Arbeiter-Ausbeutung in Katar „Katar hat in kurzer Zeit erhebliche Fortschritte gemacht“

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„Katar hat in kurzer Zeit erhebliche Fortschritte gemacht“

Welche Auswirkungen haben die Reformen des Kafala-Systems?
Zwischen Oktober 2020 und Oktober 2021, im ersten Jahr der Kafala-Reformen, wechselten mehr als 240.000 Arbeitnehmer den Arbeitsplatz. Das ist gut. Allerdings gibt es immer noch Arbeitnehmer, deren Bewegungsfreiheit von ihren Arbeitgebern eingeschränkt wird. So gibt es beispielsweise skrupellose Chefs, die von ihren Mitarbeitern Gebühren verlangen, wenn sie den Arbeitgeber wechseln wollen. Das Verfahren für einen Arbeitsplatzwechsel ist nicht immer klar und transparent. Es gibt immer noch viele Firmen, die ihre Mitarbeiter nicht bezahlen, manchmal mehrere monatelang. Es gibt ein neues Online-Beschwerdesystem für solche Fälle, sogar neue Arbeitsgerichte – aber diese Einrichtungen sind noch neu und nicht so effizient, wie sie sein müssten.

Wie steht es um die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz?
Eines der Schlüsselelemente der Reformen sind die Wärmevorschriften: Es handelt sich um das weltweit fortschrittlichste Gesetz zur Vermeidung von Hitzestress: Von Anfang Juni bis Mitte September darf in Katar von 10 bis 15.30 Uhr nicht im Freien gearbeitet werden. Die Arbeitnehmer müssen sich regelmäßigen Gesundheitstests unterziehen, um festzustellen, ob sie überhaupt im Freien arbeiten dürfen. Das sind mehr als doppelt so viele verbotene Arbeitsstunden wie in den Nachbarländern. Die Folgen: Die Zahl der Menschen, die wegen hitzebedingter Erkrankungen ins Krankenhaus mussten, hat sich halbiert. Im vergangenen Jahr waren es rund 600 Personen – in den Jahren zuvor waren es 1200 bis 1500.

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Die Regierung legt sich ja mächtig ins Zeug. Glauben Sie nicht, dass sie dies nur wegen der Fußballweltmeisterschaft tut – und danach an Schwung verlieren wird?
Das Rampenlicht, das die WM wirft, ist sehr hell. Aber es ist nicht nur deswegen. Katars nationale Vision 2030 zielt darauf ab, eine wettbewerbsfähige, vielfältige und wissensbasierte Wirtschaft zu schaffen. Wenn man Investitionen und Talente aus dem Ausland anziehen will, muss man auch den Arbeitsmarkt reformieren. Außerdem wird Katar weiterhin im Rampenlicht stehen. Die Regierung will weiterhin Sportveranstaltungen ausrichten, eine größere Rolle in der Uno spielen - und Unternehmen nach Katar holen.

Wie gestaltet sich für Sie die Zusammenarbeit mit der Regierung?
Konstruktiv, wir stehen in engem Austausch mit dem Arbeitsministerium. In keinem anderen Land der Golfregion haben wir einen so intensiven Austausch mit einer Regierung. Natürlich ist es immer noch nicht einfach; wir sind uns nicht in allem einig, aber es gibt eine gemeinsame Vision für die Arbeit, die noch zu tun ist.

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von Sonja Álvarez

Womit sind Sie unzufrieden?
Die Kafala-Reformen müssen vollständig umgesetzt werden. Zu unseren obersten Prioritäten gehört es, gegen die Vergeltungsmaßnahmen einiger skrupelloser Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer vorzugehen, die den Arbeitsplatz wechseln wollen. Wir müssen sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer von den Gesetzen zur Arbeitsmobilität profitieren können. Zweitens muss sichergestellt werden, dass für den Fall, dass Arbeitnehmern die ihnen zustehenden Löhne und Leistungen nicht gezahlt werden, die Mechanismen zur Einreichung von Beschwerden und zur Rückforderung von Löhnen rechtzeitig und fair sind. Eine dritte Priorität besteht darin, sicherzustellen, dass Hausangestellte in vollem Umfang von den Arbeitsreformen profitieren, auch in Bezug auf ihre Rechte in Bezug auf die Arbeitszeit und das Recht auf einen freien Tag pro Woche. Allerdings ist auch zu bedenken, dass viele Reformen erst vor einigen Jahren eingeführt wurden – und dass es einfach Zeit braucht, bis sie umgesetzt werden.

Welche Verstöße befürchten Sie während der Fußballweltmeisterschaft?
Zum Beispiel, dass bestimmte Bauprojekte enden werden – und skrupellose Arbeitgeber die Arbeiter ohne den ihnen zustehenden Lohn und ohne Abfindung nach Hause schicken könnten. Außerdem werden viele Arbeitnehmer sehr kurzfristig und in großer Zahl ins Land kommen – in dieser Masse wird es schwierig sein, Verstöße aufzudecken – insbesondere in Bezug auf Überstunden. Wir arbeiten mit dem Arbeitsministerium zusammen, um Inspektionskampagnen während der Fußballweltmeisterschaft zu planen.

Katar gilt als Hölle für Arbeitnehmer, vor allem in Europa. Ist das gerecht?
Nein, das ist nicht gerecht. Natürlich gibt es hier Missstände, und die müssen gelöst werden. Auch in Deutschland und überall auf der Welt gibt es Arbeitnehmer, die Probleme haben. Man muss das im Zusammenhang sehen. Wir haben hier gerade eine Umfrage unter den Arbeitnehmern gemacht. Das Ergebnis: 86 Prozent sagen, dass sich die Reformen positiv auf sie ausgewirkt haben. Ich will die Probleme nicht kleinreden. Aber wir können sagen, dass Katar in kurzer Zeit erhebliche Fortschritte gemacht hat.

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Wie viele Menschen kommen zu Ihren Sprechstunden?
Vor einem Jahr waren es über 100 pro Monat, jetzt sind es um die 50. Die meisten von ihnen kommen, weil sie Probleme haben, den Arbeitsplatz zu wechseln, gefolgt von denen, die auf ihr Geld warten. Die Tatsache, dass die Zahl der Hilfesuchenden rückläufig ist, zeigt, dass sich die Dinge in Katar in die richtige Richtung bewegen.

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