Organisationen gesteuerten Taten bestehe die Gefahr, dass Sympathisanten und Anhänger einer islamistischen Gruppierung auch ohne direkte Anbindung oder Auftrag eigenständig Taten planten oder begingen, sagte der CDU-Politiker in dem am Donnerstag veröffentlichten Interview.

"Das bedeutet aber nicht, dass wir Anschläge wie in Paris und Brüssel, wo mehrere gut ausgerüstete und mobile Zellen zeitgleich an verschiedenen Tatorten mit Schusswaffen und Sprengstoffgürteln zum Einsatz kamen, ausschließen können", fügte er hinzu. "Auch deshalb haben wir vor kurzem mit der Bundeswehr zusammen eine Übung gemacht."

De Maizière geht von einer anhaltend hohen terroristischen Gefährdungslage in Deutschland "bis zur Bundestagswahl und danach" aus. "Wichtig ist, dass wir uns in unseren Werten und unserer Lebensart nicht beirren lassen." Deutschland werde sich jedenfalls irgendeiner Terrorlogik nicht beugen.

De Maiziere unterstrich, etablierte Abläufe und Verfahrensweisen müssten immer wieder kritisch hinterfragt und gegebenenfalls verbessert werden. Das Bundeskriminalamt sei gerade dabei, sein System zur Bewertung der Gefährlichkeit von Personen in Abstimmung mit den Bundesländern zu verbessern. "Dabei werden Personen nach festgelegten Kriterien einer dreistufigen Risikoskala zugeordnet, unterteilt nach hohem, auffälligem und moderatem Risiko." Die Sicherheitsbehörden könnten so besser priorisieren und noch gezielter die richtigen Maßnahmen ergreifen.

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