Tyler Cowen, ein US-Ökonom, widerspricht Ihnen unter Berufung auf eine Studie der US-Notenbank: Die Mitbestimmungsrechte in Deutschland reduzierten die Produktivität von Unternehmen und schmälerten den Aktienwert um 26 Prozent. Was entgegnen Sie dem?
Cowen zitiert eine einzige Studie, wonach das deutsche System der Mitbestimmung die Profitabilität belaste. Ich sehe nicht, warum das nicht ein positives Argument für die deutsche Mitbestimmung ist. Wenn die Menschen, die die tatsächliche Arbeit leisten, dafür ein größeres Stück vom Kuchen erhalten, ist das doch gut.
Außerdem ist die Beweislage gemischt. Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich Mitbestimmung bei größeren Unternehmen positiv oder neutral auf die Produktivität auswirkt. Ich vermute, die Produktivitätseffekte sind nicht allzu erheblich, wenn sie kaum schlüssig nachweisbar sind. Ich möchte aber noch auf einen anderen Aspekt eingehen.
Nur zu.
Es ist nicht zu verleugnen, dass die obersten 15 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer einen Lebensstandard erreichen, der weit über dem vieler Europäer liegt. Aber was ist mit den restlichen 85 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer? Ich war ein paar Mal in Europa, auch in Deutschland. Die Leute leben hier großartig. Sogar ein Barista in einem Café kann von seiner Arbeit leben – in den USA ist das unvorstellbar. Hier brauchen so viele Arbeitnehmer Hilfe vom Staat, nur um ihre Lebensmittelrechnungen zu bezahlen.
Wie bewerten Sie den gegenwärtigen Stand der Mitbestimmungsrechte und der Gewerkschaften in Deutschland? Letztere leiden unter massivem Mitgliederschwund. 2007 verzeichnete der Deutsche Gewerkschaftsbund noch 6,5 Millionen Mitglieder, zehn Jahre später sind es nur noch 6 Millionen.
An den Hartz-Reformen in Deutschland sieht man sehr gut, was passiert, wenn Arbeitnehmer entmachtet werden: Die prekäre Beschäftigung nimmt zu, die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder nimmt ab. Das ist eine Gefahr, nicht nur für die Arbeitnehmer, sondern auch für die Demokratie als solche. Gewerkschaften stellen ein Gegengewicht zu Großkonzernen dar. Zudem befördern sie die Entwicklung demokratischer Verhaltensweisen unter den Arbeitern selbst, sie erlauben es ihnen, sich organisiert für bessere Konditionen und Arbeitsbedingungen einzusetzen und verschaffen den Interessen der Arbeitnehmer Gehör beim Staat.
In Deutschland ist die Lage der Gewerkschaften noch nicht so besorgniserregend wie in den USA. Das liegt auch daran, dass Gewerkschaften hier ganze Berufssektoren vertreten – in den USA gibt es das nicht, dort wird nur auf Unternehmensbasis verhandelt.
In Deutschland stellen Gewerkschaften mehr und mehr einen Rückhalt für die Mittelschicht dar. Wer am unteren Ende des Arbeitsmarkts arbeitet, ist in der Regel nicht gewerkschaftlich organisiert.
Insbesondere junge Arbeitnehmer sind von prekärer Beschäftigung betroffen. Ich sehe die Entwicklung als sehr beunruhigend. In Deutschland gibt es beispielsweise immer mehr Null-Stunden-Verträge, die den Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber völlig ausliefern. In den USA sind sie schon lange verbreitet. Die Europäer importieren schlechte, neoliberale Ideen aus den USA – dabei sollte der Ideenaustausch andersherum laufen. Ich halte die Mitbestimmungsgerechte in Deutschland für eine großartige Idee, die die Deutschen weiter ausbauen sollten. Dafür sollten Arbeitnehmer und die Sozialdemokratie kämpfen.