Arabische Welt Blinder Zorn - mit politischem Kalkül?

In der sudanesischen Hauptstadt Khartum haben Eindringlinge die deutsche Botschaft in Flammen gesetzt, heißt es in Agenturmeldungen. Und das nur wenige Tage, nachdem gewaltsame Demonstranten den amerikanischen Botschafter in Libyen ermordet haben, wenige Stunden nach neuen gewaltsamen Krawallen vor der US-Botschaft in Kairo. Setzt der Horror ein arabisches Land nach dem anderen in Brand? Oder kommt alles ganz anders?

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Demonstranten in Khartoum Quelle: REUTERS

Angefangen hatte alles mit einem muslimischen Mob, der sengend und brennend die Häuser christlicher Nachbarn stürmte, während die örtliche Polizei tatenlos zuschaute und eher die Opfer als die Täter bedrohte. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Auf dem Monitor, an dem ich jetzt schreibe.
Keine wahre Geschichte: Bis zu dem Mord in Libyen hatte Youtube das erbärmlich schlechte amerikanische Hetzfilmchen weltweit ausgestrahlt, der Millionen Muslime erzürnt und Tausende auf die Straßen gebracht hat. Zur Idiotie des Geschehens gehört, dass diese Leute sich genau so aufführen wie die Laiendarsteller aus Kalifornien, denen ihr Hass gilt. Perfide, aber keineswegs idiotisch ist dagegen die Tatsache, dass der ermordete Botschafter zu den profiliertesten Freunden der arabischen Revolutionsbewegung unter Amerikas Top-Diplomaten zählte.

Das Jahr der Proteste
Arabischer Frühling Quelle: dpa
Occupy Wall Street Quelle: REUTERS
Stuttgart 21 Quelle: REUTERS
Euro (gegen Sparmaßnahmen) Quelle: dpa
Euro (gegen Euro-Rettung) Quelle: dapd
Tottenham Quelle: Reuters
Camila Vallejo Quelle: REUTERS

Ob Bengazi in Libyen, Kairo in Ägypten, Khartum im Sudan: Nirgendwo hat einfach ein blinder Volkszorn spontan die Botschaften angegriffen. In Libyen gibt es ein Jahr nach dem Sturz der Gaddafi-Diktatur noch lange kein staatliches Gewaltmonopol, Parteien und bewaffnete Cliquen kämpfen um die Macht. Darunter verbissene Islamisten, die bei den freien Wahlen im Sommer grandios gescheitert sind und jetzt vor allem das Interesse haben, Amerikaner und Europäer aus dem Land zu ekeln. Der Anschlag von Bengazi war gut vorbereitet und organisiert und hatte mit dem ärgerlichen amerikanischen Film eigentlich nichts zu tun. Manche Spuren scheinen darauf hin zu deuten, dass das angeschlagene Terrornetzwerk Al-Kaeda dahinter steckte. Amerikanische Spezialtruppen haben nicht nur letztes Jahr den Terroristenchef Osama Bin Laden getötet, sondern dieses Jahr auch den wichtigen Operationschef der Kaeda, Abu Jahja al-Libi. Der Familienname heißt „der Libyer“, und das war der Spitzenterrorist auch. Zur Machtübernahme in seinem Heimatland sind seine Kampfgefährten viel zu schwach, zu terroristischem Störfeuer aber immer noch in der Lage.

Politisches Kalkül


Proteste Quelle: dpa

Libyen ist ein unsicheres Pflaster für Amerikaner und Europäer, das verdrängen die Politiker und Investoren, die das Land seit Gaddafis Sturz wieder als große Sandkiste mit Ölfördertürmen in der Sahara und Luxushotels an der Mittelmeerküste betrachten. Der Sudan dagegen ist überhaupt kein Pflaster, sondern ein herunter gekommenes, zerfallendes Land. Die großen Städte und die Ölquellen werden von einer islamistischen Militärdiktatur kontrolliert, die sicher keine spontanen Demonstrationen in der Hauptstadt zulassen würde. Wenn Präsident Ahmed al-Baschir und seine Leute gar den Sturm auf die deutsche und die britische Botschaft tolerieren, steckt politisches Kalkül dahinter: Der sudanesische Herrscher will als Vorkämpfer des antiwestlichen Islamismus neue Sympathien in der islamischen Welt gewinnen und sein angeschlagenes Regime stützen. Deutsche und Briten waren die Zielscheibe, weil die USA seit Jahren ihren Botschafter aus Khartum abgezogen haben, und noch schlechtere Beziehungen zu Europa können Bachir egal sein: Außenwirtschaftlich und strategisch orientiert sich der Sudan seit langem an China. Importe aus Deutschland machten 2011 nicht mehr als 313 Millionen aus, Exporte nach Deutschland ganze 23,5 Millionen Euro.

Scharfmacher auf beiden Seiten

Das sieht im Zentrum der arabischen Welt natürlich ganz anders aus: In der ägyptischen Hauptstadt Kairo mag die Demonstrationswelle vor der amerikanischen Botschaft die entscheidende Runde im Kampf um die politische und wirtschaftliche Zukunft einleiten. Auch hier demonstrieren die religiösen Radikalen, aber kein Mensch glaubt, dass die Polizei auf ihrer Seite steht. Sie randalieren gegen die USA, kämpfen aber gegen zwei ganz unterschiedliche innenpolitische Widersacher: erstens den Präsidenten Muhammad Mursi, einen vergleichsweise pragmatischen Islamisten. Den würden sie gerne zu einer radikalen antiwestlichen Position provozieren – was bisher aber nicht zu gelingen scheint. Und zweitens die vom alten Regime übrig gebliebene Polizei, unbeliebt und belastet. Blutige Krawalle zwischen radikalen Islamisten und der Polizei würden den Präsidenten zwingen, für eine der beiden Seiten Stellung zu beziehen. Das Ergebnis wäre ein Bürgerkrieg, auf den die Scharfmacher auf beiden Seiten hoffen.

Und natürlich der Ruin Ägyptens. Präsident Mursis Leute wissen das. Wenn die Verhandlungen mit den USA über neue ökonomische Hilfen scheitern, hilft dem Land auch die Unterstützung aus den Ölmonarchien Katar und Saudi-Arabien nichts. Deren Herrscher bei allen islamistischen Sympathien überhaupt nicht für mörderisches Chaos wie in Bengazi und Khartum übrig haben. Wenn es nach ihnen geht, mag es in Ägypten jetzt zum Showdown zwischen Mursis Muslimbrüdern und den noch viel antiwestlicheren Salafisten kommen. Wobei die Radikalen mit großer Wahrscheinlichkeit die Verlierer wären.
Gut für uns – aber was passiert in der Zwischenzeit? Man kann es nicht besser sagen als das Berliner Auswärtige Amt auf seiner Website, abgerufen am Freitagnachmittag: „Für Freitag … und Sonntag … haben eine Reihe islamistischer Gruppen sowie die Studentenunion zu Demonstrationen vor der Deutschen Botschaft in Khartum aufgerufen. Es wird empfohlen, den Bereich um die Deutsche Botschaft jeweils zu meiden.“
Gute Empfehlung.

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