Antrittsbesuch im Schatten der Ukraine-Krise „Wir werden dem ein Ende setzen“

Bei seinem Besuch in den USA demonstrierten Olaf Scholz und Joe Biden ihre Verbundenheit – trotz Kritik am deutschen Vorgehen gegenüber Russland und der Ukraine. Quelle: AP

Beim Besuch in Washington vermeidet Bundeskanzler Olaf Scholz eine Festlegung im Streit um Nord Stream 2. Das Ultimatum im Ukraine-Konflikt stellt Joe Biden. Was heißt das für die deutsch-amerikanische Partnerschaft?

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Kurz vor Ende der Pressekonferenz im East Room des Weißen Hauses geht Joe Biden plötzlich dazwischen. Ob er nicht verloren gegangenes Vertrauen in den USA zurückgewinnen könne, indem er offen über Nord Stream 2 spreche, will ein mitgereister Journalist von Bundeskanzler Olaf Scholz wissen. Doch der US-Präsident lässt ihn zunächst nicht antworten. „Es gibt keinen Grund, Vertrauen zurückzugewinnen“, so Biden. Deutschland sei einer der wichtigsten US-Verbündeten auf der Welt. „Es gibt keinen Zweifel an Deutschlands Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten“, betont er. „Gar keinen.“

Es ist ein Moment, in dem ein sanftes Lächeln die sonst so kontrollierten Mundwinkel von Olaf Scholz umspielt. Überhaupt scheint der Bundeskanzler seinen Antrittsbesuch im Weißen Haus zu genießen. Die Beziehung mit Biden, sie scheint intakt. Schon zu Beginn ihres Vieraugengesprächs im Oval Office hatten beide Männer, entspannt auf Sesseln vor dem Kamin sitzend, die deutsch-amerikanische Partnerschaft gelobt und die Bedeutung des Treffens hervorgehoben. Auch während des Auftritts vor der Presse ließen sie keine Misstöne aufkommen. Wir stehen zusammen, so die Botschaft, die von 1600 Pennsylvania Avenue NW ausgehen sollte.

Auf den ersten Blick ist das keine Überraschung. Biden und Scholz verbindet inhaltlich viel. Der Neu-Kanzler hat einen guten Draht zu Senator Chris Coons, einem engen Vertrauten des Präsidenten. Auch auf der Mitarbeiterebene kennt man sich seit langem. Dass zudem zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren wieder zwei Mitte-Links-Politiker in Berlin und Washington regieren, ist für enge Beziehungen zwischen den Hauptstädten sicher nicht schädlich. Doch zuletzt hatten immer wieder vermeintliche Uneinigkeiten über den Umgang mit der Ukraine-Krise das Verhältnis getrübt.

In den USA ist man zunehmend genervt, dass Deutschland trotz des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze immer noch nicht angekündigt hat, im Falle einer Invasion die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen. In Washington wird das Projekt seit Jahren abgelehnt. Aus Sicht der Amerikaner steht es für die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und schafft gleichzeitig ein Druckmittel für den Kreml, um die Staaten in Mittel- und Osteuropa auf Linie zu zwingen. Für sie sind die Einnahmen aus dem Gastransit von großer Bedeutung. Die Deutschen ließen solche Bedenken jahrelang nicht gelten, sprachen von einem rein wirtschaftlichen Projekt. Diese Formulierung vermeidet die neue Bundesregierung mittlerweile. Doch eine Distanzierung von dem Projekt, wie sie in Washington viele wünschen, hat es bislang ebenfalls nicht gegeben.

Auch bei seinem Besuch im Weißen Haus vermied Scholz eine Festlegung. Er versicherte lediglich, dass „harte Sanktionen“ im Kriegsfall verhängt würden – „sofort, schnell und gemeinsam.“ Den Namen der Pipeline nahm er indes nicht in den Mund. Das erledigt dafür sein Gastgeber. Biden ließ keinen Zweifel an den Absichten der Vereinigten Staaten: „Wenn Russland einmarschiert, das heißt, Panzer oder Truppen die Grenze zur Ukraine überschreiten, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben“, so der US-Präsident. „Wir werden dem ein Ende setzen.“



Strategische Ambiguität nennt die Bundesregierung ihr Vorgehen. Man wolle sich nicht in die Karten schauen lassen, den Russen so keine Gelegenheit geben, sich auf konkrete Strafmaßnahmen vorzubereiten. Trotzdem stehe man an der Seite der USA: „Wir sind enge Verbündete und handeln sehr abgestimmt und einheitlich, was die Bewältigung der aktuellen Krisen betrifft“, so Scholz vor seiner Abfahrt ins Weiße Haus. In einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN wiederholte er ähnliche Formulierungen.

Was klar und versichernd klingen soll, stiftet beim wichtigsten Verbündeten für Verwirrung. Der Präsident mag sich mit Scholz‘ Zusicherung zufriedengeben, zumal es seit Wochen Gerüchte gibt, die Deutschen hätten den Amerikanern zugesagt, Nord Stream 2 im Falle einer russischen Invasion zu stoppen. Doch jenseits des Weißen Hauses hält man solche unverbindlichen Zusagen nicht für ausreichend.

Längst wird im Senat an einem parteiübergreifenden Sanktionspaket gearbeitet, das Russland von einem Einmarsch in die Ukraine abschrecken soll. Der Wille, wieder Strafmaßnahmen gegen die Pipeline zu verhängen, ist groß. Auch enge Partner von Biden, etwa Bob Menendez, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses in der oberen Kongresskammer oder Jeanne Shaheen, traditionell deutschlandfreundliche Senatorin aus New Hampshire, stehen Sanktionen mittlerweile offen gegenüber.

Beide waren deshalb am Abend bei einem Dinner in der Residenz der deutschen Botschafterin in Washington zu Gast, wo sie mit Scholz über das Thema sprechen konnten.

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Ebenfalls mit am Tisch saßen Mitch McConnell, der Minderheitenführer der Republikaner im Senat und Jim Risch, Obmann der Oppositionspartei im Auswärtigen Ausschuss. Er hatte die Bundesregierung im Interview mit der WirtschaftsWoche vor Scholz‘ Besuch scharf kritisiert. Ob der Kanzler sie überzeugen konnte, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Die Verhandlungen über das Sanktionspaket sollen sich in den letzten Zügen befinden. Dann wird sich zeigen, ob die deutsch-amerikanische Freundschaft auch jenseits des Weißen Hauses die Verstimmungen zwischen den Partnern überstrahlen kann.

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